Zora Fotidou wurde am Mittwoch von Polizisten raus aus dem Protestcamp in Lützerath gebracht, bis dahin hatte sie den Großeinsatz für die Kanäle der Aktivisten in den sozialen Netzwerken gefilmt. "Mir wurde mit einem Schmerzgriff ein bisschen die Hand verdreht, das tat weh, dann bin ich mitgelaufen", sagt die 21-jährige Studentin, "aber es ärgert mich, dass ich nicht mehr drin bin." Doch sie glaube, es noch mal ins Protestcamp zu schaffen, sagt Fotidou: "Es ist noch nicht vorbei." Die Solidarität und Aufmerksamkeit, die Lützerath aus der ganzen Welt erfahre, gebe ihr Zuversicht.
Sie sitzt in einem Ski-Anzug am Freitagmittag auf einer Bierbank in einem Zelt, der Regen prasselt auf das Dach. Hier im sogenannten Ausweichcamp in Keyenberg, 3,4 Kilometer von Lützerath entfernt, sammeln sich mehr als tausend Aktivistinnen und Aktivisten auf einer Wiese mit Hunderten Zelten, Hütten und Wagen. Die Menschen stehen knöcheltief im Schlamm. An diesem Ort kommen auch die Aktivisten an, wenn sie von der Polizei aus Lützerath geräumt wurden.
"Die Stimmung ist total komisch gerade", sagt Zora Fotidou, die eigentlich anders heißt, "einerseits sind wir alle hier richtig optimistisch und entschlossen, bereiten uns voller Energie auf die Großdemo morgen vor. Gleichzeitig bekommen wir hier die ganze Zeit mit, was in Lützerath gerade passiert."
Was sie da noch nicht weiß: Ihre prominenteste Unterstützerin ist einen Tag früher als geplant angereist. Die Schwedin Greta Thunberg rief am Freitag in Lützerath zum Widerstand gegen das Abbaggern des Weilers durch den Energiekonzern RWE auf: "Kämpft für das Überleben", sagte Thunberg. "Lützi bleibt!", skandierte sie mit Demonstranten.
Es ist Tag drei der Räumung. Unmittelbar vor deren Beginn hatte Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach einen Großeinsatz von vier Wochen prognostiziert. Nun sagt ein Sprecher seiner Behörde, man wolle bis zum Freitagabend "alle Besetzer über der Erde" aus dem Protestdorf schaffen - also alle Baumhäuser, Holzgestelle und Gebäude nach nur drei Tagen geräumt haben. Als Ungewissheit bleiben drei Erdlöcher. In der größten unterirdischen Konstruktion harren zwei Besetzer aus, inzwischen wird frische Luft in das Loch gepumpt. Spezialkräfte der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks sollen ihre Bergung übernehmen.
Es könnte also passieren, dass sich am Samstag nur noch Polizisten und Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE in dem Weiler an der Abbruchkante zum Tagebau aufhalten. RWE hat das Dorf inzwischen mit einem doppelten Zaun gegen Rückkehrer gesichert, der Konzern müht sich, "alle bewohnbaren Strukturen" wie zwei alte Bauernhöfe, Scheunen, Holzhütten oder Baumhäuser abzureißen und zu zerstören.
Auf einer matschigen Wiese werden am Samstag Tausende Demonstranten erwartet
Zur Machtprobe könnte der Samstag werden: Umweltverbände, Braunkohlegegner und Klimaaktivisten haben zur Großdemonstration im Rheinischen Revier aufgerufen. Ursprünglich sollte die Veranstaltung gegen Mittag in Lützerath beginnen, nun wird die große Bühne am Rande einer - nach Dauerregen eher matschigen - Wiese zwischen dem Symboldorf und dem drei Kilometer nördlich gelegenen Keyenberg aufgebaut.
Die Polizei vereinbarte mit den Veranstaltern ein Gelände "in Sichtweite" des Ortes, den die Klimabewegung zur deutschen 1,5-Grad-Grenze erklärt hatte. Mehrere Hundert Polizisten dürften in Polizeiketten versuchen, die Demonstranten an einem Marsch nach Lützerath oder an einem Eindringen in den Tagebau Garzweiler II zu hindern. Die Behörden rechnen mit einer Teilnehmerzahl "im hohen vierstelligen Bereich". Zora Fotidou träumt, trotz Regen und Wind, derweil von bis zu 55 000 Menschen.
Am Freitagmorgen hatten Spezialkräfte der Polizei das letzte noch besetzte Gebäude in Lützerath geräumt. Die Polizisten holten mehrere Dutzend Aktivisten aus einem Wohnhaus und von dessen Dach. Eine Besetzerin mit dem Aktivistennamen "Indigo" filmte den Einsatz aus dem Wipfel eines Baumes. Die 27-jährige Berlinerin war bereits vor fünf Jahren an den Protesten gegen die damals geplante und letztlich gestoppte Rodung des Hambacher Forsts dabei. "Das war die effektivste Klimaschutz-Maßnahme, die es in Deutschland je gab," hatte sie unmittelbar vor Beginn der Räumung behauptet. Auch die Rettung der fünf Dörfer nördlich von Lützerath, darunter Keyenberg, verbuchte sie als einen Erfolg der Klimabewegung: "Wir haben schon zweimal gewonnen."
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Lützerath wurde nicht ihr dritter Sieg. Und dennoch klang die Besetzerin zuversichtlich, als sie im Livestream per Handy filmte, wie ein Höhenretter der Polizei in den Baum stieg: "Egal, wie es an diesem Ort ausgeht - wir lassen uns nicht aufhalten." Dann brach sie die Übertragung ab.
Während die Polizei erklärt, dass es bei der Räumung überraschenderweise weniger Probleme als erwartet gebe, sprechen viele Aktivisten von "massiver Polizeigewalt". Auch Zora Fotidou sagt: "Wir sind wütend und entsetzt, auf welche brutale Weise der Protest geräumt wird und Grundrechte beschnitten werden." Sie selbst habe kaum Gewalt erfahren, "klar, der Schmerzgriff war unnötig", wisse aber von Menschen, die mit Stöcken geschlagen worden seien, denen ein Finger gebrochen worden sei. Auch dass Bäume ohne Sicherheitsabstand zu anderen Bäumen, in denen noch Menschen sitzen, gerodet würden, besorgt die Aktivsten. "Ganz oft scheißt die Polizei auf die Sicherheit der Protestierenden", sagt Fotidou.
Unterdessen setzen sich die Solidaritätsproteste an anderen Orten auch am Freitag fort: Vor der RWE-Zentrale in Essen machten Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" eine Sitzblockade. Drei von ihnen ketteten sich an einem Rolltor fest. In Berlin randalierten etwa 200 vermummte Menschen gegen die Räumung von Lützerath. Am Donnerstag war die Parteizentrale der Grünen in Düsseldorf besetzt worden, die Polizei hatte die Protestierer nach zehn Stunden weggetragen.