Pakistan:Machtkampf der Terrorgruppen

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Nach dem Anschlag im pakistanischen Distrikt Bajaur. Offenbar hat sich noch niemand dazu bekannt. (Foto: Mohammad Sajjad/AP)

Bei einem Selbstmordanschlag in Pakistan sterben mindestens 45 Menschen. Inzwischen reklamiert ihn der IS für sich. War die Regierung das Ziel? Oder bekämpfen sich hier Extremisten untereinander?

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Explosion war so gewaltig, dass sie mindestens 45 Menschen in den Tod riss und 130 verletzte, viele von ihnen schwer. Ein Selbstmordattentäter zündete seine Sprengstoffweste ganz vorn vor der Bühne einer politischen Kundgebung der konservativen islamischen Partei Jamiat Ulema-i-Islam (JUI) im Distrikt Bajaur, in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Schwerverletzten wurden mit Militärhubschraubern in Krankenhäuser in der Provinzhauptstadt Peschawar gebracht. Die pakistanische Regierung rief in den Krankenhäusern von Bajaur und den angrenzenden Gebieten den Notstand aus.

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In Pakistan sind bei einer Explosion mindestens 40 Menschen ums Leben gekommen. Der Vorfall ereignete sich Nahe der Grenze zu Afghanistan.

Premierminister Shehbaz Sharif verurteilte den Anschlag und bezeichnete ihn als "Angriff auf den demokratischen Prozess" in Pakistan. Auch die US-Botschaft in Islamabad und der ehemalige Premierminister Imran Khan verurteilten die Tat auf X, wie Twitter nun heißt.

Inzwischen hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) das Bombenattentat für sich reklamiert. Das berichtete das Sprachrohr Amak der Dschihadisten-Miliz am Montag.

Seit mehr als zehn Jahren bekämpfen die pakistanischen Taliban die Regierung

Seit die pakistanischen Taliban, die "Tehrik-i-Taliban Pakistan" (TTP), den Waffenstillstand mit Islamabad im vergangenen Jahr aufgekündigt haben, kommt es wieder vermehrt zu Attacken. Dabei ist Pakistan ohnehin schon im Dauerkrisenmodus, es muss die Folgen einer historischen Flutkatastrophe überwinden und verhandelt einen Kredit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Bereits im Februar dieses Jahres starben bei einem Bombenanschlag auf eine Moschee in einem Hochsicherheitstrakt, in dem sich das Polizeipräsidium von Peshawar befindet, mehr als 100 Menschen, die meisten von ihnen Polizisten.

Seit mehr als zehn Jahren bekämpfen die TTP die Regierung in Islamabad, fordern die Einführung der Scharia, die Freilassung wichtiger, von der Regierung verhafteter Mitglieder und wollen die Fusion ihrer Stammesgebiete mit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa rückgängig machen, die seitdem durch eine zentrale Verwaltung, von Polizei und Militär kontrolliert werden. In diesen von Paschtunen besiedelten Gebieten gründeten sich einst die afghanischen und pakistanischen Taliban.

Die TTP bekennt sich zu den Taliban im Nachbarland Afghanistan, ist aber nicht direkt mit ihnen verbunden. Pakistanische Sicherheitskräfte behaupten wiederum, die TTP habe Zufluchtsorte in Afghanistan, was die dortige talibangeführte Verwaltung bestreitet. Beide Gruppen distanzierten sich allerdings von dem Anschlag am Sonntag. "Solche Verbrechen sind in keiner Weise zu rechtfertigen", erklärte Sabiullah Mudschahid, Sprecher der afghanischen Taliban-Regierung. Es könnte sein, dass sich der Anschlag auch gegen die beiden Gruppen gerichtet hat.

Vielleicht geht es weniger um Religion und Ideologie - und eher um Macht

Dass die Bombe bei einer Veranstaltung einer sehr konservativen Partei von Islam-Hardlinern gezündet wurde, deutet darauf hin, dass diese Morde nicht so sehr mit Religion und Ideologie zu tun haben, sondern mit Macht. Denn die Taliban sind nicht die einzigen terroristischen Gruppen, die Anschläge in der Region verüben. "Auch der IS oder das Haqqani-Netzwerk sind mittlerweile wieder sehr aktiv in Pakistan", erklärte Safdar Sial, Analyst beim "Institute for Peace Studies" in Islamabad der Süddeutschen Zeitung. Das scheint das Bekenntnis des IS von Montag zu bestätigen.

2014 vertrieben das pakistanische Militär und örtliche Milizen die Taliban nach Afghanistan. Doch seit dem überhasteten Rückzug der Nato-Truppen und der erneuten Machtergreifung der afghanischen Taliban hat sich dort ein Machtkampf zwischen den Terrorgruppen entwickelt. Und die Situation im pakistanischen Grenzland hat sich kontinuierlich verschlechtert.

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Der IS lehnt die afghanische Taliban-Regierung genauso ab wie die TTP - und viele IS-Anhänger kennen die durchlässige, gebirgige Grenzregion, die sie jederzeit überqueren können, um sich in der Gegend von Peschawar zu verstecken. 2600 Kilometer raue Bergregion lassen sich nicht lückenlos kontrollieren, weder vom Militär noch von den TTP. Im Westen wiederum hat Iran zeitweise wichtige Grenzübergänge geschlossen, seit die Proteste gegen die Hidschab-Pflicht eskaliert sind. Die Lage ist also in vielen Grenzregionen Pakistans unruhig.

Die diversen islamistischen Terrorgruppen finanzieren sich durch Schmuggel, Raub, Schutzgelderpressung, Abkassieren an Kontrollposten und Kidnapping. Das einzig wirksame Mittel dagegen wäre Wirtschaftswachstum und mehr Arbeit, sodass die jungen Männer in der Region eine Alternative hätten: Den Taliban würden dann wohl bald die Rekruten ausgehen, vermutet Safdar Sial. Doch die Regierung in Islamabad muss sich nicht nur in den Grenzgebieten neuen Herausforderungen stellen. Auch die politischen Machtkämpfe lähmen das Land. Keine guten Zeiten für Frieden in Pakistan.

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