Veröffentlichung der NSU-Akten:Dürfen die das?

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Wer unter Verschluss stehende Dokumente veröffentlicht, kann sich auch als Journalist strafbar machen. Der hessische Verfassungsschutz deutet Konsequenzen an, Teile der Politik üben Kritik an Jan Böhmermann und "Frag den Staat". Es gibt aber auch Zustimmung dafür, den NSU-Bericht online zu stellen.

Von Kerstin Lottritz und Gianna Niewel

120 Jahre lang sollten die NSU-Akten vor der Öffentlichkeit ursprünglich geheim gehalten werden. Die Tatsache, dass der Abschlussbericht der internen Untersuchung des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zur Verschlusssache erklärt wurde, führte in den vergangenen Jahren zu viel Protest. Dadurch wurden die Akten zu einem Symbol des Mauerns der Behörden bei der Aufklärung des NSU-Terrors.

Nun haben also das Team um Jan Böhmermann und das Portal "Frag den Staat" das als geheim eingestufte Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Recht auf Informationen hat jedoch auch seine Grenzen, zumindest juristische: Wer unter Verschluss stehende Akten veröffentlicht, kann sich strafbar machen. Laut Paragraf 353 b des Strafgesetzbuchs kann der Geheimnisverrat mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Droht Böhmermann also ein Verfahren?

Immer wieder müssen sich Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verantworten. 2002 etwa verweist SZ-Redakteur Hans-Jörg Heims in einem Artikel über die Ermittlungen in der CDU-Finanzaffäre als Quelle auf Handakten der Augsburger Staatsanwaltschaft, die als geheim eingestuft sind. Die Behörde wirft ihm daraufhin Beihilfe zum Geheimnisverrat vor. Ein entsprechendes Verfahren wird eingestellt. Im September 2005 zitiert der freie Journalist Bruno Schirra in einem Text über den Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi für das Magazin Cicero aus geheimen Unterlagen des Bundeskriminalamts. Die Staatsanwaltschaft Potsdam lässt während der Ermittlungen die Redaktion sowie die Privaträume von Schirra durchsuchen. Das sei verfassungswidrig und gegen die Pressefreiheit, urteilte im Februar 2007 das Bundesverfassungsgericht. Nach diesem sogenannten Cicero-Urteil wurde der Paragraf 353 b um den Absatz 3 a erweitert. Demnach handeln Journalisten nicht rechtswidrig, "wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses" beschränken.

Wenn man aber ein komplettes Dokument veröffentlicht? Das ZDF, Böhmermanns Redaktion vom "ZDF Magazin Royale" und "Frag den Staat" haben bei ihrer Veröffentlichung der NSU-Akten offenbar bewusst mögliche rechtliche Konsequenzen in Kauf genommen. "Sollte sich das Landesamt für Verfassungsschutz dennoch dafür entscheiden, nach der desolaten Aufarbeitung des NSU jetzt auch noch Journalist*innen zu verfolgen, die für Aufklärung sorgen, sind wir darauf vorbereitet", teilte das Portal "Frag den Staat" der SZ mit. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Hessen deutete bereits am Samstag rechtliche Schritte an. Man sei "insbesondere im Hinblick auf enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden".

Deutlicher wird Holger Bellino, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU im Landtag, die dort gemeinsam mit den Grünen regiert und die Akten am liebsten unter Verschluss gehalten hätte: "Die Pressefreiheit hat ihre Grenzen und diese hat Jan Böhmermann meines Erachtens überschritten." Auch die Grünen im Landtag verweisen darauf, dass es "in der Natur der Sache" liege, "dass Ermittlungen und Beobachtungen der Sicherheitsbehörden nicht öffentlich geführt werden können". Einzelne könnten nicht einfach so entscheiden, was veröffentlicht werde.

Die hessische Linke hingegen hatte lange dafür gekämpft, dass zumindest Teile der Akten herabgestuft werden. Torsten Felstehausen, der im Untersuchungsausschuss zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke mit den NSU-Akten zu tun hatte, glaubt, dass der Bericht vor allem ein schlechtes Licht auf die Arbeit des Verfassungsschutzes werfe. Um den Schutz des Landes oder von Quellen gehe es weniger. Auch die heutige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), als hessische Abgeordnete jahrelang mit dem dortigen NSU-Untersuchungsausschuss vertraut, unterstützte einst die Petition von mehr als 130 000 Bürgern, die Akten offenzulegen. Auf Anfrage hieß es nun allerdings, das Bundesinnenministerium äußere sich möglicherweise erst kommende Woche.

Jan Böhmermann ist bekannt dafür, die Grenzen der Pressefreiheit immer wieder auszutesten. Im März 2016 trug er in seiner damaligen Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht vor, das Beleidigungen gegen den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan enthielt. Er wollte damit demonstrieren, wie in Deutschland strafbare Schmähkritik aussieht. Erdoğan verlangte ein Strafverfahren nach Paragraf 103 wegen Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt. Teile des Gedichts sind nach wie vor öffentlich verboten, doch Böhmermann hat dennoch einen Erfolg zu verbuchen: Seit vier Jahren ist Paragraf 103 abgeschafft.

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