Niger:Der eine Putsch zu viel

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Der entmachtete nigrische Präsident Mohamed Bazoum hat aus der Gefangenschaft heraus einen Hilferuf verfasst. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Europa, die USA und Westafrika weigern sich standhaft, die Machtübernahme durch das Militär in Niger hinzunehmen. Zu viel steht auf dem Spiel. Doch wie weit sind sie bereit zu gehen?

Von Paul Munzinger, Kapstadt

"Ich schreibe das als Geisel": Mit diesen Worten beginnt ein Gastbeitrag des abgesetzten nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum, den am Donnerstag die Washington Post veröffentlichte. Den Militärputsch, der ihn am 26. Juli Amt und Freiheit kostete, bezeichnet Bazoum dort als "zynischen Versuch, den beachtlichen Fortschritt zu untergraben, den das demokratische Niger erreicht hat". Wenn der Putsch Erfolg hat, warnt er, "werden die Folgen für unser Land, unsere Region und die ganze Welt verheerend sein". Er bitte die US-Regierung und die internationale Gemeinschaft um Hilfe, schreibt Bazoum, "um unsere verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen".

Ein bemerkenswerter Vorgang: Ein entmachteter Präsident verfasst aus der Gefangenschaft heraus einen Hilferuf in einer US-amerikanischen Zeitung, der mindestens indirekt zum Sturz der Putschisten aufruft. Und das war nicht der erste Kontakt Bazoums mit der Außenwelt seit seiner Gefangennahme. Er postete eine kämpferische Nachricht bei Twitter. Er erhielt Besuch von Tschads Machthaber Mahamat Déby. Er telefonierte mit westlichen Politikern. Bazoum ist mitten in Nigers Hauptstadt Niamey eingesperrt - und agiert fast wie ein Exilpräsident.

Am Sonntag läuft das Ultimatum von Ecowas an die Putschisten aus

Westafrika hat allein seit 2020 drei erfolgreiche Militärputsche erlebt. Doch dieser Putsch in Niger ist anders. Und das liegt nicht nur am verblüffend präsenten Nicht-mehr-oder-vielleicht-doch-noch-Präsidenten. Es liegt vor allem daran, dass Europa, die USA und Westafrika sich anders als früher weigern, nach Protestnoten und Sanktionen zur Tagesordnung überzugehen. Sie wollen Bazoum nicht fallen lassen. Und die Frage, die sich mit jedem Tag drängender stellt, lautet: Wie weit sind sie bereit zu gehen?

Am Sonntag läuft das Ultimatum des westafrikanischen Staatenbundes Ecowas an die Putschisten in Niger aus. Vergangenen Sonntag hatte Ecowas weitreichende Sanktionen verhängt und die neuen Machthaber um General Abdourahmane Tchiani innerhalb einer Woche zur Aufgabe aufgefordert. Andernfalls werde man selbst alles Notwendige unternehmen, um Bazoum und seine Regierung wieder einzusetzen - Gewalt ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Es war eine deutlich schärfere Reaktion als zuvor bei den Putschen in Mali, Burkina Faso und Guinea. Die EU und die USA, die zuvor schon eigene Sanktionen beschlossen hatten, stellten sich hinter das Ultimatum.

Die Hoffnung, dass die Putschisten sich von der Kombination aus Kriegsdrohung und Sanktionsdruck in die Knie zwingen oder auseinandertreiben lassen würden, war zumindest in Berlin durchaus vorhanden. Doch die Putschisten zeigen keinerlei Bereitschaft einzulenken. Eine von Ecowas entsandte Vermittlungsmission erzielte am Freitag keinen Durchbruch.

Was bedeutet die Unterstützung Europas und der USA im Ernstfall?

Dass sich an dieser verfahrenen Lage bis Sonntag etwas ändert, ist nur schwer vorstellbar. Denn auch die Gegenseite - die Ecowas-Gruppe und die westlichen Staaten - dürfte kaum nachgeben. Zu deutlich haben die beteiligten Regierungen von Nigeria über Senegal bis nach Washington und Paris gemacht, dass Niger für sie der "eine Putsch zu viel" ist - so formulierte es am Donnerstag die senegalesische Außenministerin Aïssata Tall Sall.

In Nigers Hauptstadt Niamey demonstrierten am Donnerstag Tausende gegen Frankreich und Sanktionen gegen ihr Land. (Foto: Mahamadou Hamidou/REUTERS)

Für die westafrikanischen Regierungen geht es nicht zuletzt ums eigene Überleben. In vier der 15 Ecowas-Staaten hat es seit 2020 mindestens einen Militärputsch gegeben; die Mitgliedschaft von Mali, Burkina Faso und Guinea ist ausgesetzt. Nigerias Präsident Bola Tinubu forderte Anfang Juli als neuer Ecowas-Vorsitzender, dass sich die Demokratien der Region stärker zur Wehr setzen müssen gegen die drohende Putschgefahr. In Niger kommt Tinubus Strategie des "Zurückbeißens" nun erstmals zum Tragen.

Auch Europa und die USA haben viel zu verlieren. Nach dem erzwungenen Abzug aus Mali ist Niger der letzte Verbündete in der Sahelzone - mit immenser strategischer Bedeutung. Die USA haben etwa 1100 Soldaten im Land und betreiben in Agadez seit 2018 eine Drohnenbasis, von der aus Aufklärungsflüge in ganz Nordafrika starten. Frankreich hat etwa 1500 Soldaten in Niger stationiert und bezieht einen erheblichen Teil seines Urans von dort. Im Auftrag der EU hat Niger eine der wichtigsten Flüchtlingsrouten aus Subsahara-Afrika Richtung Mittelmeer dichtgemacht. All das steht auf dem Spiel, wenn sich die Putschisten an der Macht halten - und womöglich wie Mali ein Bündnis mit Moskau suchen.

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Ist ein Krieg in Niger mit unabsehbaren Folgen also noch zu vermeiden? 2017 in Gambia hatte zuletzt eine Ecowas-Truppe in einem Mitgliedsland interveniert. Doch ein Einsatz in Niger hätte eine vollkommen andere Größenordnung. Gambia ist etwa so groß wie Niederbayern, Niger ist dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland. Sollten Mali und Burkina Faso ihre Ankündigung wahr machen, müsste Ecowas es im Fall einer Intervention mit drei Putschregimen auf einmal aufnehmen. Auch deshalb gibt es Zweifel, dass die Staatengruppe ihre Drohung wahr machen würde. Der Afrika-Experte Cameron Hudson vom Center for Strategic and International Studies bezeichnete ihr Ultimatum in der New York Times als Bluff, der aufgeflogen sei.

Die Ecowas-Staaten bemühen sich seit Tagen, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Am Freitag teilte ein Sprecher mit, dass die Verteidigungsminister der Gruppe eine Intervention vorbereitet hätten, inklusive konkreten Plänen, wann und wo zugeschlagen werde. Ob dieser Plan in die Tat umgesetzt werde, müssten die Staatschefs entscheiden. Ecowas strebe nach wie vor eine diplomatische Lösung an. Nigerias Präsident Tinubu hat den Senat seines Landes Berichten zufolge bereits um Rückendeckung für die Entsendung von Soldaten nach Niger gebeten.

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