Hochwasser:"Es fehlt an materieller Ausstattung"

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Derzeit sind viele Hilfskräfte wegen des Hochwassers im Einsatz — bei einigen wächst die Unzufriedenheit. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Verbände und Politiker beklagen angesichts des Hochwassers Mängel bei der Katastrophenhilfe. Gefordert werden längst versprochene Gelder, aber auch gleiche Bedingungen für Einsatzkräfte.

Von Saskia Aleythe und Constanze von Bullion

Aufgeweichte Dämme, überspülte Straßen und immer neuer Regen: Mit Sorge beobachten die Menschen in den von Hochwasser geplagten Gebieten Deutschlands die Lage an den Deichen. Niedersachsen, der Süden Sachsen-Anhalts und Teile Nordrhein-Westfalens sind besonders betroffen. Nach einer Warnung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) könnte es Dauerregen geben, stellenweise bis Donnerstagnacht. Bei den Einsatzkräften, die schon seit Wochen gegen steigende Wasserpegel ankämpfen, wächst mit der Hilfsbereitschaft nun mancherorts der Zorn.

"Die Bereitschaft zum Ausbau der Katastrophenhilfe ist gewachsen, aber sie wird nicht mit den nötigen Mitteln unterlegt", sagte die Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am Dienstag. "Es fehlt an materieller Ausstattung." Zehn mobile Betreuungsmodule habe die Bundesregierung dem DRK zugesagt, in denen im Notfall bis zu 5000 Menschen versorgt werden könnten. Bisher allerdings sei nur ein einziges Modul mit knapp 24 Millionen Euro ausfinanziert, für ein zweites Modul stünden knapp zehn Millionen Euro bereit. "Für den weiteren Bedarf fehlen etwa 260 Millionen Euro." DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt nannte die Defizite in der Rheinischen Post "eklatant".

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In Niedersachsen meldeten am Dienstag sechs Landkreise und die Stadt Oldenburg eine sogenannte außergewöhnliche Lage. Sie erlaubt es, unkomplizierter Hilfskräfte anzufordern. Bei Oldenburg wurde ein zwei Kilometer langer mobiler Deich errichtet, als Vorsichtsmaßnahme, falls ein wichtiger Deich nicht länger standhalten kann. Rund 600 Einwohner des betroffenen Gebietes wurden auf eine mögliche Evakuierung vorbereitet. In der Gemeinde Lilienthal bei Bremen dürfen zwei Wälder nicht mehr betreten werden. Die Böden sind derart aufgeweicht, dass Bäume umstürzen könnten. Etwa 100 Menschen können in der Region seit der Nacht zum 28. Dezember nicht in ihre Wohnungen oder Häuser.

Auch im Süden Sachsen-Anhalts breitet sich das Wasser aus, der Landkreis Mansfeld-Südharz hatte am vergangenen Samstag den Katastrophenfall ausgerufen. Dort ist der Fluss Helme über die Ufer getreten. Zuvor war ein Deich kontrolliert geöffnet worden, um eine Überflutung eines Ortes zu verhindern. Am Dienstag wurde erwogen, den Deichdurchbruch nochmals zu vertiefen, um weiteres Wasser auf die Felder abzuleiten, falls es weiter regnet. In einzelnen Ortschaften funktioniert die Abwasserentsorgung wegen des gestiegenen Grundwasserspiegels nicht mehr, für Anwohner wurden Turnhallen geöffnet. Eine Bahnstrecke zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen wurde gesperrt.

Während Einsatzkräfte die Deiche verstärken, werden in Berlin die Stimmen lauter, die mehr Einsatz für die Katastrophenhilfe fordern. Schon nach der Überflutung des Ahrtals 2021, bei der mindestens 135 Menschen ums Leben kamen, war man sich quer durch die Parteien einig, den Bevölkerungsschutz verstärken zu müssen. Bund und Länder gründeten das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB). Unter dem Dach des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe soll hier im Krisenfall kommunikatives Chaos wie ihm Ahrtal verhindert werden - also zwischen Hilfskräften vor Ort und politisch Verantwortlichen anderswo. Bis heute allerdings ist das Kompetenzzentrum noch im Aufbau und dem Vernehmen nach nicht voll einsatzfähig.

Das Innenministerium weist die Forderungen zurück

Nach SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte am Dienstag auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, mehr Entschlossenheit bei der Gefahrenabwehr. "Die dramatische Hochwasserlage der letzten Wochen führt uns vor Augen, dass wir in Bund und Ländern dringend noch einmal prüfen müssen, wie wir den Bevölkerungsschutz noch einmal deutlich stärken können", sagte sie der SZ. "Wir müssen fest damit rechnen, dass solche Ereignisse in nächster Zeit zunehmen werden." Investitionen in den Schutz der Bevölkerung duldeten "keinen Aufschub", der Koalitionsvertrag müsse "endlich umgesetzt werden".

Im Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht man das anders und verweist auf zusätzliche Gelder. Dem Technischen Hilfswerk etwa, das seit dem 21. Dezember täglich mit rund tausend Helferinnen und Helfern gegen das aktuelle Hochwasser ankämpft, stünden 2024 knapp 402 Millionen Euro zur Verfügung, hieß es hier. Einige Förderprogramme seien nach Ende der Pandemie zwar gestrichen worden, der Kernetat des THW wachse dennoch um 15 Millionen Euro - zumindest nach derzeitiger Haushaltsplanung. Auf diese Zusage dürfte die Bundesbehörde pochen. Dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wiederum wurden im vergangenen Jahr 146 neue Stellen zugesprochen.

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Beim Roten Kreuz hingegen steht ein Großteil der zugesagten Bundesmittel für Betreuungsmodule noch aus. Beschäftigte fordern außerdem mehr Unterstützung für die Schulung der Bevölkerung. Das Verhalten von Zivilpersonen im Krisen- und Katastrophenfall sei oft entscheidend für den Erfolg einer Maßnahme. Aber auch die Gleichstellung der Hilfskräfte steht noch aus.

"90 Prozent der Aktivitäten im deutschen Bevölkerungsschutzsystem werden von qualifizierten Ehrenamtlichen geleistet", sagte die DRK-Sprecherin. Um dieses Engagement zu erhalten, müssten Helferinnen und Helfer bundesweit gleichgestellt werden. Das sei bisher nicht der Fall. Wenn beispielsweise THW-Helfer zu einem Hochwassereinsatz ausrücken und dafür von ihrem Unternehmen freigestellt werden, kann der Staat der Firma die entfallene Arbeitsleistung erstatten. Das erleichtert die Freistellung. Eine solche staatliche Kompensation gibt es bei Hilfsorganisationen wie dem DRK oder den Maltesern nicht.

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