Berlin:Wenn der Ungeist mitpredigt

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Die Kanzel in der Martin-Luther-Gedächtniskirche im Berliner Stadtteil Mariendorf. Das Relief zeigt Jesus umringt von einer deutschen Familie, daneben ein Soldat mit Stahlhelm und ein SA-Mann in Stiefeln. (Foto: imago)

In 800 Kirchen finden sich Nazi-Embleme, ein Bau in Berlin- Mariendorf sticht heraus. Die Gläubigen suchen nach dem richtigen Umgang mit der Vergangenheit - auch an Heiligabend.

Von Jan Heidtmann

Auf die evangelische Gemeinde im Berliner Ortsteil Mariendorf wartet ein ungewöhnlicher Heiligabend. Jedenfalls werden ihre Mitglieder in diesem Jahr für Gottesdienst mit Krippenspiel und Christvesper auf die prächtige Martin-Luther-Gedächtniskirche verzichten müssen. Das liegt nicht etwa daran, dass das Stammhaus baufällig wäre. Es wurde erst 1935 eingeweiht, gilt deshalb umgangssprachlich aber als "Nazi-Kirche". Landesverband und Gemeinde haben sich nun darauf geeinigt, die Pforten an Heiligabend geschlossen zu halten, da der Ungeist der Nationalsozialisten sonst "mitpredigt".

In der ganzen Republik gibt es etwa 800 Kirchen, evangelische wie katholische, die als "belastet" gelten. Die Nähe so mancher Gemeinden zu den Nazis wurde da klar sichtbar: Sei es durch Orgelpfeifen mit dem Ebenbild von Adolf Hitler oder durch Glocken, die mit Hakenkreuzen versehen wurden. Doch diese Embleme waren leicht aus dem Weg zu räumen. So manche Glocke landete im Museum, die Orgelpfeife wurde einfach abgedeckt. Im Fall der Martin-Luther-Gedächtniskirche ist das anders. Sie sei "ein hochgradig belastetes Gesamtkunstwerk", sagt die Kunsthistorikerin Beate Rossié.

Das beginnt schon bei dem Altarkreuz, an dem kein leidender Jesus hängt, sondern eine heldische Figur mit hochgerecktem Kinn. Auf der hölzernen Kanzel sind Frau und Kind neben einem Wehrmachtssoldaten eingearbeitet, das gesamte Ensemble wird von einem Triumphbogen überwölbt. Darauf Hunderte Fliesen mit christlichen Symbolen, aber auch dem Konterfei eines SA-Mannes; NS-Symbole wie das Hoheitszeichen oder das Hakenkreuz wurden nach 1945 entfernt. Eine Synthese von Nationalsozialismus und Christentum, die der Ideologie der "Deutschen Christen" entsprach.

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Die Mariendorfer Gemeinde hatte sich schon vor Jahren der düsteren Vergangenheit ihres Kirchenbaus gestellt. Seit 2003 gehört sie aktiv der Nagelkreuzgemeinschaft an, einem weltweiten Netzwerk, das sich für Versöhnung einsetzt; seit 2004 wurden nur noch einige große Gottesdienste hier abgehalten. Es gab auch die Überlegung, das Gebäude ganz abzureißen. Kunsthistorikerin Rossié hielte das für einen Fehler. Sie hat viel an der Kirche geforscht, sie sei ein einmaliges Zeitzeugnis. "Wir haben uns alle dafür engagiert, dass dort ein Erinnerungsort entsteht." Die Frage ist nur, wie?

2022 hat die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg ein Gesetz zum Umgang mit belasteten Gebäuden erlassen. Seitdem befindet sie sich im Clinch mit den Mariendorfern, wie der Kirchenbau angemessen zu nutzen sei. Die Gemeinde kritisierte "ein Gottesdienstverbot für die Martin-Luther-Gedächtniskirche", wie es im Gemeindebrief vom vergangenen April heißt. Erst im Sommer haben sich die Mariendorfer dann bereit erklärt, dort keine regulären Gottesdienste mehr stattfinden zu lassen. "Die Gemeinde befindet sich in einem Gesprächsprozess mit dem Konsistorium der Landeskirche", erklärt Pfarrer Detlef Lippold. Erste Ergebnisse gebe es im Frühjahr.

Obdachlos sind die 5800 Mitglieder dennoch nicht. Zur Gemeinde gehört auch die "Dorfkirche" - sie wurde im 13. Jahrhundert vom Templerorden errichtet.

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