Sachsen-Anhalt:IT-Fachkräfte verzweifelt gesucht

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Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) besucht eine Baustelle von Intel bei Dublin. Die Firma will sich auch in Magdeburg ansiedeln. (Foto: Christopher Kissmann/dpa)

Mit der 17-Milliarden-Euro-Investition von Intel in Magdeburg könnte Sachsen-Anhalt wirtschaftlich in die erste Liga aufsteigen. Die Landesregierung garantiert deshalb eine ausreichende Zahl notwendiger Spezialisten. Doch bei aller Euphorie: Woher sollen die kommen?

Von Iris Mayer, Magdeburg

Wenn Reiner Haseloff über die geplante Intel-Ansiedlung in Magdeburg spricht, mangelt es nicht an Stolz: "Wir sind ein Aufsteigerland", sagt der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, "wir wollen oben mitspielen." Für das Land breche eine neue Zeitrechnung an, vergleichbar mit dem historischen Wendeherbst 1989/90. Der Bau einer Megafabrik, für die Intel 17 Milliarden Euro in Magdeburg investieren will, katapultiert das Bindestrich-Bundesland mit einem Schlag auf den Globus der wichtigsten Wirtschaftsstandorte. Selbst die Gigafactory von Tesla in Grünheide kommt "nur" auf eine Investitionssumme von 5,8 Milliarden Euro.

70 Standort-Konkurrenten in Europa hat Magdeburg dafür ausgestochen, nun will man auch in Deutschland die Rolle des Aschenputtels abstreifen. "Ich bin sicher, dass Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren viele Bundesländer hinter sich lassen kann", sagt Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU). Insgesamt sollen mindestens 10 000 neue Jobs entstehen - allein für die 2023 startende Bauphase werden 7000 gebraucht. In den beiden geplanten Intel-Halbleiterwerken sollen dann dauerhaft 3000 Spezialisten in der Chipherstellung arbeiten, Tausende weitere könnten folgen - vorausgesetzt, die EU gibt ihrerseits die Fördermittel frei.

Auch der Tech-Konzern geizt nicht mit Zuversicht: "Wir haben das große Los gezogen", sagt Intel-Deutschland-Chefin Christin Eisenschmid der Süddeutschen Zeitung. Ausschlaggebend für Magdeburg seien neben der Verfügbarkeit der passenden Fläche von 450 Hektar ("flach, quadratisch, altlastenfrei und erdbebensicher") und der guten Infrastruktur die Aussicht gewesen, auch die geeigneten Fachkräfte zu bekommen. In einer Verpflichtungserklärung geben Landesregierung und Bundesagentur für Arbeit (BA) Intel dafür sogar eine Garantie. Haseloff, früher selbst Arbeitsamtsdirektor in Wittenberg: "Uns ist klar, dass wir hier liefern müssen."

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Um beim Planungstempo von Intel Schritt halten zu können, wird sich eine eigene Stabsabteilung namens "Silicon Junction" in der Staatskanzlei um alle Intel-Fragen kümmern, auch die BA richtet ein eigenes Intel-Team ein, das später direkt auf dem Firmengelände sitzen soll. Stolz blickt man bei der BA auf das Beispiel Tesla. Man habe dort "eine vierstellige Zahl" später Beschäftigter unterstützt und 600 Arbeitslose in einen Job vermittelt. Matthias Kaschte, Chef des Arbeitsagenturbezirks Sachsen-Anhalt Nord, weiß aber auch: "Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wir brauchen zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute." Doch woher nehmen in Zeiten ausgeprägten Fachkräftemangels?

"Wir brauchen zum Glück nicht alle auf einmal"

Oliver Holtemöller klingt bei dieser Frage deutlich zurückhaltender als die Politik: "Es wird nicht leicht, so viele qualifizierte Fachleute zu finden", warnt der Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Bis 2060 ist der Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung in den ostdeutschen Flächenländern mehr als doppelt so groß wie in den westdeutschen, hat das IWH berechnet. Holtemöller: "Dieses Problem verschwindet durch die Ansiedlung von Intel nicht. Sachsen-Anhalt braucht dauerhaft erhebliche Zuwanderung, wenn die Wirtschaftsleistung nicht gedämpft werden soll. Qualifizierte Arbeitskräfte werden überall gesucht, da wartet niemand auf eine Chance in Magdeburg."

Doch Intel hat sich ausdrücklich vorgenommen, so viele Spezialisten wie möglich lokal zu rekrutieren. "Wir hoffen auch, dass wir Arbeitskräfte zurückbekommen, die über die Zeit abgewandert sind oder derzeit weit fahren müssen", sagt Christin Eisenschmid. Laut BA-Statistik pendeln 140 000 Arbeitnehmer für die Arbeit in ein anderes Bundesland, umgekehrt kommen nur 68 000 Menschen für sozialversicherungspflichtige Jobs nach Sachsen-Anhalt. Bei knapp 800 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gibt das Land also derzeit 72 000 Arbeitskräfte ab.

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"Natürlich sind wir im Wettbewerb mit anderen Firmen um die raren Fachkräfte. Wir brauchen aber zum Glück nicht alle auf einmal", so die Intel-Deutschland-Chefin. Eisenschmid setzt auf die Nähe zu Universitäten und Forschungseinrichtungen; im 100-Kilometer-Umkreis kommt Magdeburg auf sieben - ein großes Plus. Mit denen strebe man einen engen Austausch an.

Was in Magdeburg den Ehrgeiz anstachelt, hatte anderswo Abwehrreflexe ausgelöst. Auch der 4000-Seelen-Ort Penzing bei Landsberg war mit einem ehemaligen Fliegerhorst im Rennen um den deutschen Intel-Standort. Dort hielt sich die Begeisterung aber schon bei der Bewerbung in Grenzen: steigende Wohn- und Bodenpreise, Flächenfraß, mögliche Wasserknappheit, ein massiver Zuzug auswärtiger Arbeitskräfte - die Liste der Sorgen war lang. Sachsen war ebenfalls in der engeren Auswahl, konnte aber letztlich keine Fabrikfläche bieten, die groß genug gewesen wäre. Dass nun Magdeburg zum Zug kommt, verbucht man elbaufwärts offiziell unter der Rubrik Erfolg für den Osten, ist aber hinter vorgehaltener Hand nicht allzu traurig, dass man sich mit einer Megafabrik von Intel keine Konkurrenz um Fachkräfte für die schon vorhandene Chipproduktion im "Silicon Saxony" bei Dresden ins Haus holt.

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"Wenn die Leute nicht da sind, sind sie nicht da"

Von Zweifeln will sich in Magdeburg aber niemand aufhalten lassen, "so eine Chance bekommt Sachsen-Anhalt nicht wieder", sagte Ministerpräsident Haseloff und erwartet, dass sich auch die Bevölkerung mental darauf einrichtet. Für Ökonom Holtemöller sind die vermeintlich weichen Faktoren wie Willkommenskultur und Weltoffenheit dann auch entscheidend für Erfolg oder Misserfolg. Besonders im ländlichen Raum sei da noch Luft nach oben. Wichtig, um Spitzenleute aus dem Ausland zu ködern, seien neben Wohnraum und öffentlicher Anbindung vor allem gute international anschlussfähige Schulen. Man müsse auch die Schulabbrecherquote senken, denn die sei im Osten viel zu hoch, seit Jahren weise das IWH darauf hin. Nur wenn Magdeburg Willkommenskultur, bessere Schulen und einen Anstieg der Produktivität miteinander verbinde, könne Intel der gesamten Region einen Schub geben. Auf Jobzusagen der Politik verlässt sich der Ökonom nicht: "Wenn die Leute nicht da sind, sind sie nicht da."

Wie mühsam die Personalsuche sein kann, weiß man auch in der Landesregierung. In der letzten Ausschreibungsrunde für Lehrkräfte fand sich nur für jede zweite Stelle überhaupt ein Bewerber. Vor eineinhalb Jahren begann Sachsen-Anhalt deshalb als erstes Bundesland damit, europaweit Headhunter nach geeigneten Kandidaten fahnden zu lassen. Verpflichtet wurden bislang 46.

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