SPD-Basis:"Nicht Opposition, sondern diese Groko ist Mist"

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Die Parteivorsitzende zu Besuch an der Basis, es sieht zumindest nach Harmonie aus: Andrea Nahles in Pfaffenhofen. (Foto: picture alliance/dpa)

Der Fall Maaßen wühlt die SPD auf. Mit Innenminister Seehofer wollen viele nicht mehr regieren, andere fordern den Rücktritt von Parteichefin Nahles. Ein Rundgang an der Basis.

Von D. Fürst, T. Hahn, S. Höll, H. Ott, L. Schnell, C. Wernicke und V. Wulf

Zerbricht die große Koalition am Fall Hans-Georg Maaßen? Die Beförderung des Verfassungsschutzchefs zum Staatssekretär im Innenministerium hat viele Genossinnen und Genossen aufgewühlt. Der Oberbürgermeister im sächsischen Freiberg, Sven Krüger, hat die Partei am Freitag aus Protest verlassen. Auch im Rest der Republik sind die Sozialdemokraten aufgebracht. Ein Überblick.

Bayern

Die bayerische SPD schüttelt es dieser Tage besonders durch. Kurz vor der Landtagswahl steht sie in den Umfragen zwischen elf und dreizehn Prozent. Viele an der Basis haben es satt, dass ihr Wahlkampf aus Berlin torpediert wird und unterstützen ihre Spitzenkandidatin Natascha Kohnen, die sich an die Spitze der Bewegung gegen die Parteivorsitzende Andrea Nahles gestellt hat. Kohnen selbst stellt die Regierung nicht in Frage, der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn schon: "Nicht Opposition, sondern diese Groko ist Mist." Er will keinen Schritt mehr mit einem Innenminister Horst Seehofer gehen.

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Und dann gibt es die, die den Rücktritt von Nahles fordern, wie Martin Baumann, Ortsvereinsvorsitzender im oberbayerischen Trostberg. "Sie soll bitte die Parteispitze abgeben. Ich will sie da nicht mehr sehen", sagt er. Wenn Maaßen als Staatssekretär nicht noch verhindert werden könne, müsse es heißen: "Raus aus der Koalition". Ansonsten mache sich die SPD nur noch lächerlich. In Bayern gehe es jetzt schließlich darum, "nicht noch mehr zu vergeigen."

Auch Bela Bach denkt an die Wahl in Bayern. Die Unterbezirksvorsitzende von München-Land will die Debatte um Nahles' Zukunft deshalb aber auf die Zeit nach dem Wahltermin Mitte Oktober verschieben. Auf einem Sonderparteitag solle eine ehrliche Bilanz gezogen werden. Die Nachricht, dass Nahles den Fall Maaßen in Berlin neu verhandeln möchte, erfreut sie: "Es geht ein Aufatmen durch die SPD. Aber es ist noch nicht ausgestanden. Seehofer muss gehen. Tut er es nicht, muss die SPD gehen." Die Forderung, den Erhalt der Regierung nicht mehr um jeden Preis anzustreben, hat der Vorstand München-Land in einem Antrag beschlossen. Der Unterbezirk Regensburg hat einen ähnlichen Antrag verabschiedet.

Berlin

Jörg Stroedter, Kreisvorsitzender der SPD in Berlin-Reinickendorf und stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus von Berlin, wundert sich über Nahles' Strategie: "Sie hätte vorher wissen müssen, dass das in irgendeinem Kompromiss endet, wenn sie den Rücktritt von Herrn Maaßen fordert." Wenn man das Thema so hochspiele, dann könne man auch keinen Kompromiss unterschreiben. "Dann muss ich auch bereit sein zu sagen: Wenn er nicht komplett abgelöst wird, ohne Auffangbecken sozusagen, dann gehe ich raus aus der Koalition. Und dazu ist sie ja gar nicht bereit."

Das Grundproblem sei, dass die SPD-Regierungsmitglieder ihre Posten behalten wollten. "Die Drohung, ich trete aus der Koalition aus, zieht nicht, wenn ich selber gar nicht dazu bereit bin." Letztendlich sei aber wieder ein Thema "bei der SPD kleben geblieben, obwohl es eigentlich ein Thema zwischen CSU und CDU ist." "Wir haben ein seltsames Talent dafür, die Probleme anderer Parteien, zu unseren eigenen Problemen zu machen", sagt auch Birgit Monteiro, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Lichtenberg. Nahles sei nicht die richtige Vorsitzende für die SPD. Der Bundesregierung sei "das Grundgespür abhanden gekommen, wie die Menschen in diesem Land ticken."

Norddeutschland

In Schleswig-Holstein ist die Kritik an der Groko schon immer laut gewesen. Serpil Midyatli, die im März den Landesparteivorsitz übernehmen will, ist eine bekennende Gegnerin der großen Koalition. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange fand die Lage der Partei schon Anfang des Jahres so ausbaufähig, dass sie gegen Nahles um den Bundesparteivorsitz antrat. Jetzt forderte sie im NDR ein Ende der Koalition: "Mit der Neuwahl muss dann aber auch bei uns personell das Tableau geordnet werden."

In Hamburg hadert die Basis, wo der jetzige Bundesfinanzminister Olaf Scholz von 2011 bis zu diesem Frühjahr ein straff regierender Erster Bürgermeister war. Zum Beispiel Matthias Namgalies, Beisitzer im Distriktvorstand Ottensen. Die Maaßen-Sache ist für ihn kein Grund, aus der Koalition auszuscheren, anderes schon. Die SPD biete gerade zu wenige Antworten auf die sozialen Schieflagen im Land an. "Wir doktern nur an kleinen Stellschrauben rum", sagt er und ist ausdrücklich pessimistisch. "Was jetzt passiert, ist für mich gefühlt ein langsamer Untergang."

Auch in anderen Nordländern ist die Stimmung in der Partei schlecht. Die SPD in Niedersachsen versuchte auf ihrer Facebook-Seite anfangs noch, die Kritik mit beschwichtigenden Kommentaren zu beantworten. Sie wiederholte sich dabei, und gab irgendwann auf. "Ich bin wirklich wütend und kurz vor der Abgabe des Parteibuchs", schrieb eine Genossin, ein anderer erklärte: "Die SPD auf Bundesebene ist sowas von verlogen. Ich bin ausgetreten."

Im Ortsverein Goslar, der Heimatstadt des früheren Parteichefs Sigmar Gabriel, prägen ebenfalls Entsetzen und Enttäuschung das Stimmungsbild. Der Vorsitzende Jens Kloppenburg hat die Reaktionen in einem schriftlichen Bericht zusammengefasst. Die Kritik darin richtet sich vor allem gegen Innenminister Seehofer, aber auch gegen Andrea Nahles: "die SPD-Bundesvorsitzende", schreibt Kloppenburg, "muss sich fragen lassen, ob sie so recht versteht, welchen Schaden sie dem Land und ihrer Partei mit dem nicht konsequent abgelehnten ,Wiederverwerten' von Maaßen zufügt."

Nordrhein-Westfalen

Die Stimmung im Ruhrgebiet kocht. Vier Ortsvereine in Bochum haben einen bundesweiten Vorstoß lanciert, der der Groko den Garaus machen soll: Per Resolution fordern sie einen SPD-Sonderparteitag, der das Ende der Koalition beschließen soll. Wenn zwei Fünftel aller SPD-Bezirke zustimmen, müsste der SPD-Vorstand gehorchen. Und gleich nebenan in Dortmund, der legendären "Herzkammer der SPD", gehen die Genossen noch einen Schritt weiter - sie fordern den offenen Bruch, falls Maaßen nicht in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wird. Dann, so ein Beschluss des Unterbezirks, "erwarten wir, dass unsere SPD diese Regierung verlässt". Der Ruf aus Dortmund hallt im Land wider - denn die lokale Parteichefin Nadja Lüders ist zugleich Generalsekretärin der NRW-SPD.

Im größten Landesverband wartet man angespannt auf die weiteren Entwicklungen. "Die Entscheidung, dass Maaßen Staatssekretär wird, muss revidiert werden", sagt Andreas Becker, 53 und Vorsitzender des Stadtverbands Recklinghausen. Der Aufstieg Maaßens entspräche in keiner Weise dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen und sei ein weiterer Beitrag zur Politikverdrossenheit. Becker erwartet von Nahles klare Worte. "Wer den Mund spitz macht, muss auch mal pfeifen", sagt er, selbst wenn dazu die Aufkündigung der Koalition nötig sei.

Sein Parteikollege Gerd Robakowski, 75 und Vorsitzender des Ortsvereins Altena, dringt auf einen Personalwechsel. Auch Nahles müsse gehen. Er sagt, es sei "ein Verarschen aller Parteimitglieder und Wähler", sich am Tag nach Maaßens Beförderung vor die Presse zu stellen und zu sagen, es sei nicht zu verhindern gewesen. In Robakowskis Wahlkreis holte die SPD bei der Bundestagswahl noch fast 40 Prozent, nun will er, dass seine Partei die Koalition verlässt. "Die SPD darf sich nicht weiter von einer kleinen Partei erpressen lassen".

Hessen

Die Hessen-SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel verzichtet auf Schuldzuweisungen, weil sie bei der bevorstehenden Landtagswahl noch etwas zu gewinnen hat: die Rückkehr in die Regierung, wenngleich wohl nur als Juniorpartner der CDU. Einer aktuellen Infratest-Umfrage zufolge kämen die Sozialdemokraten in Hessen auf 25 Prozent, in diesen Tagen ist das ein toller Wert. An der Basis herrschen allen Beruhigungsversuchen zum Trotz Zorn, Wut und Unverständnis. Allein in Offenbach traten drei Mitglieder aus Protest aus der Partei aus, heißt es. Gerhard Flögel, ein ehemaliger Familienunternehmer, hat mehr als sein halbes Leben in der SPD verbracht. Er kommentiert die Lage kurz und drastisch: "Das ist eine Katastrophe." Bei ihm setze sich der Eindruck fest, dass die Genossen auf Bundesebene unfähig sind. "Das versteht kein Mensch mehr."

Herbert Keifenheim ist 63 Jahre alt, Sozialdemokrat, Ortsbürgermeister von Kehrig in Rheinland-Pfalz, und Fraktionsvorsitzender im Verbandsgemeinderat Vordereifel, der Heimat von Nahles, die er seit Jahrzehnten kennt. In seiner Gegend leben wie anderswo in Deutschland viele Familien, die einen ganzen Monat mit jenen etwa 2500 Euro im Monat auskommen müssen, die Maaßen als künftiger Staatssekretär zusätzlich erhalten wird.

Mit ein paar Genossen habe er sich ausgetauscht über den Fall, alle seien enttäuscht: "Es war eine Entscheidung der Bundespolitik. Aber das Entsetzen geht durch bis an unsere Basis. Da brodelt es, ich kann mir nicht vorstellen, dass alle unsere Leute das akzeptieren." Er befürchtet, dass die Politikverdrossenheit steigt und noch mehr Wähler künftig zur AfD abwandern. Und was soll die Bundes-SPD nun tun? Ist die Koalition in Berlin nicht doch wichtiger als ein Rückzug Maaßens? Keifenheim überlegt kurz, und sagt dann: "Wahrscheinlich schon, auch wenn Andrea Nahles dabei in große Not gerät."

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