Wochenlang stand das progressive Amerika unter Schock. Doch nun, da die Ära von Donald Trump angebrochen ist, sind andere Töne zu vernehmen. Vom "Widerstand" ist die Rede, die Entstehung einer "liberalen Tea Party" wird diskutiert. Spätestens als beim Frauen-Marsch gegen Trump am vergangenen Samstag weltweit Millionen Frauen und Männer gegen den neuen Präsidenten demonstrieren, ist wieder etwas von Gemeinschaft zu spüren. In stundenlangen Sprechchören vor dem Weißen Haus und auch thematisch. Umweltschutz, Recht auf Abtreibung, Gleichstellung von Mann und Frau, Obamacare, Homo-Ehe - die Liste der Dinge, die vor Trump gerettet werden sollen, ist lang und vielfältig.
Wenn es darum geht, wie sich der Widerstand nun aufrechterhalten lässt, dient vielen die Strategie des politischen Gegners als Blaupause. Seit Dezember kursiert das Google-Dokument "Indivisible: A Practical Guide for Resisting the Trump Agenda", das möglichen Widerstand gegen Trumps Ziele Schritt für Schritt erklärt und sich an der ultrakonservativen Tea Party orientiert, die 2009 als Reaktion auf die Finanzkrise und Obamas Präsidentschaft entstand.
Entscheidend dabei: Die Gruppen müssen sich lokal organisieren, um ihre Abgeordneten unter Druck zu setzen. Die Strategie soll ebenfalls defensiv organisiert sein: "Die Konservativen haben nicht entschieden, welches Ziel zu priorisieren sei. Sie waren schlicht gegen alles, was Obama vorschlug." So blieb die Bewegung zusammen, entsandte eigene Leute in den Kongress und drängte die Republikaner weiter nach rechts. Erste Ansätze waren beim Frauen-Marsch zu beobachten: Die Teilnehmer sollten die SMS "Women" an die Nummer 40649 schicken, wurden nach Namen und Postleitzahl gefragt und erhielten die Antwort "wir melden uns bald". Die Datenbank zur Mobilisierung wird aufgebaut.
Auch Berkeley-Professor Robert Reich empfiehlt das Handbuch. Der Ex-Arbeitsminister unter Bill Clinton ist mit Youtube-Videos über soziale Ungleichheit und öffentlichen Facebook-Sprechstunden zum Star geworden. "100 Tage Widerstand" heißt Reichs Anti-Trump-Programm, für das jeder täglich eine Stunde investieren müsse, um Leserbriefe zu schreiben oder Freunde zu überzeugen, Produkte von Trump-Spendern zu boykottieren. Reich will, ähnlich wie der Filmemacher Michael Moore die Begeisterung erhalten, die Bernie Sanders im Vorwahlkampf entfacht hat, damit sich die Demokraten von innen erneuern. Beide hoffen, dass der progressive Moslem Keith Ellison im Februar Parteichef wird. Was eine Niederlage für das Establishment um Hillary Clinton wäre.
Mehr Offenheit für radikalere Alternativen und Ideen
Aus Frust über die Partei-Elite suchen immer mehr progressive Bürger nach Alternativen, wie sich US-Politik verändern kann. Am Abend nach Trumps Vereidigung bilden sich lange Schlangen vor dem Lincoln Theatre in Washington. Die Straßenkreuzung, an der Protestierer Steine auf Polizisten warfen, die Gummigeschosse zurückfeuerten, ist nur zehn Blocks entfernt. Knapp 1000 Leute wollen dabei sein bei der "Anti-Inauguration", dem Gipfeltreffen der radikalen Linken mit Naomi Klein, Anand Gopal und Jeremy Scahill.
Das Publikum ist jung, einige Augen sind noch gerötet vom Tränengas. Überall leuchten die pinken "Pussy Hats"-Strickmützen. Bhaskar Sunkara hat den Abend organisiert. Der 27-Jährige gründete 2010 das Vierteljahresmagazin Jacobin, das neomarxistische Ideen bekannter machen will. Tausende verfolgen im Livestream die Debatte über die Anti-Trump-Bewegung. Denn der Sieg des Milliardärs hat auch die Linke überrascht. Denker wie Sarah Leonhard, die mit Sunkara den Essayband "Die Zukunft, die wir wollen" (Europa-Verlag) herausgegeben hat, sahen in der Sanders-Begeisterung die Früchte des Occupy-Wall-Street-Protests. Sie verwiesen auf Umfragen, wonach eine Mehrheit der unter 30-Jährigen den Kapitalismus ablehnt, und wollten Clintons "falsche Ideen" mit progressiven Forderungen kontern. Doch nun ist alles anders.
Naomi Klein gibt die Richtung vor: "Es braucht einen radikalen Systemwechsel." Die Autorin von Bestsellern wie "No Logo" und "Die Entscheidung - Kapitalismus vs. Klima", klagt über einen "Putsch der Großunternehmen". Trump hole Multimillionäre wie den Banker Steve Mnuchin oder den Fast-Food-Unternehmer Andy Puzder ins Kabinett, die "durch Ausbeutung der kleinen Leute" reich geworden seien. Der neue Außenminister Rex Tillerson sei mitverantwortlich für die Erderwärmung: "Seine Ölfirma Exxon Mobil hat Pseudowissenschaft finanziert, um strenge Auflagen zu vermeiden."
Den Aktivisten spricht Klein trotzdem Mut zu: "Wir waren dabei, zu gewinnen." Die Gegenreaktion sei so stark, weil der Kampf für 15 Dollar Mindestlohn landesweit voranschreite und internationale Klimaabkommen das Geschäftsmodell von Exxon gefährden würden. Die 46-Jährige warnt: "Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Vom kleinlichen ,Mein Anliegen ist wichtiger als deins'-Streit profitiert nur einer: Donald Trump."
Der Jubel ist groß, als Klein verkündet, dass Trump gar nicht gewonnen habe: "Clinton hat es vergeigt." Sie fordert eine Richtungsentscheidung: Entweder werden die Demokraten "von deren neoliberalen Unterstützern" befreit, oder die Aktivisten müssten sich abwenden.
Keeanga-Yamahtta Taylor hat das längst getan. Glich die Stimmung zuvor einem Rockkonzert mit lauten "Fuck that"-Rufen, so bringt die Expertin für African American Studies die Menge mit ihrer Analyse zum Schweigen: "Macht euch keine Illusionen. Trumps Politik wird verheerende Folgen haben für die Mittelklasse. Aber ein demokratischer Präsident ist ein Desaster in Zeitlupe."