Transatlantisches Verhältnis:Frust und Fassungslosigkeit

Lesezeit: 3 min

Der Republikaner J. D. Vance, Senator aus Ohio und großer Trump-Anhänger, sieht Putin nicht als "existenzielle Bedrohung" für Europa. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Dass die Republikaner die Militärhilfe für die Ukraine blockieren, ärgert die Europäer. Die Aussagen einiger Trump-Fans auf der Münchner Sicherheitskonferenz verstören.

Von Daniel Brössler und Matthias Kolb

Pete Ricketts gehörte bislang nicht zu jenen US-Abgeordneten, die fast alle Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz kennen. Das liegt auch daran, dass der Republikaner Nebraska erst seit 2023 im Senat vertritt und zum zweiten Mal angereist ist. Doch Ricketts' Auftritt in einer Diskussionsrunde am Samstagvormittag dürfte in Erinnerung bleiben.

Auf den Appell des ukrainischen Abgeordneten Oleksij Hontscharenko, der Kongress solle die Militärhilfe für Kiew schnell beschließen, "weil sonst jeden Tag mehr Menschen sterben", entgegnet der Multimillionär: "Ich verstehe Ihren Frust, Ihr Land wird angegriffen, 300 000 russische Soldaten befinden sich auf Ihrem Staatsgebiet. Aber Sie müssen verstehen, dass die Millionen Menschen, die illegal in die USA kommen, für uns ein dringliches Anliegen sind." Aus dem Publikum sind Buh-Rufe zu hören. Ricketts' Einschub - "Natürlich ist es nicht exakt das Gleiche" - überzeugt ebenso wenig wie sein Hinweis, dass der demokratische Prozess eben "chaotisch" sei und das nächste Hilfspaket für die Ukraine schon bewilligt werde.

Immer spürbar: die Angst vor einer zweiten Amtszeit Trumps

Auf der Bühne zeigt sich hier ein prägender Konflikt dieser Konferenz: Die wachsende Sorge in Europa, dass Donald Trump Anfang 2025 ins Weiße Haus zurückkehrt und das transatlantische Verhältnis beschädigt. Wie sich die Zeiten geändert haben, beweist die Abwesenheit des Stammgasts Lindsey Graham. Der Republikaner führte 2023 noch die Senatsdelegation an, ein Jahr später fliegt er lieber nach Texas, um im Grenzort Eagle Pass US-Präsident Joe Biden aufzufordern: "Wenn Sie wie ich der Ukraine helfen wollen, helfen Sie zuerst Amerika."

Dass Republikaner die Abriegelung der US-Grenze zu Mexiko mit der 60 Milliarden Dollar umfassenden Militärhilfe für Kiew verknüpfen, leuchtet den Europäern grundsätzlich nicht ein - und viele von ihnen macht es fassungslos, dass die Republikaner auf Trumps Geheiß das ausgehandelte Kompromisspaket im Senat gekippt haben. Neben Ricketts sitzt Estlands Premierministerin Kaja Kallas, deren Land drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Verteidigung steckt. Sie sagt kühl: "Sechs Prozent der Bevölkerung sind bei uns nun Flüchtlinge aus der Ukraine. Auf die USA übertragen wären dies mehr als 20 Millionen. Ich denke, Sie werden die aktuelle Lage überleben."

Unstrittig ist in allen Diskussionen, dass die Europäer viel mehr Geld in ihre Armeen investieren und deutlich mehr Munition und militärisches Gerät produzieren müssen. "Wir sollten dies aber nicht wegen Trump machen, sondern weil es in unserem Interesse ist", sagt etwa der Niederländer Mark Rutte, der als nächster Nato-Generalsekretär gehandelt wird.

Als "extrem hilfreich und wichtig" bezeichnet die US-Beauftragte für den Wiederaufbau in der Ukraine, Penny Pritzker, das von der EU beschlossene 50-Milliarden-Euro-Paket. Es sei "wichtig, den Menschen in Amerika zu zeigen, dass nicht nur sie etwas tun", sagt die Demokratin der Süddeutschen Zeitung. Die Unterstützung für Kiew sei im ureigensten amerikanischen Interesse: "An jedem Tag, an dem die Ukraine für ihre Freiheit kämpft, kämpft sie nicht nur für ihre Sicherheit, sondern auch für unsere Sicherheit."

Plötzlich reden viele über eine Verfahrensregel aus dem Jahr 1931

Besonders im Fokus stehen die Republikaner aus dem Repräsentantenhaus, da dort im Gegensatz zum Senat bisher nicht über die Militärhilfe abgestimmt wurde. Und weil Mike Johnson seinen Posten als Speaker Donald Trump verdankt, weigert er sich bislang, den Senatsentwurf auf die Tagesordnung zu setzen. Sie gilt es also zu überzeugen, und daher trifft sich neben Bundeskanzler Olaf Scholz auch Wolodimir Selenskij mit den Abgeordneten. Der ukrainische Präsident habe mit Karten die militärische Lage erläutert und erstaunlich "bedächtig und positiv" gewirkt, heißt es anschließend von den US-Politikern. Auch hätten Republikaner wie Mike Turner versichert, dass das Hilfspaket durchgehen werde.

Hier kommt ein Begriff ins Spiel, den vor ein paar Tagen kaum jemand kannte und der in München plötzlich diskutiert wird. Es geht um die "discharge petition", eine Verfahrensregel aus dem Jahr 1931. Sie ist die einzige Möglichkeit, gegen den Widerstand des Speakers ein Gesetz zu beschließen. Dafür müssen allerdings 218 der 435 Abgeordneten eine entsprechende Petition unterschreiben. Ob dies klappt oder überhaupt versucht wird, zeigt sich frühestens am 28. Februar, wenn die Abgeordneten nach Washington zurückkehren.

Newsletter abonnieren
:Updates zur US-Wahl

SZ-Experten blicken auf die USA im Wahljahr - jeden Mittwoch im Newsletter. Kostenlos anmelden.

Am Sonntag meldet sich mit J. D. Vance einer der größten Trump-Anhänger zu Wort. "Natürlich lieben wir unsere Nato-Verbündeten", sagt der Senator aus Ohio zur Nachrichtenagentur dpa und versichert, dass diese auch unter einem Präsidenten Trump auf den Beistand der USA bei einem Angriff zählen könnten. Klare Worte findet er für die Gastgeber: "Wenn Deutschland das fünftgrößte Bruttoinlandsprodukt der Welt hat und Russland nicht einmal zu den zehn größten Ländern gehört, sollte Deutschland dann nicht in der Lage sein, allein eine wirksame Abschreckung zu gewährleisten?"

Später sitzt Vance neben der Grünen-Chefin Ricarda Lang auf der Bühne und verstört das Publikum. Er sehe Putin nicht als "existenzielle Bedrohung" für Europa - und wenn dem wirklich so sei, dann würden die Europäer doch stärker aufrüsten. Man müsse ehrlich sagen, dass der Westen nicht so viel Munition und Material produzieren könne, wie die Ukraine brauche, um Russland zu besiegen. Daraus folgert er: "Eine Art von ausgehandeltem Frieden ist ein realistisches Ziel." Die Reaktion von Ricarda Lang kommt sofort: Putin wolle keinen Frieden. Daher gebe es keine Alternative dazu, die Ukraine weiter mit Waffen zu unterstützen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Pete Ricketts vertrete den Bundesstaat Kansas im US-Senat. Tatsächlich vertritt er das benachbarte Nebraska.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Münchner Sicherheitskonferenz
:"Amerika kann sich nicht zurückziehen"

US-Vizepräsidentin Harris bekennt sich eindeutig zur Nato und zur Unterstützung der Ukraine. Ohne Trump beim Namen zu nennen, bezeichnet sie dessen außenpolitische Ideen als "gefährlich, destabilisierend und kurzsichtig".

Von Matthias Kolb

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: