Deutsch-deutsche Geschichte:Beauftragter für Stasi-Opfer dringend gesucht

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Die Amtszeit von Roland Jahn als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen endet im Juni. An seine Stelle soll ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau für die Opfer treten. Nur wer? (Foto: Michael Reichel/DPA)

In knapp einem Monat endet die Amtszeit des letzten Beauftragten für die Stasi-Unterlagen. An seine Stelle soll sich ein Ombudsmann künftig um die Belange der Menschen kümmern, die unter der SED-Diktatur litten. Doch die Personalie droht im Parteienstreit unterzugehen.

Von Boris Herrmann und Jens Schneider, Berlin

Es ist ein lange geplantes Ende, das kein Schlussstrich sein soll. Vielleicht liegt es auch daran, dass fast jeder Schritt auf dem Weg zu diesem Ende sich so mühselig gestaltet. Am 17. Juni, also in knapp einem Monat, soll die Stasi-Unterlagenbehörde mitsamt den 111 Kilometern an Akten aus dem Inlandsgeheimdienst der DDR in das Bundesarchiv integriert werden. Begleitet von viel Streit und Verzögerungen wurde der Schritt jahrelang vorbereitet, mit dem die Akten zu einem Teil des Archivs der Nation werden sollen.

Am 17. Juni endet damit auch die Amtszeit des letzten Beauftragten für die Unterlagen. Nach zehn Jahren hört der 68-jährige Roland Jahn auf, der das Amt nach Joachim Gauck und Marianne Birthler geführt hat. Aber einen Ombudsmann und Kümmerer für die Opfer, wie Jahn es einmal nannte, soll es weiterhin geben. Ein Beauftragter für die Menschen soll also an die Stelle eines Beauftragten für die Akten treten. Allerdings kann sich die Koalition bisher nicht auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten verständigen. Es hakt dabei offenbar nicht nur zwischen Union und SPD, sondern auch innerhalb der Unionsfraktion.

Der neue Opferbeauftragte sollte ursprünglich im Januar benannt werden. Als das nicht klappte, war von März die Rede. Nun wird die Zeit knapp für die Regierungsfraktionen im Bundestag, die dieses neue Amt mit Unterstützung von FDP und Grünen im vergangenen Herbst schon beschlossen haben, zusammen mit dem Gesetz zur Überführung der Behörde ins Bundesarchiv. Der Posten gilt als lukrativ und potenziell einflussreich mit Blick auf künftige Debatten über die Erinnerung an die Geschichte der DDR und das Gedenken an die Opfer der Diktatur.

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Im kommenden Jahr endet die ­Geschichte der Stasi-Unterlagen-Behörde. Mit ihr ­verbindet man die ­Namen ihrer Leiter: Gauck, Birthler, Jahn. Aber niemand war so lange dabei wie Regina Schild, die ­Hüterin über die Leipziger Akten.

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Das Amt des SED-Opferbeauftragten soll nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten als parlamentarisches Hilfsorgan beim Bundestag angesiedelt und der Amtsinhaber alle fünf Jahre von den Abgeordneten gewählt werden. Nahezu alle Beteiligten wünschen sich einen möglichst breiten Konsens in dieser sensiblen Personalie, aber bislang ist nicht einmal ein Minimalkonsens in Sicht. Die große Symbolkraft dieser neuen Planstelle droht schon vorab von einem kleinkarierten Parteienstreit überlagert zu werden.

Der Bürgerrechtler Uwe Schwabe ist aus dem Rennen

Das Vorschlagsrecht innerhalb der Koalition beanspruchen informell CDU und CSU für sich, nachdem die SPD gerade bei anderen wichtigen Ämtern dran war, etwa bei der Wehrbeauftragten. Doch in der Frage, welche Biografie ein geeigneter Kandidat mitbringen müsse, gibt es selbst in der Union unterschiedliche Ansichten.

Lange Zeit galt der der einstige Leipziger Bürgerrechtler Uwe Schwabe als einer der Favoriten für den Posten. Vor allem der Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz aus Sachsen soll sich für ihn starkgemacht haben. Vaatz wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern. Schwabe, heißt es, sei auch der einhellige Vorschlag aller ostdeutschen Landesverbände der CDU gewesen. Inzwischen ist er nach SZ-Informationen aber aus dem Rennen. Seitens der Opfervereinigungen soll es Zweifel an der Eignung Schwabes für den Posten gegeben haben - und einige Unionsabgeordnete konnten diese Zweifel offenbar nachvollziehen, wie zu hören ist. Gleichwohl wird die Botschaft gestreut, die SPD habe sich gegen den Vorschlag gesperrt.

Die Sozialdemokraten hatten unter anderem Iris Gleicke ins Spiel gebracht. Gleicke war Ostbeauftragte der Bundesregierung, aber die Thüringerin war eben auch parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Die CDU will jedoch keine "parteipolitisch gebundene Persönlichkeit", schon gar nicht, wenn diese Bindung sozialdemokratisch ist.

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Katrin Budde (SPD), die Vorsitzende des im Bundestag für die Frage zuständigen Kulturausschusses, sagt, ihr gehe es vor allem darum, das Amt zum Start mit einer allgemein anerkannten Person zu besetzen. Zu konkreten Namen will sie sich nicht äußern, es gebe viele, die für die Aufgabe geeignet seien. "Aber es darf kein Risiko geben, dass das Amt beschädigt wird", sagt die Sozialdemokratin aus Sachsen-Anhalt. Deshalb schieden Vorschläge aus, gegen die Bedenken etwa aus Opferverbänden kämen. Das Signal ist: Sollte die Union einen Personalvorschlag unterbreiten, hinter dem sie selbst voll und ganz steht und der die Unterstützung der Opfer hat, dann wird es nicht an der SPD scheitern.

Im Grunde stehe man wieder bei null

In der Szene der ehemalige DDR-Bürgerrechtsbewegung heißt es, Erfahrungen bei der Vertretung der Ansprüche von Opfern seien gefragt. Aber auch diese Szene ist nicht frei von Spannungen, einstige Weggefährten haben sich überworfen, und so tauchen Namen möglicher Kandidaten auf, werden diskutiert und wieder verworfen. Aus der Union heißt es, man stehe im Grunde wieder bei null.

Allmählich wird es eng bis zum Stichtag am 17. Juni. Bis dahin gibt es nur noch eine Sitzungswoche im Bundestag, von der laufenden mal abgesehen. Aus der Union heißt es, die Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) sowie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt müssten das jetzt unter sich ausmachen. Es soll möglichst verhindert werden, dass die wechselseitige Blockade erst in einem Koalitionsausschuss aufgelöst werden kann, denn damit wäre die Uneinigkeit dokumentiert. Die SPD wartet nun auf zwei Alternativvorschläge der Union, möglichst noch in dieser Woche. Die ostdeutschen CDU-Landesverbände wollen am Donnerstag über mögliche Namen beraten.

Der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Dieter Dombrowski, erhöht subtil den Druck, in dem er auf SZ-Anfrage mitteilt, er habe keinen Anlass anzunehmen, dass der oder die Opferbeauftragte nicht in der Junisitzung des Bundestags gewählt werde.

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