Tote Fische in polnischen Gewässern:Giftige Blüte

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Manche sagen ja, es wäre doch gar nichts: Angler an der Oder. (Foto: Patrick Pleul/DPA)

Schon wieder sterben Fische in den Zuläufen der Oder. Getan wird kaum etwas dagegen. Deutschland sieht die Verantwortung vor allem in Polen.

Von Michael Bauchmüller und Viktoria Großmann, Opole/Berlin

Der Angler an der Oder in der polnischen Stadt Opole hat drei Brassen gefangen, jede sicher 30 Zentimeter lang. Diese Fische haben also das Fischsterben im vergangenen Jahr überlebt. Der schon etwas ältere Mann mit Käppi, Zigarette im Mundwinkel, Zahnlücken freut sich über seinen Fang. Von irgendwelchen Problemen im Fluss weiß er nichts. Er genieße heute einfach seine freie Zeit an der Oder bei dem schönen Wetter. Ein junger Mann mit Dutt und Brille wirft an einem Seitenarm der Oder in Opole die Angel aus. "Klar gibt es Fische in der Oder", sagt er. Vielleicht ein bisschen weniger, vielleicht sind sie kleiner, aber es gebe sie. Das Fischsterben habe Opole nicht so sehr betroffen. Heute fängt er allerdings nichts, er packt bald wieder zusammen.

Hunderte Tonnen tote Fische wurden im vergangenen August aus der Oder gezogen, auch Muscheln und Schnecken verendeten. Trockenheit, Niedrigwasser und im Verhältnis dazu viel zu hohe Salzeinleitungen aus schlesischen Bergwerken hatten dazu geführt, dass sich die Alge Prymnesium parvum gut vermehren konnte. Die sogenannte Goldalge ist an solche Bedingungen gut angepasst, wenn sie blüht, entsteht ein für Fische und andere Lebewesen tödliches Gift. In Polen sprachen einige Medien und Umweltschützer von der größten Umweltkatastrophe seit Jahrzehnten. Und nun verenden erneut Fische.

In deutschen Behörden lassen die Fischfunde die Alarmglocken klingen

Nicht in Opole, noch nicht. Aber wenige Kilometer weiter südöstlich, zwischen der Industriestadt Kędzierzyn-Koźle und Gliwice, früher Gleiwitz. Dort fließen der Gleiwitzer Kanal und der Kędzierzyn-Kanal zur Oder hin und dort begann im vorigen Jahr das Fischsterben. In diesem Jahr setzt es sich fort. Bereits im April, dann wieder im Mai und auch jetzt im Juni wurden tote Fische aus den Kanälen gezogen, von 800 Kilo spricht der polnische Anglerverband. Sie starben am Gift der Goldalge.

In deutschen Behörden lässt das die Alarmglocken klingen. "Es sieht alles nicht so gut aus", sagt Lilian Busse, Vizepräsidentin des Umweltbundesamtes. Obendrein sei erst Juni und damit noch recht früh im Sommer. "Wenn wir die Alge einmal drin haben im Fluss, ist es schwer, sie wieder rauszubekommen", sagt Busse, die auch Expertin für Algen ist. "Da wäre die Absenkung des Salzgehalts weiterhin die einfachste Lösung." So lasse sich eine Algenblüte verhindern.

Das klingt einfacher als es ist. Denn das Salz geht nach Lage der Dinge auf den Bergbau zurück. Damit die Minen nicht volllaufen, werden vielerorts die Grundwasserpegel gesenkt, Grubenwasser wird abgepumpt. Dadurch gerät aus der Tiefe auch Salz nach oben. Auf trockene Kohleminen wird man in Polen aber kaum verzichten wollen, und auffangen lässt sich das Salzwasser auch nur in begrenzten Mengen. Steigen dann im Sommer noch die Temperaturen im Fluss, werden die Bedingungen für die tödliche Brackwasseralge ideal.

Die polnische Umweltministerin möchte "Refugien für Fische" schaffen

Entsprechend hilflos liest sich das Gesetz zum Gewässerschutz, dass die polnische Umweltministerin Anna Moskwa vergangene Woche dem Sejm vorlegte. So sollen etwa "Refugien für Fische" entstehen, um sie von der Goldalge zu isolieren, auch mit Netzen sollen die Fische von der Pflanze ferngehalten werden. Darüber hinaus möchte man Unternehmen mit höheren Gebührensätzen "ermutigen", ihr Salzwasser anders abzuführen oder es zumindest in Zeiten niedriger Pegelstände zurückzuhalten.

Doch die Messwerte entlang der Oder zeigen nach oben. Ein sicheres Indiz für den Salzgehalt ist die elektrische Leitfähigkeit des Flusswassers, gemessen in Mikrosiemens pro Zentimeter. Inzwischen würden hier wieder Werte um die 1900 Mikrosiemens gemessen, sagt Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). "Dadurch, dass wir weniger Wasser haben, steigt auch die Salzkonzentration." Ähnliche Werte verzeichnete die Oder auch, als im vorigen August die Katastrophe ihren Lauf nahm.

Vor einer Woche hatte die polnische Umweltministerin Moskwa ein Krisenmanagement-Team eingesetzt. Es empfiehlt nun Maßnahmen, um die Ausbreitung der Alge zu verhindern, etwa mit Absperrungen im Fluss. Im Mai wurden auf Veranlassung der Ministerin an zwei Schleusen im Gleiwitzer Kanal Wasserstoffperoxid sowie ein Gerinnungsmittel ins Wasser eingebracht - in anderen Ländern sei damit die Alge erfolgreich bekämpft worden, hieß es. In Deutschland sieht man dergleichen kritisch.

Doch viel Austausch mit den Nachbarn im Westen gibt es nicht. "Aus Polen haben wir die Information bekommen, die Situation sei unter Kontrolle", sagt UBA-Vizechefin Busse - allerdings erst auf Nachfrage. "Da hat sich die aktive Kommunikation leider noch nicht so verbessert, wie wir erhofft hätten."

Berlin und Warschau liegen ohnehin im Clinch über den Ausbau der Oder

Wie viel Deutschland und Polen bei der Oder immer noch trennt, musste Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vor zwei Wochen noch einmal erfahren. Da traf sie im polnischen Słubice, gegenüber von Frankfurt (Oder), auf ihre Amtskollegin Moskwa. Die Oder sei mittlerweile der bestuntersuchte Fluss Europas, versicherte Moskwa. "Und die Bestände erholen sich." Was die Herkunft des Salzes angeht, verwies sie aber auf Tagebaue im Einzugsbereich der Oder - und davon gebe es auf deutscher Seite viel mehr als auf polnischer.

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Ohnehin liegt Warschau mit Berlin im Clinch über den Ausbau der Oder, den seit 2015 ein Staatsvertrag regelt. Doch während Polen darauf pocht, die Oder zur großen Wasserstraße auszubauen, will Lemke die Natur an den Fluss zurückholen. "Es ist gut, dass man sich auch einmal die Meinung sagen kann", sagte die deutsche Ministerin nach dem Treffen. Einigkeit klingt anders.

Es gäbe im Kampf gegen die Goldalge auch natürliche Verbündete: Muscheln. "Die fressen auch Algen und spielen damit eine wichtige Rolle im Ökosystem", sagt der Gewässerökologe Wolter. "Als Filtrierer." Doch als der Fluss im vorigen Sommer kippte, sind leider die meisten von ihnen verendet.

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