Sahelzone:Die Bundeswehr geht, der Krieg kommt

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Ein Tuareg-Kämpfer mit einem Maschinengewehr im Norden von Mali (Archivbild aus dem Jahr 2016). (Foto: AFP)

Die UN-Mission Minusma räumt ihre Stützpunkte in Mali, zugleich nehmen die Gefechte zu. Was bedeutet die Eskalation für die deutschen Soldatinnen und Soldaten?

Von Georg Ismar und Arne Perras, Berlin/München

Die Tuareg nennen es Selbstverteidigung. Ihre Anführer im Norden Malis rufen dazu auf, alle Kräfte zu mobilisieren, "mit dem Ziel, das Heimatland zu beschützen". Ein erneuter Krieg zieht auf im Westen Afrikas, den die Tuareg nicht erklärt haben wollen. Offenbar aber halten sie ihn für unvermeidlich. So jedenfalls liest sich die Erklärung, die die Coordination des Mouvements de l'Azawad (CMA) vor einigen Tagen verschickt hat. Das Bündnis vereint mehrere Gruppen der Tuareg, einem nomadischen Berbervolk, das nach Selbstbestimmung strebt. Einige dieser Kräfte sind überzeugte Separatisten, Aufstände der Tuareg haben eine lange Geschichte. Azawad ist ihr Name für jene Gebiete, die sie historisch am Rand der Sahara beanspruchen, große Teile der Territorien liegen in Mali.

Zwei Gegner haben die Tuareg auch schon klar benannt: die malische Armee, also die Truppen unter dem Kommando der Junta, die sich in Bamako an die Macht geputscht hat; und deren neue Beschützer in Gestalt russischer Wagner-Söldner, von denen etwa 1000 bis 2000 in Mali sein sollen. Die Tuareg nennen die russischen Kräfte "Terroristen", von denen sich die Zivilisten ihres Volkes möglichst fernhalten sollten. Damit ist allerdings nur eine von zahlreichen Front umrissen, die die Gefechtslage in Mali bestimmen.

Hunderte Bundeswehrangehörige sind noch in in Westafrika

Sicher ist: Es wird wieder heftig gekämpft im zerrütteten Mali, was auch deutsche Interessen tangiert. Kurzfristig geht es besonders um den sicheren Abzug der noch verbliebenen Bundeswehrsoldaten, die als Teil der UN-Mission Minusma in Mali stationiert wurden. Seitdem auch noch im benachbarten Niger Putschisten regieren, ist die Lage besonders kompliziert. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam formuliert es so: "Das Agieren verschiedener Akteure in Mali bewirkt eine permanente, latente Bedrohung im gesamten Einsatzgebiet." Seit dem Coup in Niger am 26. Juli ist der dortige Luftraum gesperrt. "Die Rückverlegung von Personal und Material auf dem Luftweg von Gao nach Niamey findet derzeit nicht statt", erklärt das Einsatzführungskommando, man nutze aber Alternativen zum Lufttransportstützpunkt Niamey. Noch etwa 785 deutsche Soldatinnen und Soldaten befinden sich laut Bundeswehr in Mali, 90 sind in Niger stationiert.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hält trotz der neu aufflammenden Gewalt in Mali bislang keine weitere Beschleunigung des Abzugs für erforderlich. Die Bundeswehr arbeite Stück für Stück am Komplettabzug bis Ende Dezember, sagt sie der Süddeutschen Zeitung. "Es gibt selbstverständlich Pläne im Falle eines Falles, um den Abzug zu beschleunigen. Stand heute ist das aber nicht erforderlich."

Mit den Einsätzen in Mali und Niger wollte die Bundesregierung ursprünglich helfen, die Sahel-Region zu stabilisieren, auch um Flucht nach Europa und speziell nach Deutschland einzudämmen. Trotz der neuen Gefechte gibt es derzeit laut Bundeswehr beim Rückzug keine größeren Probleme: "Bislang verläuft die Rückverlegung von Personal und Material planmäßig."

In Bundestagskreisen wird allerdings darüber gesprochen, dass womöglich mehr Material als geplant zurückgelassen und notfalls zerstört werden muss, damit es in Mali nicht dem Militär oder Rebellen in die Hände fällt. Zum Zeitpunkt der letztmaligen Mandatsverlängerung durch den Bundestag Ende Mai 2023 befand sich noch Material mit einem Volumen von 1500 Containern in Mali, rund zwei Drittel sollen laut Einsatzführungskommando zurück nach Deutschland. "Durch die umfangreiche Planung der Rückverlegung auf dem Luft- und Landweg, die fortlaufende Analyse der Sicherheitslage und flexible Anpassungen an die Entwicklungen in der Region sind wir sowohl personell als auch materiell in unserem Zeitplan, diese Maßnahmen bis zum Jahresende abgeschlossen zu haben", sagt ein Sprecher.

Die Dschihadisten werden immer stärker

Separatisten, Banditen, Söldner, Dschihadisten - und dazu eine Armee, die auch auf Zivilisten schießt: Die Zahl bewaffneter Gruppen in Mali ist groß. Wer mit wem jeweils paktiert, ist manchmal schwer zu überblicken. Die Gewalt islamistischer Gruppen nimmt schon seit Längerem zu, wie das vom US-Kongress finanzierte Africa Center for Strategic Studies beobachtet. Die Dschihadisten weiten ihren Einfluss offenbar wieder aus.

Seit Jahren schon ist das große Land stark zersplittert. Die nun aufflammenden Kämpfe im Norden bedeuten eine Eskalation, die auch jenseits des Truppenabzugs wichtige europäische Interessen berührt. Denn die Konflikte im Sahel bergen zahlreiche Sicherheitsrisiken, gerade für das nahe gelegene Europa: islamistische Terrorgefahr, Schmuggel- und Schleppernetzwerke, schwer kontrollierbare Migrationsströme.

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Doch die französischen Anti-Terror-Einheiten, die fast ein Jahrzehnt lang gegen islamistische Extremisten kämpften, sind abgezogen, anti-französische Ressentiments in Mali beschleunigten den Rückzug. Im Juni hat der UN-Sicherheitsrat in New York auch noch das Mandat der UN-Truppe Minusma beendet und holt seither die etwa 13 000 Blauhelm-Soldaten aus dem Krisenstaat Mali heraus, weil die herrschende Junta in Bamako sie alle nicht mehr im Land haben will.

Das hat Folgen: Durch den Abzug ausländischer Truppen öffnen sich Schritt für Schritt Räume, in die nun andere Akteure vorstoßen. Wer besetzt die frei werdenden Stützpunkte? Die Tuareg konkurrieren dabei mit Einheiten der malischen Armee und Wagner-Söldnern, sie bekämpfen sich derzeit.

Und so kollabiert das Abkommen von Algier aus dem Jahr 2015, das die Region eigentlich befrieden sollte. Der malische Staat sollte damals gestärkt werden und die Tuareg gleichzeitig Möglichkeiten bekommen, sich selbst zu verwalten. Die Vereinbarungen zielten auf mehr Entwicklung und breite Versöhnung unter den rivalisierenden Gruppen. Doch eine dauerhafte Balance hat der fragile Norden Malis nie gefunden. Nun stehen die Zeichen auf Krieg.

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