Als die Reise bekannt gemacht wurde, war Israels Premierminister Naftali Bennett schon in der Luft - auf dem Weg zu einem Treffen mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi. Die beiden kamen am Montagnachmittag in Scharm el-Scheich auf dem Sinai zusammen. Es ist der erste offizielle Besuch eines israelischen Regierungschefs in Ägypten seit mehr als zehn Jahren. Zu bereden gab es bei dem vier Stunden langen Treffen wahrlich eine Menge. Denn Ägypten dient traditionell als Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt. Brennpunkt ist derzeit wieder der Gazastreifen. Und genau dazu hatte Israels Außenminister Jair Lapid just am Tag vor dem Gipfeltreffen auf dem Sinai eine neue israelische "Vision" skizziert.
Ägypten hatte als erstes Land bereits 1979 mit Israel Frieden geschlossen, doch die Beziehungen blieben stets kühl und pragmatisch. Am Montag sagte Bennett jedoch, es sei jetzt "die Grundlage für eine tiefe Beziehung" gelegt worden. Die seit Juni amtierende neue israelische Regierung hatte schon früh die Kontakte nach Kairo gesucht. Das liegt im beiderseitigen Interesse, denn al-Sisi kann mit guten Beziehungen zu Israel sein Ansehen in Washington verbessern. Dort war er nach der Amtsübernahme von US-Präsident Joe Biden wegen der Menschenrechtslage in seinem Land in Misskredit geraten. Für al-Sisi geht es dabei um die Freigabe amerikanischer Militärhilfe in Höhe von Hunderten Millionen Dollar.
Die Einladung an Bennett war bereits im vorigen Monat ausgesprochen worden bei einem Besuch des ägyptischen Geheimdienstchefs Abbas Kamel in Jerusalem. Der genaue Termin war jedoch bis zuletzt geheim gehalten worden. Die ägyptische Seite vermeldete nun, dass es neben bilateralen und regionalen Fragen auch um "Anstrengungen zur Wiederbelebung des Friedensprozesses" gegangen sei. Ägypten, so heißt es, biete sich als Gastgeber einer internationalen Friedenskonferenz an.
Da neue Verhandlungen zwischen Israel und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas jedoch derzeit nirgends auf der Tagesordnung stehen, dürfte der Fokus der Gespräche auf dem Gazastreifen gelegen haben. Nach dem jüngsten Krieg zwischen Israel und der dort herrschenden Hamas im Mai hatte Ägypten eine Waffenruhe vermittelt, die aber bis heute brüchig geblieben ist. Zuletzt waren drei Nächte hintereinander aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel abgefeuert worden. Israel antwortete jeweils mit Luftangriffen auf Stellungen der Hamas.
Die Blockade hat zu Elend und Radikalismus geführt
Noch bewegt sich dieser Schlagabtausch im Rahmen der Konfliktroutine, doch die Gefahr einer Eskalation ist stets gegeben. Mitten hinein in diese neueste Aufwallung stellte Israels Außenminister Lapid nun bei einer Konferenz in Herzliya einen Plan für den künftigen Umgang mit Gaza vor. Der Kern des Angebots: Wirtschaftsaufbau gegen Sicherheit.
Die neue israelische Regierung, so erklärte er, sei "bereit, im Austausch für Ruhe mehr zu geben als früher". Zugleich warnt er jedoch: Wenn die Ruhe nicht eingehalten wird, dann werde "auch die Antwort darauf härter ausfallen als früher".
Lapids Initiative zielt darauf ab, die Lebensbedingungen der mehr als zwei Millionen Einwohner im Gazastreifen zu verbessern. Nach einem palästinensischen Bruderkrieg herrscht dort seit 2007 die Hamas. Seither ist eine israelische Blockade in Kraft, die zur Verelendung und Radikalisierung der Bevölkerung geführt hat. Lapid konstatierte nun zwischen den Zeilen ein Scheitern der Blockadepolitik, die weder den Schmuggel noch die Produktion von Waffen im Gazastreifen verhindert habe. Als Alternative bietet er einen auf mehrere Jahre angelegten "Zwei-Stufen-Plan" zur Öffnung an.
In der ersten Stufe soll die von den Kriegen beschädigte Infrastruktur im Gazastreifen wieder aufgebaut werden. Strom- und Wasserversorgung sowie das Gesundheitswesen sollen verbessert werden. Für die Finanzierung setzt Lapid auf Hilfe der internationalen Gemeinschaft, die zugleich sehr genau darüber wachen soll, dass die Hamas nichts von der Aufbauhilfe zur Waffenproduktion abzweigt.
Israel ist für den Bau einer künstlichen Insel
Stufe zwei soll erst nach einer längeren Zeit der Konfliktruhe beginnen. In dieser Phase könnten ehrgeizige Projekte der Wirtschaft im Gazastreifen zum Aufschwung verhelfen. Dazu zählt der Bau einer künstlichen Insel mit einem Hafen sowie ein Landkorridor zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland. Als Bedingung nennt Lapid allerdings, dass die mit der Hamas verfeindete Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Abbas die zivile Kontrolle im Gazastreifen übernehmen müsste.
Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Hamas der eigenen Entmachtung zustimmen wird. Fürs Erste zielt Lapid deshalb wohl auf Zeitgewinn ab. Im aufgeheizten Klima nach dem jüngsten Gaza-Krieg wäre schon die Vereinbarung einer längerfristigen Waffenruhe ein Erfolg. Dringend benötigt wird dazu die Hilfe des Vermittlers Ägypten.