Kaja Kallas, die Ministerpräsidentin von Estland, ist in Sorge und sie spricht sehr offen darüber. Der Westen dürfe Russland jetzt nicht "in die Falle" gehen und "unerhörte Forderungen" erfüllen, warnte sie jüngst in einem Gespräch mit der Washington Post. Es ist die Mahnung der Estin an alle, die jetzt mit Präsident Wladimir Putin darüber verhandeln, wie die von Russland mit mehr als 100 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine heraufbeschworene Kriegsgefahr gebannt werden kann.
An diesem Donnerstag kann Kallas ihre Sorge persönlich übermitteln. Sie ist zusammen mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda und dem lettischen Ministerpräsidenten Krišjānis Kariņš zu Gast bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt. Scholz reist am kommenden Dienstag zu Putin nach Moskau. Und nicht nur in den baltischen Staaten, im ganzen östlichen Europa wird aufmerksam verfolgt werden, ob Scholz da womöglich umstrittene Zugeständnisse andeutet.
Andererseits übernimmt der Kanzler in der Krisendiplomatie zusehends die Rolle des Ost-Beauftragten. Nur Stunden nach seiner Rückkehr aus Washington traf er am Dienstag im Kanzleramt zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda zu einem Gipfel des Weimarer Dreiecks zusammen. Der 1991 von Deutschland, Frankreich und Polen gegründete Club hatte zuletzt eher ein Schattendasein gefristet, nun soll er nach dem Willen von Scholz dazu beitragen, die europäische Einigkeit gegenüber Moskau zu bewahren.
"Unsere Einschätzung der Lage ist sehr identisch, genauso wie unsere Haltung", versicherte Scholz denn auch. Eine weitere Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine sei inakzeptabel und werde weitreichende Konsequenzen für Russland nach sich ziehen, "politisch, wirtschaftlich und sicherlich auch geostrategisch".
"Moralisch falsch und politisch unentschuldbar"
Bis zu diesem Punkt besteht Einigkeit. Deutlich schwerer zu beantworten ist die Frage, worüber mit Russland eigentlich verhandelt werden kann, um Putin von einem Einmarsch in der Ukraine abzuhalten. "Nichts über uns ohne uns", hatte Polens Präsident Duda vor seiner Abreise nach Berlin verkündet. Es dürfe niemand im Stich gelassen werden, "aus Angst, dass wir vielleicht keinen Frieden erringen können", warnte er mit Blick auf die Ukraine dann an der Seite von Scholz im Kanzleramt. In einer Erklärung des Weimarer Dreiecks bekundeten Frankreich, Polen und Deutschland schließlich ihre Bereitschaft, sich "konstruktiv in substanzielle und ergebnisorientierte Gespräche über Sicherheitsfragen von beiderseitigem Interesse einzubringen".
Das Rätsel dieser Tage besteht darin, was das in Verhandlungen mit Russland konkret bedeuten kann. Dies gilt vor allem bei einer zentralen russischen Forderung - einer Garantie, dass die Ukraine nicht der Nato beitritt und die Allianz auch um kein anderes Land erweitert wird. Die USA und die Nato haben schon klargestellt, dass das nicht infrage kommt, weil es der in Europäischen Verträgen verankerten Bündnisfreiheit widerspräche. Spekuliert wird aber, dass Russland mit einer Erklärung besänftigt werden könnte, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine ohnehin auf absehbare Zeit nicht ansteht.
Exklusiv Konflikt mit Russland:Europa steht der Ukraine zur Seite
Wenn Russlands Truppenaufmarsch die Europäer verunsichern sollte, geht Putins Plan nicht auf. Die Mehrheit ist sich einig, wer im Falle eines Angriffs die Ukraine verteidigen soll.
Eine solche Erklärung dürfte aber auf erbitterten Widerstand der östlichen Nato-Mitglieder stoßen, die seit 1999 der Allianz beigetreten sind. "Das würde die Essenz dessen, was die Nato darstellt, unterminieren", warnt der litauische Vize-Außenminister Arnoldas Pranckevičius . "Ein potenzielles Moratorium der Nato-Erweiterung oder die Feststellung, dass bestimmte Länder nicht Nato-Mitglied werden können, wäre moralisch falsch und politisch unentschuldbar", sagte er der Süddeutschen Zeitung.
Ein Anliegen ist den östlichen Nato-Staaten auch ein stärkerer Schutz gegenüber dem als immer bedrohlicher empfundenen Russland. Dem trägt die Erklärung des Weimarer Dreiecks Rechnung. Man stimme überein, "dass die Allianz ihre Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie fortlaufend überprüfen muss, mit der Bereitschaft, diese soweit nötig an eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage anzupassen", heißt es da. Schon angekündigt hat die Bundesregierung, dass 350 weitere Bundeswehrsoldaten zum Nato-Kontingent nach Litauen geschickt werden. Die Bundeswehr hat in Litauen die Führung bei der Nato-Mission Enhanced Forward Presence.