Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen:"Nicht gleich ein Kunstwerk"

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In Nordrhein-Westfalen regieren die CDU unter Hendrik Wüst und die Grünen unter Mona Neubaur vergleichsweise geräuschlos - aber das ist nicht überall so. (Foto: David Young/DPA)

Hendrik Wüst und Mona Neubaur stellen den ersten schwarz-grünen Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen vor. Es geht um Elektroschockpistolen und Solarpanele - und zum Leidwesen der Grünen auch um das Braunkohledorf Lützerath.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

Es ist nur ein lässiger Wink mit der linken Hand. Aber die knappe Geste von Hendrik Wüst stellt klar, wie es fortan zugehen dürfte in der nordrhein-westfälischen Regierung. Seit zwanzig Minuten steht der alte wie neue Ministerpräsident des Landes in einem Düsseldorfer Park, der Schatten einer Linde schützt den CDU-Politiker vor der Sonne. Neben ihm am Pult lehnt, wie immer ganz in Schwarz, die Grüne Mona Neubaur, Wüsts künftige Stellvertreterin.

Beide wirken etwas matt nach mehr als drei Wochen Koalitionsverhandlungen. Was vielleicht erklärt, warum beide sehr eigene, eher nüchterne Sprachbilder bemühen, um den Segen der allerersten schwarz-grünen Partnerschaft im Land zu preisen. Wüst mag den 146 Seiten langen Koalitionsvertrag zwar "nicht gleich ein Kunstwerk" nennen - aber immerhin sei das Ergebnis "solides politisches Handwerk." Neubaur wiederum greift zur Metapher vom "Marathon", der da in den nächsten fünf Jahren auf beide Seiten zukommen werde: "Wir sind nicht am Ende, sondern dies ist erst der Anfang." Euphorie klingt anders.

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Zeit für Nachfragen - und für den Moment, in dem Wüst sein Regiezeichen setzt. Eine Journalistin will wissen, was denn nun aus Lützerath werde, dem kleinen Weiler im Rheinischen Braunkohlerevier, wo die Schaufelradbagger 200 Meter vor einem Protestcamp von Hunderten Klimaschützern darauf warten, die Erde aufzureißen. Der Chef schweigt, zeigt stumm auf Neubaur: dein Ding.

Der Regierungschef meint in dieser Sekunde nicht nur die designierte Superministerin, die (nach dem Modell von Robert Habeck im Bund) künftig in NRW für Wirtschaft und Klimaschutz, Industrie- und Energiepolitik zuständig sein wird. Er verweist die heikle Sache auch an die Ober-Grüne, der am Wochenende beim Parteitag der früheren Öko-Partei in Bielefeld eine Zerreißprobe droht: Kohlegegner haben für Sonntag Proteste angekündigt - und 7000 Menschen verpflichteten sich inzwischen, den Symbolort der Klimabewegung im Herbst gegen eine polizeiliche Räumung zu verteidigen. So wie anno 2018 den "Hambi", den Hambacher Forst. Damals war Neubaur noch dabei.

Ab 2023 wird die Braunkohle unter Lützerath gebraucht, sagt die RWE

Neubaur schluckt. Um dann weit auszuholen. Sie lobt zunächst, was die Grünen so alles durchgesetzt haben im Koalitionsvertrag mit der CDU: Zum Beispiel, dass die pauschale Mindestabstandsregel für Windräder, die bisher Rotoren in der Nähe von Siedlungen blockierte, abgeschafft wird. Künftig dürfen Windräder nicht nur in NRW-Wäldern stehen, wo der Borkenkäfer wütete, sondern auch auf Industriebrachen. Das sind durchaus grüne Erfolge, genauso wie der Kompromiss, stufenweise Solaranlagen zur Pflicht zu machen. Ab Neujahr 2023 gilt für öffentliche Gebäude, ab 2024 für neue Gewerbehallen und ab 2025 sogar für alle privaten Neubauten eine Panele-Pflicht. Und natürlich: Es bleibt beim Kohleausstieg im Jahr 2030, weshalb fünf bisher vom Abriss bedrohte Dörfer nun endgültig gerettet seien.

Geschlagene zwei Minuten vergehen, ehe Neubaur (ohne den Dorfnamen auszusprechen) in Lützerath ankommt. Man habe "im Einvernehmen mit dem Betreiber des Tagebaus" vereinbart, die Kohle "so flächensparsam wie möglich" abzubauen. Neubau meint den RWE-Konzern, der diese Woche erfahren hat, dass drei Kohlekraftwerke wegen des Kriegs in der Ukraine und drohendem Gasmangel um Jahre länger laufen sollen als bisher geplant. Diese drei Meiler brauchen Brennstoff, mehr denn je - weshalb RWE-Chef Markus Krebber diese Woche in der Süddeutschen Zeitung ankündigte: Ab 2023 wird die Braunkohle unter Lützerath gebraucht.

Der Symbolkonflikt überschattet vieles an diesem schwarz-grünen Sommertag. In der Verkehrspolitik haben die Grünen zwar nicht einen generellen Baustopp für neue Landstraßen durchgesetzt. Aber die CDU hat den Satz unterschrieben, dass beim Straßenbau "die Sanierung für uns Vorrang hat vor dem Neubau." Zugleich will NRW den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen: Bis 2030 will Schwarz-Grün ein 60 Prozent höheres Angebot an Bussen und Bahnen schaffen.

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Die CDU hingegen hat sich im schwarz-grünen "Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen" anderswo durchgesetzt. Im Kapitel zur Inneren Sicherheit unterschreiben nun auch die Grünen den Einsatz umstrittener Taser bei der Polizei. Im Vertrag wird die Waffe nun "Distanzelektroimpulsgerät" genannt, sie soll bis 2024 getestet und "wissenschaftlich begleitet" werden. Was nur ein Zeichen dafür ist, dass der Kurs von Innenminister Herbert Reul fortgilt - und der populäre CDU-Politiker fünf weitere Jahre im Amt bleiben wird.

Beim Thema Sicherheit ist die CDU obenauf

Denn auch beim zweiten strittigen Sicherheitsthema konnten sich Nordrhein-Westfalens Christdemokraten durchsetzen. "Für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität werden wir noch mehr Personal und Geld zur Verfügung stellen", sagte Hendrik Wüst. Gemeint ist damit vor allem die Bekämpfung der Clan-Kriminalität - auch wenn die Stelle im Koalitionsvertrag um die Formulierung "Mafia- und Rocker-Kriminalität" ergänzt wurde. Es folgt ein Zusatz mit grünem Anstrich: "Wir schaffen eine für die Erfassung der Straftaten maßgebliche, einheitliche polizeiliche und justizielle Definition zur Clan-Kriminalität, ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen." Das Landeskriminalamt hatte vor einigen Jahren bereits eine Definition des Begriffs erstellt.

Die CDU soll acht Ministerposten erhalten, darunter die für Landwirtschaft, Finanzen und das ungeliebte Schulressort. Den Grünen stehen neben dem Wirtschaftsministerium die drei Posten für Justiz, Verkehr sowie für Familie, Integration und Flucht zu. Wer wo Minister wird, verriet Wüst noch nicht. Weder Schwarz auf Weiß noch im grünen Park.

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