Krise nach der Wahl:Wird Spanien unregierbar?

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Spaniens amtierender Ministerpräsident Pedro Sánchez und Arbeitsministerin Yolanda Díaz vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments an diesem Donnerstag. (Foto: Paul White/AP)

Nach der ersten Sitzung des Parlaments seit der Wahl können die Sozialisten um den bisherigen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez aufatmen. Das Problem ist nur: Ob sie künftig regieren können, hängt von den katalanischen Separatisten ab.

Von Karin Janker, Madrid

Es ist ein erstes Aufatmen in Spanien - aber die große Entspannung bringt es noch nicht. Die erste Sitzung des neu gewählten spanischen Parlaments an diesem Donnerstag ging mit erstaunlich wenigen Überraschungen über die Bühne. Und das ist für sich genommen bereits eine Überraschung. Bereits im ersten Wahlgang wurde die Sozialistin Francina Armengol zur Parlamentspräsidentin gewählt - mit absoluter Mehrheit. Damit hatten wohl die wenigsten der 350 Abgeordneten gerechnet, die für die konstituierende Sitzung des Parlaments ihre Sommerferien unterbrochen hatten.

Erstaunlich ist das deshalb, weil das Ergebnis der Wahl Ende Juli in Spanien alles andere als eindeutig war. Da gab es einen Wahlsieger, den Konservativen Alberto Núñez Feijóo, der nun gerne regieren möchte, dafür aber keine Mehrheit zustande bekommt. Und den bisherigen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, der sich ebenfalls als Wahlsieger sieht, weil er zusammen mit seinen bisherigen Verbündeten und unter weiteren Verrenkungen in Richtung Katalonien seinerseits eine regierungsfähige Mehrheit erreichen könnte.

"Könnte" deshalb, weil es eben nicht von den Siegern der Wahl abhängt, ob Spanien bald eine Regierung hat oder zu Weihnachten wieder gewählt werden muss - sondern von denen, die eigentlich von den Wählern abgestraft worden waren: den katalanischen Separatisten. Insbesondere Junts per Catalunya, die Formation des früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, die einen Parlamentarier verloren hat und nun mit sieben Abgeordneten im Madrider Kongress vertreten ist, hat die Schlüssel für die Regierungsbildung in der Hand.

Die Stimmen der Separatisten erhielt Sánchez nicht für bloße Symbolik

Mit Spannung war deshalb erwartet worden, wie Junts bei der konstituierenden Sitzung an diesem Donnerstag abstimmen würde. Da ging es zwar noch nicht um die künftige Regierung, aber ein erstes Signal war es trotzdem. Im Falle einer Enthaltung hätte womöglich die konservative Kandidatin Cuca Gamarra das Rennen gemacht. Junts ließ bis zum Schluss offen, wie sie stimmen würde - und wählte dann die Sozialistin Armengol.

Deren Personalie war von Sánchez durchaus bereits als Zugeständnis an die Unabhängigkeitsbefürworter gedacht. Armengol, eine enge Vertraute von Sánchez, war zuletzt Regionalpräsidentin der Balearen und setzte sich dort für die Stärkung des Katalanischen ein. Doch die Stimmen der separatistischen Abgeordneten erhielt Sánchez nicht für bloße Symbolik. Unmittelbar vor der Abstimmung war bekannt geworden, dass Junts und Sánchez' Partei PSOE sich unter anderem darauf geeinigt haben, dass Spanien künftig das Katalanische sowohl im Kongress als auch auf EU-Ebene zu einer offiziellen Sprache machen will.

Es mag als ein recht kleines Zugeständnis erscheinen, was Puigdemont Sánchez da abgerungen hat. Doch der Streit um Spaniens offizielle Sprachen neben dem als "Spanisch" bekannten Kastilischen ist hochpolitisch. Das zeigt sich bereits daran, dass in jenen Regionen, in denen die rechtsextreme Vox in Regierungsverantwortung ist, neuerdings Maßnahmen zur Förderung des Katalanischen abgeschafft werden.

Ob Sánchez tatsächlich zum Premier gewählt wird, ist noch unklar

Dass nun eine Frau, die auf den Balearen Katalanisch und Kastilisch gleichberechtigt behandelte, das dritthöchste Amt des Staates nach König und Premier bekleidet, zeigt, wie es in der kommenden Legislaturperiode weitergehen könnte: Spanien könnte pluraler werden, schwelende Identitäts-Konflikte könnten befriedet werden. Wobei nach der ersten Parlamentssitzung noch nicht gesagt ist, dass Pedro Sánchez in einigen Wochen tatsächlich zum Premier gewählt wird. Puigdemont drückte es auf Twitter, das jetzt X heißt, so aus: Die Frage darüber, wer Premier wird, "ist exakt an dem Punkt, an dem sie am Tag nach der Wahl war".

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Von Entspannung also keine Spur. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Sánchez und nicht Feijóo nun vom König den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, deutlich gestiegen ist. Dass es zwischen den Konservativen und Vox kriselt, war nie so offensichtlich wie an diesem Donnerstag, als ein schmollender Vox-Chef Santiago Abascal der konservativen Kandidatin seine Stimme verweigerte. "Die Rechte ist zerbrochen", schreibt die Zeitung La Vanguardia über den Streit zwischen Konservativen und Rechtsextremen, die nichtsdestotrotz in mehreren spanischen Regionen gemeinsam regieren.

Spaniens starke Regionalisierung wäre für eine künftige Regierung unter einem potenziellen Premier Pedro Sánchez somit eine doppelte Herausforderung: Unter seinen Unterstützern könnten die Separatisten den Ton angeben. Und viele Kompetenzen in Bereichen wie Bildung oder Gesundheit lägen in den Händen seiner Gegner, bei den rechten Regionalregierungen. Selbst wenn Sánchez also eine Mehrheit zusammenkratzt - Spanien zu regieren, wird schwieriger denn je.

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