Die Zwischenfrage wird im Bundestag oft umfunktioniert, um Rednerinnen und Rednern in der Debatte eigene Standpunkte vorzuhalten. Am Donnerstag nutzte die Fraktion von CDU und CSU das Mittel aus der Geschäftsordnung des Parlaments, um bei Vertretern der Ampel bis hin zu Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu ergründen: "Wie hältst du es mit Taurus?", also jenem Marschflugkörper, um den die Ukraine die Bundesregierung schon vor neun Monaten gebeten hat und die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis heute nicht liefern will . Anlass waren zwei aufeinanderfolgende Debatten im Bundestag, eine zur Unterstützung der Ukraine von den Regierungsfraktionen anberaumt, die andere zur deutschen Sicherheitspolitik, beantragt von der Union.
Deren Ziel war offenkundig: die Spaltung der Ampel in dieser Frage vorzuführen, denn dass die Union für ihren Antrag keine Mehrheit bekommen würde, war klar. Drei Seiten hatten CDU und CSU aufgesetzt, mit 28 Unterpunkten, die FDP-Außenpolitiker Ulrich Lechte als "schönes Potpourri an teils nicht durchdachten Vorschlägen" abkanzelte. Wichtigste Forderung: die "unverzügliche Lieferung von erbetenen und in Deutschland verfügbaren Waffensystemen (u.a. TAURUS)" an die Ukraine.
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) kritisierte, die Ukraine erhalte auch zwei Jahre nach dem von Kremlchef Wladimir Putin befohlenen Überfall "nicht in vollem Umfang das Material, das sie dringend benötigt, um den russischen Angriffskrieg wirksam abzuwehren". Er ging auch noch weiter und warf der Ampel vor, bei der von Scholz ausgerufenen Zeitenwende habe es "zur umfassenden Tat bisher jedenfalls nicht gereicht".
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul nutzte die im Anschluss angesetzte Debatte über den gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen und FDP, um von Scholz Aufklärung zu fordern: Das Parlament habe Anspruch zu erfahren, "was das ganz große Problem ist mit der Lieferung der Taurus-Raketen". Der Kanzler habe nie dargelegt, warum der Ukraine "dieses Waffensystem verweigert wird". Eine Antwort erhielt er weder von den Ampelabgeordneten noch vom Verteidigungsminister.
Die Grünen befürworten die Lieferung, sagt deren Verteidigungspolitikerin
Pistorius ließ sich auch nicht auf die Zwischenfrage ein, ob seiner Auffassung nach Taurus-Marschflugkörper umfasst sind von der im Ampelantrag enthaltenen Forderung nach den "zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen", um der Ukraine "Angriffe auf Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors" zu ermöglichen. Da müsse man sich an die Antragsteller richten, antwortete er. Was die Union ausdauernd tat.
Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger machte deutlich, dass ihre Fraktion eine Lieferung befürworten würde. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann stimmte als einziges Mitglied der Ampelfraktionen für den Unionsantrag und erklärte sich gleich von sich aus. Es sei "tragisch", dass man seit Monaten darüber streite, ob man der Bitte der Ukraine nachkomme, die Marschflugkörper "in Ergänzung zu allen anderen gelieferten Waffensystemen zu liefern". Sie fühle sich an das monatelange Gezerre um Panzerlieferungen erinnert, das Russland genutzt habe, um die Front mit Schützengräben und Minen zu befestigen. Auch diesmal gehe es um Zeit, betonte sie. "Und die Ukraine hat keine Zeit mehr." Allein weil der Antrag der größten Oppositionsfraktion das "Kind beim Namen" nenne, stimme sie diesem auch zu. Die Union kam dennoch lediglich auf 182 Abgeordnete von 667 abgegebenen Stimmen, 480 Parlamentarier votierten dagegen, fünf enthielten sich.
Im Kanzleramt will man mit der Formulierung im Ampelantrag den Mehrfachraketenwerfer Mars II gemeint wissen, der nach Angaben der Bundeswehr eine maximale Kampfentfernung von 84 Kilometern erreicht. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte am Vortag zur Frage nach dem Taurus bereits erklärt, was "die Lieferung eines besonderen Waffensystems angeht", bleibe der Kanzler bei seiner Position. Ohnehin wäre ein Beschluss des Bundestags nicht zwingend. Über Waffenlieferungen entscheidet die Regierung. Formell ist der geheim tagenden Bundessicherheitsrat zuständig, tatsächlich liegt die letzte Entscheidung gerade bei großer Tragweite beim Kanzler.
Abgeordnete der SPD wiesen darauf hin, dass Scholz keine roten Linien erklärt habe und eine Lieferung nicht ausgeschlossen hat. Zugleich beklagten sie die Verengung der Debatte auf ein Waffensystem. Unisono wiesen Abgeordnete der Ampel Vorwürfe der Union zurück, die Bundesregierung tue nicht genug für die Unterstützung der Ukraine. Deutschland gebe nach den USA die meiste Hilfe, auch wenn es um Rüstungsgüter gehe. Zudem verlangt die Ampel mit ihrem Antrag Investitionsschutz für deutsche Unternehmen in der Ukraine, Abnahmegarantien für die deutsche Rüstungsindustrie und Unterstützung für Munitionskäufe. Erstmals spricht sie sich zudem dafür aus, beschlagnahmte russische Vermögenswerte, nicht nur Zinsen, im Rahmen des Völkerrechts für die Ukraine nutzbar zu machen.