Diese Woche ist in Berlin mal wieder ein Schwung Post aus Rügen angekommen, die dortige Bürgerinitiative ist in Ministerien und Kanzleramt mittlerweile schon berüchtigt. Sie kämpft erbittert gegen ein Flüssigerdgas-Terminal, das im Hafen Mukran auf Rügen entstehen soll, und das nach ursprünglichen Plänen noch in diesem Jahr. Was die Bürger diesmal auf die Zinne treibt: Es werde schon gebaut an den "unnötigen und schädigenden" Anlagen für das Terminal im Hafen, "obwohl noch keine entsprechende Baugenehmigung vorliegt". Auch Umweltschützer sind alarmiert.
Die Gegner des Terminals in dem Hafen bei Sassnitz stützen sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auf die Aufnahmen einer Drohne. Danach sind an Stellen, an denen das Herzstück der Anlage entstehen soll, bereits mindestens Fundamente zu erkennen. Dort sollen einmal "Gasverladearme" entstehen, über die mit Hochdruck das gelieferte Flüssigerdgas an Land gebracht wird. Von da soll es eine Pipeline nach Lubmin bringen, einmal quer durchs Meer. Dann soll es ins deutsche Gasnetz weiterfließen. Doch das nahe Ostseebad Binz fürchtet um den Tourismus, Investoren um Renditen mit lukrativen Immobilien am Meer und viele Bewohner sind in Sorge, dass es dadurch zu Umweltschäden kommen könnte.
Hat der Bauherr ohne Genehmigung losgelegt?
Aber hat der Bauherr, die Privatfirma Deutsche Regas, hier tatsächlich ohne Baugenehmigung Fakten geschaffen? Das Unternehmen weist den Vorwurf der Bürgerinitiative harsch zurück. "Ihre Behauptung, dass keine Genehmigung vorliege, ist unzutreffend. Sämtliche materielle Genehmigungsvoraussetzungen lagen - auch nach Auffassung der zuständigen Genehmigungsbehörde bei Überprüfung vor Ort - vor." Noch nötige Genehmigungen seien zwischenzeitlich erteilt worden.
Doch beim Umweltministerium in Schwerin klingt das ganz anders. Bei einer Begehung in der vorigen Woche hätten Mitarbeiter des staatlichen Umweltamtes Vorpommern die Bauarbeiten entdeckt, heißt es aus dem Ministerium. Dabei handele es sich um Teile einer Rohrleitung. Die bräuchten zwar eigentlich keine Baugenehmigung, gehörten aber eben zum Gesamtprojekt. Und für das habe zum Zeitpunkt der Begehung keine Genehmigung vorgelegen. Erst drei Tage danach wurde der "vorzeitige Beginn" der Bauarbeiten genehmigt. Den hatte Regas im Oktober beantragt. Kurzum: Die Bauarbeiten waren ordnungswidrig. Dies werde "mit einer Geldbuße zu ahnden sein", heißt es aus dem Ministerium.
Die Deutsche Umwelthilfe hat wegen des Vorgangs nun Anzeige beim Umweltamt erstattet. "Das wirft einige Fragen hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Betreibers auf", sagt Constantin Zerger, Energieexperte des Umweltverbands. Der Befund habe auch rechtlich eine gewisse Bedeutung, schließlich handelt es sich bei der komplexen Regasifizierung um einen "Störfallbetrieb", was mit besonderen Anforderungen an den Betreiber einhergeht. "Hier wünscht man sich keinen Betreiber, der schwarz baut", sagt Zerger. Die Umwelthilfe fordert vom Umweltamt, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten sowie zu veranlassen, dass die Baustelle im Hafen von Mukran bis zur Klärung des Verdachts in Bezug "auf jegliche Maßnahmen zur Errichtung einer Medienversorgungsleitung sowie von Hochdruckgas-Verladearmen stillgelegt wird".
Schon zur Jahreswende sollten schwimmende Terminals festmachen
Tatsächlich ist - ganz abgesehen von den möglicherweise rechtswidrigen Bauarbeiten - das ganze Vorhaben schon seit Monaten arg auf Kante genäht. In Mukran sollten Ende dieses Jahres zwei schwimmende Flüssigerdgas-Terminals festmachen - das war jedenfalls das erklärte Ziel der Bundesregierung. Eines dieser sogenannten FSRUs will die Deutsche Regas vom Hafen Lubmin nahe Greifswald dorthin verlegen, ein weiteres hat sie von der Bundesregierung gechartert.
Ein Verlegeschiff ist gerade noch damit beschäftigt, die Leitung von Lubmin nach Mukran zu bauen, sie muss normalerweise bis Ende Dezember fertig werden, denn ab 1. Januar gilt eigentlich ein Baustopp wegen der Heringslaichzeit. Im Hafen, wo offensichtlich schon Arbeiten begonnen haben, ist nun zwar ein "vorzeitiger Beginn" genehmigt. Die eigentliche Genehmigung aber steht, keine zwei Wochen vor dem Jahreswechsel, noch aus.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich eigentlich gewünscht, dass auch bei diesem Projekt das sogenannte "Deutschlandtempo" zum Tragen kommt, dass also deutlich schneller gebaut wird als bei Großprojekten sonst im Land üblich. Der Kanzler hat - auch durch mehrere Gespräche mit den geplanten Betreibern - das LNG-Projekt auf Rügen quasi zur Chefsache gemacht; sein Ostbeauftragter Carsten Schneider (SPD) kümmert sich um die Gespräche mit den Beteiligten. Er lobt das Betreiberunternehmen Deutsche Regas als eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte, weil sie sich trauten, in einen Oligopol-Markt einzudringen, Chancen zu nutzen, wo andere es sich nicht trauten. Doch der noch in diesem Jahr geplante Start wird nicht mehr zu halten sein. "Zum Zeitpunkt einer Inbetriebnahme können wir derzeit keine Angaben machen", heißt es im Schweriner Umweltministerium. Zunächst wurde mit der Versorgungssicherheit im Winter argumentiert, nun wird der Zweck des Terminals eher darin gesehen, die Gasreserven im neuen Jahr aufzufüllen.
Inzwischen sind jedoch auch gleich mehrere Klagen gegen das LNG-Terminal in Vorbereitung. Die Bundesregierung versuchte zuletzt, der Bevölkerung mit Kompensationsangeboten das Terminal schmackhaft zu machen. So versprach der Ostbeauftragte Schneider im Herbst den beschleunigten Ausbau der Vorpommern-Magistrale seitens der Bahn. Dabei geht es um ein Projekt mit einem Volumen von 500 Millionen Euro, die Fahrzeit auf der Strecke Berlin-Angermünde-Pasewalk-Stralsund-Sassnitz soll dadurch deutlich verkürzt werden. Allerdings wurde die Ankündigung vor Beginn der aktuellen Haushaltskrise gemacht, die auch die Bahn betrifft.
Einer der Befürworter des LNG-Milliardenprojekts vor Ort ist Leon Kräusche, der Bürgermeister von Sassnitz. Er verteidigt es auch mit Blick auf die Steuereinnahmen und die Arbeitsplätze. Ein Bürgerforum wirft ihm vor, seit drei Monaten die Entscheidung über die Zulassung eines Bürgerentscheides zum LNG-Terminal hinauszuzögern - nun soll die Stadtvertretung am 11. Januar über die Zulässigkeit entscheiden. Es bedurfte zunächst umfassender rechtlicher Prüfungen, ob Bürger vor Ort über ein vom Bund als dringend notwendiges eingestuftes Projekt entscheiden können.
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens argumentieren, dass die Stadt Sassnitz letztlich an der Umsetzung und den Verträgen beteiligt sei. So habe die Fährhafen Sassnitz GmbH schon am 13. November einen Erbbaupachtvertrag mit der Deutschen Regas zur Überlassung von Flächen auf 66 Jahre abgeschlossen, kritisiert der Initiator Norbert Dahms. "Sollte es zu einem Entscheid kommen, der es dem Fährhafen untersagt, Geschäfte mit der Deutschen Regas abzuschließen, so müssen alle Anlagen wieder zurückgebaut werden", mahnt er. Das wäre ein Rückschlag für das Projekt.