Ukraine-Hilfe:Viktor Orbán lenkt ein

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Viktor Orbán bei seiner Ankunft zum EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. (Foto: JOHANNA GERON/REUTERS)

Ungarns Premier beugt sich dem Druck der 26 anderen EU-Mitglieder und stimmt Finanzhilfen für die Ukraine im Wert von 50 Milliarden Euro zu. Brüssel soll jährlich über die Verwendung berichten.

Von Jan Diesteldorf, Josef Kelnberger und Hubert Wetzel, Brüssel

Die Europäische Union bleibt geschlossen in ihrer Unterstützung für die Ukraine. Bei einem Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschef gab Ungarns Premierminister Viktor Orbán am Donnerstag seinen monatelangen Widerstand gegen Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro auf. Mit dem Geld aus dem EU-Haushalt soll das finanzielle Überleben des von Russland mit einem Angriffskrieg überzogenen Staates bis zum Jahr 2027 gesichert werden. Offenbar war der Druck zu groß geworden, den die anderen Regierungen auf Orbán ausgeübt hatten. Man hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es faktisch einem Bruch zwischen Ungarn und der EU gleichkäme, sollte er sich weiterhin verweigern. Wesentliche Zugeständnisse erreichte Viktor Orbán nicht mehr.

In den Tagen vor dem Gipfel hatte der Ungar noch erklärt, er lasse sich von Brüssel nicht erpressen. Damit reagierte er auf die Spekulationen von Diplomaten, man könne Ungarn wegen Verstößen gegen Prinzipien der EU das Stimmrecht entziehen. Außerdem war ein brisantes Papier aus dem Kabinett des Ratspräsidenten Charles Michel an die Öffentlichkeit gekommen. Es enthielt Planspiele, den ungarischen Staat an den Finanzmärkten unter Druck zu setzen.

Ungarn wartet noch auf 20 Milliarden Euro aus Brüssel

Die EU hält wegen Rechtsstaatsverstößen in Ungarn noch 20 Milliarden an Fördergeldern zurück. Zehn Milliarden hatte die Kommission unmittelbar vor dem Gipfel Mitte Dezember freigegeben, bei dem Orbán dann den Weg für Beitrittsgespräche der EU mit der Ukraine frei machte, indem er bei der Abstimmung den Raum verließ. Tenor des Papiers: Die restlichen 20 Milliarden könne Orbán vergessen, wenn er nicht auch bei den Finanzhilfen einlenke.

Vor Beginn des Sondergipfels versuchte man in mehreren Runden, eine Verständigung mit Viktor Orbán zu finden. Ein Foto, das er auf den sozialen Medien selbst verbreitete, zeigt ihn an einem Tisch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. "Eine lockere Morgenrunde", kommentierte Orbán.

EU-Kommissionschefin von der Leyen, Ratspräsident Michel, Frankreichs Präsident Macron, die italienische Regierungschefin Meloni (3.v.r.), Ungarns Ministerpräsident Orbán und Bundeskanzler Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Das Papier, auf das man sich am Ende einigte, enthält nun die Bemerkung, der Stand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn werde von der Europäischen Kommission "fair und objektiv" bewertet. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, soll aber klarstellen: Die ausstehenden 20 Milliarden aus Brüssel sollen nicht als Druckmittel gegen Orbán verwendet werden können, sondern müssen freigegeben werden, sobald Ungarn die Bedingungen erfüllt. Davon ist Orbán aber weit entfernt.

Seine ursprüngliche Ablehnung weiterer EU-Finanzhilfen hatte Orbán mit der allgemeinen Lage in der Ukraine begründet. Das Land sei in einen Krieg verwickelt, den es nicht gewinnen könne, und der Staat sei höchst korrupt. Als Kompromiss bot er zuletzt an, die Auszahlung der jährlichen Tranchen an die Ukraine solle jeweils einstimmig von den 27 Mitgliedstaaten genehmigt werden müssen.

Aber das kam für die anderen Regierungen nicht infrage. Sie wollten Orbán keine weiteren Möglichkeiten zur Blockade geben. Tatsächlich wird es nun einen jährlichen Bericht der Kommission über die Umsetzung des Hilfspakets geben - und eine Debatte darüber auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Das nannte Orbán hinterher als Grund für seine Zustimmung. Aber der Beschluss, an dem Paket Änderungen vorzunehmen, muss einstimmig erfolgen.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij dankte EU-Ratspräsident Charles Michel und den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten. Auf der Kurznachrichtenplattform X nannte er es "sehr wichtig", dass der Deal von allen EU-Ländern mitgetragen wurde. Falls Orbán sich weiter verweigert hätte, dann hätten die anderen 26 Staaten die 50 Milliarden für die Ukraine am EU-Haushalt vorbei aufgebracht. Das wäre allerdings mit einem langwierigen Prozess unter Einbeziehung der nationalen Parlamente verbunden gewesen.

Auch deshalb hatte Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine gemeinsame Lösung gedrungen. Wie genau man Orbán umgestimmt habe, wollte er hinterher nicht beantworten. Die Gespräche mit Orbán seien jedenfalls "mit großer Klarheit" geführt worden, sagte er und betonte auch, dass es keine geheimen Nebenabsprachen gebe. Die Hilfe für die Ukraine sei eine Angelegenheit, in der die EU "als Familie zusammenstehen" müsse. Der Beschluss sei "eine gute Botschaft für die Ukraine, eine gute Botschaft für die EU", und auch US-Präsident Joe Biden werde davon profitieren. Denn der US-Präsident könne bei seinem Bemühen, im Kongress Geld für die Ukraine loszueisen, darauf verweisen, dass Europa seinen Beitrag leistet.

Olaf Scholz mahnte im Übrigen erneut, die Europäer müssten die Ukraine nun auch mit mehr Waffen unterstützen. "Es muss in vielen Hauptstädten gefragt werden: Tun wir genug? Die Antwort kann in den meisten nur lauten: Nein."

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