Havarien:Gefährlich und gefährdet

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Nach dem Brand auf der "Pallas" 1998 kam es zur bisher schlimmsten Ölpest in der Nordsee. Das Frachtschiff war vor der Insel Amrum gestrandet. (Foto: imago/fossiphoto)

Immer wieder geraten Frachter vor der deutschen Küste in Seenot. Seit 2003 soll ein zentrales Havariekommando Katastrophen abwenden.

Von Joshua Beer

Die vor der niederländischen Insel Ameland in Brand geratene Fremantle Highway ist bei Weitem nicht der erste Frachter, dessen Havarie Nordsee und Wattenmeer bedrohte. Durch die Nordsee verläuft eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Immer wieder stoßen hier Schiffe zusammen, laufen im flachen Küstenmeer auf Grund oder werden aus anderen Ursachen manövrierunfähig. Die Unfälle werden schnell zur Gefahr, sobald große Frachtschiffe beteiligt sind, mit Hunderten Tonnen Öl oder giftiger Fracht an Bord.

Um große Unglücksfälle zur See kümmert sich in Deutschland seit 20 Jahren das Havariekommando in Cuxhaven. Es verfügt über eigene Schlepper und übernimmt bei Schiffsunfällen die Einsatzleitung. Zu den Aufgaben zählt es, gefährdete Crewmitglieder zu bergen, mögliche Umweltkatastrophen abzuwenden und Schiffe aus der Gefahrenzone zu bugsieren. In Cuxhaven laufen Zuständigkeiten zusammen, die bis 2003 aufgesplittert waren - nur zu oft mit dem Ergebnis, dass sich niemand verantwortlich sah bei einem Notfall. Der Bund und die deutschen Küstenländer schufen das Havariekommando als Reaktion auf ein beispielloses Schiffsunglück, das die bislang größte deutsche Ölpest verursacht hatte: die Havarie des italienischen Frachters Pallas im Herbst 1998.

Das Wrack der "Pallas" vor der Insel Amrum. (Foto: Christoph Schieder/dpa)

Im Sturm vor Dänemark war auf dem Schiff mit 2500 Tonnen Holz und 750 Tonnen Schweröl an Bord Feuer ausgebrochen. Hubschrauber mussten die Besatzung retten, ein Mann starb. Der brennende Frachter trieb als Geisterschiff ungesteuert auf Sylt zu, Versuche, ihn mit Schleppern zu bergen, scheiterten. Vier Tage später strandete die 147 Meter lange Pallas südwestlich der Insel Amrum; es dauerte noch Wochen, ehe das Feuer an Bord gelöscht war. In der Zeit verlor das Wrack mehr als 140 Tonnen Öl, die die Inselstrände verseuchten. 16 000 Seevögel verendeten. Ein Untersuchungsausschuss im schleswig-holsteinischen Landtag beklagte unklare Zuständigkeiten bei den Bergungsarbeiten. Dänische Behörden waren beteiligt, ebenso mehrere deutsche Ministerien und Ämter auf Bundes- und Länderebene.

Die erste große Bewährungsprobe für das neu eingerichtete Havariekommando kam 2007: Die Duncan Island schlug auf dem Weg von Antwerpen nach Hamburg bei schwerem Seegang leck. Der Frachter verlor 90 Tonnen Öl - und neun Container mit Bananenstauden. Hunderte verölte Vögel wurden an ostfriesische Strände gespült. Die Umweltschutzorganisation WWF sprach von dem größten Unglück seit der Pallas. Wie die Pallas fuhr die Duncan Island unter der Billigflagge der Bahamas. Reedereien registrieren ihre Schiffe dort oder beispielsweise auch in Panama, weil sie so Steuern und Personalkosten sparen können. Kritiker bemängeln, dass unter Billigflaggen die Sicherheitsvorkehrungen auf Schiffen leiden. Auch die jetzt havarierte Fremantle Highway fuhr unter der Flagge Panamas, genauso wie die MSC Zoe, die im Januar 2019 in einem nächtlichen Sturm auf der Nordsee 342 Container mit teils giftigen Stoffen verloren hatte.

Die Containerschiffe werden immer größer - für Bergungskräfte ein Problem

Auch schlicht menschliches Versagen trägt zu Katastrophen bei: 2012 kollidierte die Baltic Ace mit einem anderen Containerschiff 100 Kilometer vor Rotterdam. Sie sank innerhalb einer Viertelstunde zusammen mit 1400 Autos und 540 Tonnen Öl. Elf Besatzungsmitglieder konnten nicht gerettet werden, das Wrack selbst wurde erst 2015 geborgen. Im selben Jahr fing ein 192 Meter langer Frachter westlich von Helgoland Feuer - mit 6000 Tonnen Dünger in den Lagerräumen. Das Havariekommando setzte Wasserwerfer zur Kühlung ein und verhinderte damit wohl eine Explosion.

Die schiere Größe der Containerschiffe stellt die Bergungskräfte zunehmend vor Probleme. Innerhalb eines guten Jahrzehnts verdreifachte sich die Zahl der transportierten Standardcontainer von etwa acht Millionen im Jahr 2006 auf fast 24 Millionen im Jahr 2019. Das liegt auch daran, dass die Transportschiffe fortlaufend wachsen. Vor Wangerooge musste vergangenes Jahr ein 400 Meter langes Containerschiff nach einem misslungenen Wendemanöver freigeschleppt werden.

An einer wohl nur durch viel Glück verhinderten Umweltkatastrophe machte sich allerdings auch Kritik am bestehenden Rettungskonzept fest. Im Sturm hatte sich im Oktober 2017 ein Schüttgutfrachter in der Deutschen Bucht aus der Tiefwasserreede losgerissen, einer Art Schiffsparkplatz auf See. Einen Tag lang trieb die Glory Amsterdam samt 22-köpfiger Besatzung auf die Küste zu, Bergungsversuche scheiterten. Schließlich strandete der Frachter zwei Kilometer vor der Insel Langeoog, mit 1800 Tonnen Schweröl an Bord, die allerdings nicht ausliefen.

Die "Glory Amsterdam" liegt am 30. Oktober 2017 am Strand vor Langeoog. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

"Wir können von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist", sagte Niedersachsen damaliger Umweltminister Olaf Lies (SPD) und forderte mehr Geld, Personal und weitere Kompetenzen für das Havariekommando: "Wir dürfen nicht den Fehler machen und nur reagieren, wenn es zu Umweltschäden kommt."

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