Sie wollen den Mindestlohn erhöhen, einen bundesweiten Mietendeckel sowie mehr Steuern für Millionäre. Das klingt nach Linkspartei - und das soll es auch. Bei einer Pressekonferenz in Berlin beschreibt der Co-Parteivorsitzende Martin Schirdewan die Linke immer wieder als soziale Partei und Gegenentwurf zur Ampelkoalition. "Die Regierung befindet sich in einem desolaten Zustand", sagt Schirdewan. "Die Ungleichheit in diesem Land wächst immer weiter."
Gemeinsam mit Gregor Gysi hat Schirdewan nun ein Papier vorgestellt, in dem die Partei die Abschaffung der Schuldenbremse und eine Erhöhung der Steuern für Vermögende und Reiche fordert sowie für Unternehmen, die finanziell von der Krise profitieren. Damit möchten die Linken unter anderem einen Mindestlohn von 14 Euro finanzieren, jährlich 250 000 Sozialwohnungen bauen und bei Renten, Bafög und Elterngeld rückwirkend einen Inflationsausgleich erwirken.
Für die Europawahl hat die Partei überraschend Carola Rackete vorgeschlagen
Immerhin: Der Zeitpunkt passt. Schon seit Monaten spüren weite Teile des Bevölkerung die Folgen von Pandemie und Inflation. Die Ampelparteien sparen bei sozialpolitischen Vorhaben und zerstreiten sich dabei. Und die CDU steht als größte Oppositionspartei mit ihrer ambivalenten Haltung zur AfD immer wieder in der Kritik. Eigentlich die ideale Ausgangssituation für eine Partei mit sozialem Fokus, die sich klar von rechts abgrenzt und in Ostdeutschland verwurzelt ist. Zumal man sich bei der Linken kaum Sorgen machen muss, in nächster Zeit in Regierungsverantwortung zu geraten und die Vorschläge an der Realität messen zu müssen. Wieso profitiert die Partei also nicht?
Gregor Gysi, früherer Parteivorsitzender und nun außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, verweist auf Bremen. Dort hat gerade die zweite Legislatur der rot-grün-roten Landesregierung begonnen. Gysi sieht darin einen sich wandelnden Zeitgeist - die Linke in Regierungsverantwortung, das hätte man sich auf diese Weise vor dreißig Jahren nicht vorstellen können. Gysi sagt aber auch, dass seine Partei stärker mit Menschen in Kontakt treten muss ("Ich plane wieder eine Rundreise").
Erst vor wenigen Wochen hatten die Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler einen Aktionsplan vorgestellt, in dem sie sozialpolitische Forderungen für Ostdeutschland formulierten. Dann, vor genau einer Woche, schlug die Partei überraschend Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die Europawahl vor, ein klares Signal an soziale Bewegungen und an junge Wählerinnen und Wähler. Das Papier nun ist der nächste Schritt.
Löhne und Sozialleistungen sollen automatisch mit den Preisen steigen
Die zentrale Forderung der Parteispitze ist die Kopplung der Lohnentwicklung an die Inflationsrate. Schirdewan und Gysi nennen Belgien als Vorbild. Dort werden Löhne und Sozialleistungen seit 1920 automatisch erhöht, wenn die durchschnittlichen Preise steigen - im öffentlichen Dienst wird der Lohn mehrmals im Jahr auf diese Weise angepasst, im privaten Sektor einmal jährlich. Ähnlich ist das auch in Luxemburg oder Malta geregelt. Das stärke nicht nur Gewerkschaften in ihrer Verhandlungsposition, sondern beruhige auch die Menschen, sagt Gysi.
Neue Partei:Die Sahra-Lücke
Sahra Wagenknecht will eine Partei gründen, die eine bislang beispiellose Mischung anbietet: links und national-konservativ zugleich. Davor müsste sich wohl vor allem die AfD fürchten.
Finanzieren möchte die Linke diese Vorstöße mit Änderungen bei der Besteuerung: Kleine und mittlere Einkommen sollen zwar nicht stärker belastet werden, neben der Reichensteuer soll es aber einen erhöhten Steuersatz für Menschen mit einem Einkommen von über einer Million geben. Zudem fordern Schirdewan und Gysi eine Übergewinnsteuer für Unternehmen etwa im Energiesektor, die von der Krise gewinnen. "Wir schlagen eine Steuerreform vor", sagt Gysi und macht eine kurze Pause bevor er ergänzt: "Zumindest wir beide."
Schirdewan betont immer wieder, dass es bei dem Programm um soziale Politik gehe, Gysi gesteht aber ein, dass ein Papier wie dieses immer auch nach innen wirke. Also in die Partei, die bei den letzten Bundestagswahlen nur knapp in das Parlament einzog, für ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine kritisiert wird und zuletzt in der Öffentlichkeit vor allem durch den Rosenkrieg mit Sahra Wagenknecht wahrgenommen wurde. Mit Wagenknecht führe er übrigens auch weiterhin Gespräche, sagt Gysi. Klarheit gewinne er dadurch nicht.