Heinrich XIII. Prinz Reuß, der Mann, der offenbar das System stürzen wollte, und seine mutmaßlichen Unterstützer sitzen seit zehn Monaten in Untersuchungshaft. Als diese auch "Patriotische Union" genannte Truppe im Dezember 2022 aufflog, ist sie gemeinhin bekannt geworden unter dem Stichwort "Reichsbürger-Verschwörer". Eine ideologisch gemischte Gruppe von Menschen, die sich zumindest in ihrer Ablehnung des Staates einig waren. Es ist nur der prominenteste aus einer ganzen Reihe an Fällen, die der "Reichsbürger"-Bewegung in jüngster Zeit wieder erhöhte Aufmerksamkeit verschafft haben.
Alles Witzfiguren? Da ist noch eine Gruppe, die offenbar sehr ernsthafte Pläne hatte, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Dann ein Mann, der im Frühjahr wegen versuchten Mordes an einem Polizisten in Baden-Württemberg zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Ein anderer, der gerade in Stuttgart vor Gericht steht, weil er bei einer geplanten Razzia auf ein Spezialeinsatzkommando der Polizei schoss.
Was haben diese Leute gegen die Republik?
Und wieder stellt sich die Frage: Was sind das eigentlich für Leute, diese "Reichsbürger"? Und warum glauben sie, dass es die Bundesrepublik nicht gibt oder nicht geben sollte? Erklärungsansätze gibt es inzwischen einige, und trotzdem sind da weiter viele Fragezeichen.
Einen der ausführlicheren Erkundungsversuche lieferte das Staatsrechtlerpaar Sophie und Christoph Schönberger 2020 in einem Sammelband. Einige ihrer Thesen vertiefen die beiden jetzt in einem weiteren Buch: "Die Reichsbürger - Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung". Es ist zwar relativ gut beschrieben, wer so typischerweise ins Reichsbürgermilieu abrutscht - häufig Männer über 50, die irgendeine Art von Bruch ihrer Biografie erlitten haben (Trennung, Jobverlust, fehlende Anerkennung, you name it). Warum sie aber ausgerechnet zu glauben beginnen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands abgeschafft gehöre, und nicht, sagen wir, aus Verzweiflung zur Religion finden - das ist eine Frage, die es auszuleuchten lohnt.
"Wechselspiel von Macht und Ohnmacht"
Schade nur, dass Sophie und Christoph Schönberger darauf erst im hinteren Teil ihres Buches kommen, wobei ihre eher historische Beschreibung der Bewegung auch nicht uninteressant ist. Die beiden beschreiben das Reichsbürgertum schließlich als "komplexes Wechselspiel von Macht und Ohnmacht", grob zusammengefasst: Menschen, die sich in der Gesellschaft als ohnmächtig empfinden, vor allem gegenüber der Macht des Rechtssystems, das sie angeblich irgendwie ungerecht behandelt, wollen sich selbst ermächtigen - und erfinden kurzerhand ein "Do-it-yourself-Recht".
Auch in anderen Lebensbereichen sei ja, schreiben die Autoren, seit einigen Jahrzehnten eine gewisse "Laienselbstermächtigung" zu beobachten, in der sogenannten Alternativmedizin, in allerlei ausgefransten Freikirchen. Einen "Aufstand des Publikums gegen die Fachleute" hat man auch in der Corona-Pandemie gut beobachten können, als die Bewegung der Querdenker sich aufschwang, der Wissenschaft mal zu erklären, was sie alles falsch mache. Eher nicht zufällig tummelten und tummeln sich da auch zahlreiche Reichsbürger.
Zweifel am fragilen Kern der Rechtsordnung
Das Rechtssystem wiederum, schreiben Schönberger und Schönberger, sei ein besonders anfälliges Verschwörungsziel, weil es universell ist, also jeden Lebensbereich betrifft. Umso mehr, weil es keine Alternative gibt - im Gegensatz zum fachärztlichen Rat oder der Bibel hat sich jeder an Gesetze zu halten. Das verstärke, so die Autoren, gegebenenfalls das Ohnmachtsgefühl bei denjenigen, die sich, warum auch immer, benachteiligt fühlen.
Mit ihren Grundsatzzweifeln am Rechtssystem legten Reichsbürger noch dazu den "fragilen Kern" jeder Rechtsordnung frei: Es gibt keine Naturgesetze, die sie definieren würden. Sie werde einzig getragen vom kollektiven Vertrauen einer Gesellschaft, dass das eben die Regeln sind, die das Zusammenleben ordnen. Und genau an diesem Vertrauen säen die Reichsbürger Zweifel. Sie sind da nicht die einzigen, auch die AfD und vorgenannte Querdenker sind gut darin. Gerade in diesen beiden Milieus finden sich immer häufiger auch Reichsbürger-Thesen wieder.
Insofern ist der Diagnose des Autorenduos unbedingt zuzustimmen: "Konkrete gewaltsame Umsturzpläne wie den versuchten Staatsstreich der 'Patriotischen Union' abzuwehren, fällt dem Staat deutlich leichter, als der schleichenden Delegitimierung zu begegnen, die vom größten Teil der Reichsbürgerszene ausgeht." Dafür fehlen dem Staat bisher die Ideen. Auch darüber würde sich übrigens mal ein Buch lohnen.