Serie: Finanzfrauen:Vor uns die Sintflut

Sie ist Aktivistin und Leitfigur der Globalisierungskritik: Naomi Klein pocht auf ein radikal neues Wirtschaftsmodell. Ist das nicht zu viel verlangt? Eine Begegnung.

Von Jan WIllmroth

Naomi Klein lädt ins Hotel im Wasserturm. Kölns nobelste Adresse, Habitat für Louis-Vuitton-Handtaschen und Burberry-Karos. Hier stellt die Autorin von "No Logo" ihre radikale Forderung vor: Kein Wachstum mehr um seiner selbst Willen, wenn wir das Weltklima noch retten wollen. Um dieses neue Wirtschaftsmodell zu erschaffen, müssten alle kritischen Strömungen zusammenarbeiten, fordert Klein in ihrem neuen Buch. Es heißt "Die Entscheidung - Kapitalismus vs. Klima", zählt 704 Seiten, der Buchrücken verspricht: "Dieses Buch ändert alles".

Wenige Stunden später gastiert sie damit im großen Sendesaal des WDR-Funkhauses. Das Literaturfestival Lit.Cologne geht zu Ende, sie hat einen der letzten Auftritte, ein Heimspiel am Freitagabend. In den holzvertäfelten Saal drängt klassisches Klein-Publikum: Viele hier sind älter, etliche dürften der Umweltbewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre angehört haben, einige Altlinke sind da, die Akademikerquote ist hoch. Am Eingang verteilen Aktivisten Flugblätter, die nächsten Umweltdemos und Braunkohle-Blockaden stehen an, Greenpeace hat einen Stand aufgebaut.

Die Kanadierin hat sich mit mehreren Büchern in die Herzen der Globalisierungskritiker geschrieben. Eine "Ikone" der Linken wird sie zuweilen genannt, im Ranking der weltweit wichtigsten Denker des britischen Prospect-Magazins belegt sie Platz 13. Nur ein Rang hinter Jürgen Habermas. In ihrem neuesten Werk nimmt sich Klein nun den menschengemachten Klimawandel vor - das große Ganze. Die Soziologen John Bellamy Foster und Brett Clark schreiben in der sozialistischen Zeitschrift Monthly Review, mit ihrem neuen Buch habe sie "den Fluss des Feuers" überschritten und kritisiere nun das Kapital als System.

Serie: Finanzfrauen: Noch hat die Menschheit die Wahl, sagt Naomi Klein. Entweder, wir wirtschaften so weiter wie bisher und steuern auf eine Klimakatastrophe zu, oder wir minimieren den Ressourcenverbrauch.

Noch hat die Menschheit die Wahl, sagt Naomi Klein. Entweder, wir wirtschaften so weiter wie bisher und steuern auf eine Klimakatastrophe zu, oder wir minimieren den Ressourcenverbrauch.

(Foto: Imago)

Ursprünglich hatte sie das nicht vor, sagt Klein. "Aber die Ergebnisse der Klimaforschung haben mich radikalisiert. Sie sind eine Kampfansage an die Logik des Kapitalismus", sagt sie. Diese Logik folgt dem Wachstumsgedanken: Wirtschaftswachstum ist gut und führt zu mehr Wohlstand für alle - aber auch zu mehr klimaschädlichen Emissionen durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, angetrieben von einem konsumorientierten Überfluss-Lebensstil. Schluss damit, sagt und schreibt Klein, sonst können wir die Klimakatastrophe nicht mehr aufhalten.

"Dabei spreche ich nicht einfach von einer Welt, die zwei Grad wärmer ist", sagt sie am Nachmittag im Luxushotel. "Ich warne davor, wie viel brutaler unser System wird, wenn wir mit immer mehr Naturkatastrophen zu kämpfen haben. Ich habe aber viel weniger Angst vor diesen Unglücken, als davor, was Menschen in diesem System in solchen Krisen tun."

Sie will keine Anführerin sein. Lieber eine Intellektuelle, die andere inspiriert

Um die Person zu verstehen, die in stets besonnenem Ton solche Sätze spricht, muss man einige Jahre zurückgehen. Zurück in jene Zeit, in der sie sich noch ganz der Kapitalismuskritik unverdächtig für teure Markenware begeisterte und sich nur mäßig für die politischen Anliegen ihrer Eltern interessierte, ja, diese ihr manchmal peinlich waren. 1971 kommt Klein in Montreal auf die Welt, hineingeboren in eine jüdische Familie mit einem Hang zum Sozialismus, die erst wenige Jahre zuvor aus Protest gegen den Vietnamkrieg die USA verlassen hatte. Der Vater ist Arzt, Professor und engagiert sich in der pazifistischen Ärzte-Organisation "Physicians for Social Responsibility"; die Mutter eine feministische Filmemacherin und Aktivistin. Der drei Jahre ältere Bruder Seth gründet bereits als Sechstklässler eine Anti-Atomkraft-Gruppe. Der Großvater, einst Comiczeichner bei Disney, war entlassen worden, weil er dort einen Streik organisiert hatte.

Klein studiert in Toronto Anglistik und Philosophie, kommt früh in Kontakt mit dem Journalismus und bricht ihr Studium rasch zugunsten einer Tätigkeit bei der Zeitung The Globe and Mail ab, danach wird sie Chefredakteurin der linken Zeitschrift This Magazine. Davor war der Tag gekommen, der sie endgültig politisierte, wie sie später erzählt: Im Dezember 1989 tötete ein Amokläufer an der Technischen Hochschule in Montreal vermutlich aus Hass auf Feministinnen 14 Frauen und verletzte 13 weitere Menschen. "Natürlich bezeichnest du dich danach als Feministin", sagt sie im Jahr 2000 der britischen Zeitung The Guardian. Im Jahr zuvor erscheint ihr erstes großes Werk "No Logo", eine Abrechnung mit globalisierten Markenkonzernen. Die von Produzenten zu reinen Vermarktungsmaschinen geworden seien, die auf dem Rücken ausgebeuteter Arbeiter in Entwicklungsländern ihr weltweites Geschäft machen. Das Buch erscheint in 28 Sprachen, mehr als eine Million Exemplare werden verkauft, es wird zur "Bibel der Globalisierungskritik".

Serie: Finanzfrauen: Diese Frauen haben die Finanzwelt bewegt. SZ-Serie, Teil 27.

Diese Frauen haben die Finanzwelt bewegt. SZ-Serie, Teil 27.

Man könnte auch sagen: Damit hat Klein zum ersten Mal dokumentiert, was sie mit der "Brutalität des Systems" meint.

Damals wie heute sind es die akribischen, jahrelangen Recherchen, die ihre scharfzüngig geschriebenen Bücher prägen. Auf der Bühne in Köln sitzt, etwas abseits, auch eine Schauspielerin, die zwei Passagen aus dem neuen Buch vorliest. Es sind allein diese Seiten, die erahnen lassen, welche Inbrunst das Thema in Klein geweckt hat. Wenn sie spricht, dann ruhig, mit der analytischen Gelassenheit einer Intellektuellen. Große Gesten sind nicht ihre Sache. Sie möge keine großen Menschenmengen, hat sie einmal gesagt. Ihr Ventil ist das Schreiben, es ist ihre Form des Aktivismus. Die persönlichen Worte im Buch sind deshalb mit Bedacht gewählt. "Wir müssen eine andere Sprache finden, wenn wir über den Klimawandel sprechen", sagt sie, "ich wollte für Menschen schreiben, die keine Bücher über den Klimawandel lesen." Diese Bücher seien noch immer ein Nischenmarkt. "Das sollten sie aber nicht. Weil es jeden auf dem Planeten etwas angeht."

Dieser Satz steht im Zentrum ihrer Kritik, die längst nicht mehr nur den Marktdogmatikern, den Kohlekonzernen und den rechten Klimawandel-Leugnern gilt. Sie gilt auch den Bewegungen, denen Klein selbst entstammt. Die Linken: zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu sehr mit Verteilungsfragen. Die Feministinnen: zu sehr in ihrem Thema verstrickt. Die Umweltbewegung: setzt sich viel zu wenig mit sozialer Gerechtigkeit auseinander. In Kleins Vision vereinen sich alle sozialen Bewegungen im Kampf gegen die Erderwärmung und nutzen die Klimakatastrophe, um ein neues und sozialeres Wirtschaftssystem zu erschaffen.

Damit münzt sie die Theorie ihres dritten Buches um: In "Die Schock-Strategie" legte sie dar, wie Marktfundamentalisten aus Krisen und Katastrophen Profit schlagen und ihre radikalen Konzepte durchsetzen. "Das neue Buch fängt genau dort an, wo die Schock-Strategie aufhörte: bei Hurrikan Katrina", sagt sie. In ihrer Vision wird der Klimawandel zur Plattform für eine eigene Schockstrategie der sozialen Bewegungen. Wenn es klappen soll, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssten die Emissionen der reichen Länder um acht bis zehn Prozent pro Jahr sinken. Und das gehe nur, wenn Wachstum nicht mehr das ist, was die Welt darunter versteht.

Klingt utopisch? Die Zeit sei knapp, aber nichts unabwendbar, schreibt sie, außer dass der Klimawandel alles ändern werde. Nur eine globale Bewegung könne die Wende schaffen.

Deren Anführerin aber mag Klein nicht sein. Sie bleibt lieber die Intellektuelle, die Aktivisten inspiriert. "Bücher lassen keine Bewegungen entstehen, aber sie können helfen."

Im WDR-Konzertsaal, bald 23 Uhr, lichten sich die Reihen. Die Massenbewegung? Vertagt. Wenige Tage später wird bekannt, dass die britischen CO₂-Emissionen 2014 um fast ein Zehntel gesunken sind - bei einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent.

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