Energiewende:Wundertüte der Nation

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Die Quittung für "finanzpolitische Taschenspielertricks"? Bundesfinanzminister Christian Lindner wird nun neu rechnen müssen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Im Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung klafft nun ein riesiges Loch. Dabei sind schon jetzt mehr Ausgaben eingeplant, als überhaupt Geld da ist.

Von Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Die Verhandlungen liefen bis tief in den Abend, es ging um Milliarden. Aber als sich beide Seiten endlich einig waren, durfte das genaue Ergebnis keiner wissen. Schnell war das Wort "Geheimvertrag" in der Welt: eine diskrete Abmachung zwischen der Bundesregierung und den Betreibern der deutschen Atomkraftwerke. So kam jener Fonds in die Welt, über den ganz Deutschland nun spricht, 13 Jahre ist das her. Fast wirkt es so, als habe das Projekt nie unter einem guten Stern gestanden.

Denn der "Klima- und Transformationsfonds", dem das Bundesverfassungsgericht nun die Mittel kürzt, war bis vor gut einem Jahr noch der "Energie- und Klimafonds", und dessen Geburtsstunde liegt in jener Nacht, in der die schwarz-gelbe Bundesregierung im Herbst 2010 mit den Atomkraft-Betreibern längere Laufzeiten aushandelte. Die Idee: Zusätzliche Atomstrom-Erlöse sollten über eine komplizierte Formel in diesen "Förderfonds" fließen, auch die Einnahmen aus einer Brennstoffsteuer sollten hier landen.

Ob Heizungsgesetz oder Chip-Fabriken: Alles finanziert der Fonds

Nicht mal ein Jahr später war die Laufzeitverlängerung Geschichte. Der Energie- und Klimafonds aber blieb, als sogenanntes Sondervermögen des Bundes. Immer mehr entwickelte er sich in der Folge zur eisernen Reserve: Brauchte es rasch Geld für Dinge, die auch nur im Entferntesten nach Klimaschutz klangen - hier fand es sich. Nicht nur neue Fenster und Dämmplatten für Häuser wurden aus dem Fonds mitfinanziert, sondern auch die Förderung der Elektromobilität oder der Schutz von Mooren. Und als die alte Bundesregierung wegen drohender Diesel-Fahrverbote in Städten ins Schwitzen kam, organisierte sie rasch ein "Sofortprogramm Saubere Luft" - mit Geld aus dem Energie- und Klimafonds.

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Aber nie war der Topf für eine Regierung so wertvoll wie heute. Das liegt auch daran, dass die Einnahmequellen des Fonds seit Jahren mehr sprudeln als je zuvor. Denn längst speist er sich nicht mehr aus Atomsteuern, sondern aus Klimaschutzeinnahmen. So versteigert der Bund regelmäßig Emissionszertifikate - die wiederum Industrie und Kraftwerke kaufen müssen, um überhaupt CO₂ ausstoßen zu dürfen. Jahrelang dümpelte der Preis für diese Zertifikate unter zehn Euro je Tonne, doch seit gut vier Jahren steigt er - auf mittlerweile mehr als 80 Euro. In diesem Jahr könnten so rund 7,3 Milliarden Euro in den Fonds fließen. Zudem zahlen Bürgerinnen und Bürger seit 2021 einen CO₂-Preis auf Heizöl, Erdgas und Sprit. Auch diese Einnahmen fließen in den Fonds: 8,6 Milliarden allein in diesem Jahr. Und diese Preise steigen in den kommenden Jahren, und also auch die Einnahmen. Etwa 100 Milliarden Euro liegen derzeit in dem Fonds, die beanstandeten 60 Corona-Milliarden inklusive.

Doch noch schneller als die Einnahmen wuchsen die Ausgaben, respektive die Ausgabenwünsche. Denn die Ampelkoalition benannte den Fonds nicht nur in "Klima- und Transformationsfonds" um, sie machte ihn auch zum Herzstück ihres größten Vorhabens: der klimafreundlichen Transformation.

Beispiel deutsche Industrie: Sie soll sich in den nächsten Jahren von fossiler Energie abwenden und stattdessen auf saubere Brennstoffe wie grünen Wasserstoff umsteigen. Das jedoch verursacht Mehrkosten, die geschultert werden müssen: Allein in diesem Jahr stehen für die "Dekarbonisierung der Industrie" 2,2 Milliarden Euro im Wirtschaftsplan des Fonds. Und für die nächsten zwei Jahrzehnte insgesamt 23 Milliarden.

Beispiel Heizungsgesetz: Damit Bürgerinnen und Bürger trotz der vermurksten Heizungsdebatte dieses Jahres noch in saubere Energie investieren, gibt der Fonds allein in diesem Jahr 16,9 Milliarden Euro für "Maßnahmen der Energieeffizienz und erneuerbarer Energie im Gebäudebereich" her. Kommendes Jahr sollen es sogar 18,7 Milliarden Euro sein. Hunderte Millionen sollen auch in den Umbau der Wärmenetze fließen

Dazu gesellten sich alle möglichen anderen Vorhaben. Das Bundeswirtschaftsministerium etwa wollte die Ansiedlung von Chip-Fabriken unterstützen, fand dafür aber im eigenen Haushalt kein Geld. Nun steht auch die "Mikroelektronik" im Plan, mit allein vier Milliarden im kommenden Jahr und weiteren 7,2 Milliarden bis 2030. Schließlich sei die "für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität von großer Bedeutung". Auch der Investitionsstau bei der Bahn soll mithilfe des Fonds abgebaut werden, 12,5 Milliarden Euro sind dafür bis 2027 vorgesehen. Schließlich, so das Argument, handle es sich um einen klimafreundlichen Verkehrsträger.

Und um ein Haar wäre auch der geplante Industriestrompreis durch den Fonds finanziert worden. Der hätte zwar mit Klimaschutz nicht viel zu tun, aber das hätte sich schon deichseln lassen: Schließlich kann man eine Industrie, die erst einmal abgewandert ist, nicht mehr dekarbonisieren. Dann aber wurde klar, dass der Fonds längst deutlich überzeichnet ist - und das war noch vor dem Richterspruch aus Karlsruhe.

"Für den Schutz des Klimas ist dieses Urteil ein herber Rückschlag."

Wofür in Zukunft überhaupt noch Geld da ist und was aus den vielen schönen Plänen wird, das ist einstweilen offen. Zumal es eine Reihe von Ausgaben gibt, die sich kaum werden zurückfahren lassen. So hatte die Bundesregierung mit viel Tamtam die Ökostrom-Umlage abgeschafft, als eine Art Rückerstattung des CO₂-Preises. Macht 12,6 Milliarden Euro allein im kommenden Jahr. Auch Teile der Industrie werden für Zusatzkosten im europäischen Emissionshandel kompensiert; die Koalition hatte diese Entlastung erst vorige Woche für fünf Jahre verlängert. Das kostet noch einmal 2,6 Milliarden Euro.

Das sogenannte Klimageld dagegen, das die Koalition den Bürgern eigentlich als Ausgleich für die höheren CO₂-Abgaben zukommen lassen wollte, rückt nun in weite Ferne. Dabei hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) hausintern das Ziel ausgegeben, möglichst schon Anfang 2025 - also noch vor der Bundestagswahl im Herbst desselben Jahres - mit der Auszahlung der Kompensation zu beginnen. Noch wäre das möglich, allerdings müsste Lindner dafür einen eisernen Grundsatz über Bord werfen: Da die ursprünglichen Corona-Hilfen ohnehin via Kredit finanziert werden sollten, könnte er die 60 Milliarden einfach als Darlehen über den regulären Bundeshaushalt aufnehmen. Problem: Dafür müsste die Schuldenbremse noch einmal ausgesetzt werden, was der Minister politisch bisher strikt ablehnt und überdies zur nächsten Klage in Karlsruhe führen dürfte.

Im Grunde könnte man es sich im Finanzministerium leicht machen und es Habeck überlassen, die aus dem KTF finanzierten Klimaschutzprogramme nach Wichtigkeit zu ordnen und weniger Bedeutendes rauszuwerfen. So hatte Lindner in der Vergangenheit schon argumentiert, wenn der Kabinettskollege mit zusätzlichen Ausgabenwünschen bei ihm vorstellig geworden war. Allerdings räumt man in Regierungskreisen ein, dass es nicht die Bringschuld eines einzelnen Ministers, sondern schon Aufgabe des gesamten Kabinetts und der gesamten Koalition sei, die Klatsche aufzuarbeiten, die das Verfassungsgericht der Regierung verpasst hat.

So oder so: Umweltschützer sehen bereits schwarz. "Für den Schutz des Klimas ist dieses Urteil ein herber Rückschlag", sagt Greenpeace-Chef Martin Kaiser. Jetzt rächten sich "finanzpolitische Taschenspielertricks", mit denen die Koalition den klimaneutralen Umbau habe finanzieren wollen. Immerhin: Kaiser klagt nicht nur, er listet auch alternative Finanzquellen auf, derer sich die Ampel bedienen könnte. Neben Krediten oder neuen Steuern biete sich etwa der Abbau klimaschädlicher Subventionen an. Das wäre in der Tat ein Vorhaben, das sogar schon im Koalitionsvertrag steht. Einziges Problem: Bislang haben SPD, Grüne und FDP noch nicht einmal einen Konsens darüber gefunden, was das denn überhaupt ist, eine klimaschädliche Subvention.

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