Landtagswahl in Hessen:Die große Boris-Show

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Jubel, Trubel, Heiterkeit: Der alte und neue Ministerpräsident, Boris Rhein, lässt sich feiern. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

In Wiesbaden liegen die CDU und ihr Ministerpräsident Boris Rhein am Wahlabend deutlich vorne. Die Ergebnisse zeigen aber auch: Sie haben nicht nur von ihrem eigenen Wahlkampf profitiert.

Von Gianna Niewel, Wiesbaden

Im Wiesbadener Landtag haben sich die Mitglieder der CDU in Stellung gebracht, Weingläser werden gefüllt, Weingläser werden geleert, um 18 Uhr dann wächst auf den Bildschirmen der schwarze Balken. Und wächst. Und wächst. Dann bricht der Jubel los.

Vorne auf der Bühne spricht Boris Rhein wenig später von einem "unfassbar großartigen Tag" für die hessische CDU, die Menschen im Land hätten ihnen einen klaren Regierungsauftrag erteilt . . . - dann muss er abbrechen. Wieder Jubel, wieder Applaus.

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:Die Ampel war's

Nancy Faeser hatte nie eine Chance, Boris Rhein musste um seinen Verbleib als Ministerpräsident nicht fürchten. SPD, Grüne und FDP können aus dem Ergebnis viel lernen, die Christdemokraten aber nur wenig.

Kommentar von Detlef Esslinger

Seit Wochen hatte die CDU in Umfragen vorne gelegen und Ministerpräsident Boris Rhein nur ein Ziel: Vorsprung halten. In Reden arbeitete er sich an der Ampel in Berlin ab - "schlechteste Bundesregierung aller Zeiten" - ansonsten setzte er auf Themen, die er an Fokusgruppen getestet hatte. Bloß kein Risiko. Wenn er sich doch mal nach vorne wagen musste, weil sein Parteichef Friedrich Merz mit Aussagen über die Zahnarzttermine von abgelehnten Asylbewerbern verwirrte, tat er das immer klar ("nicht mein Sound"), zuletzt aber schon auch genervt.

Die Ampelparteien verlieren

Bei der CDU im Wiesbadener Landtag sieht es aus, als habe sich seine Taktik ausgezahlt, die Mitglieder klatschen auch über die Balken von SPD, Grünen, FDP. Balken, die allesamt klein geblieben sind. Aber einmal in den Applaus hineingefragt: Wie viel hat das mit Hessen zu tun?

Die Spitzenkandidatin der SPD, Nancy Faeser, hatte am Morgen in ihrer Heimat Schwalbach gewählt, sie hatte noch mal geworben für eine bessere Bildungspolitik, für 12 500 neue Lehrerinnen und Lehrer. Sie hatte also etwas getan, wozu sie in den vergangenen Wochen selten gekommen war: über Hessen reden.

Faeser war im Wahlkampf Bundesinnenministerin geblieben, und je mehr sie in der Hauptstadt unter Druck stand, desto mehr verlor sie in Hessen an Zustimmung. Dort zog gleichzeitig die Kampagne nicht. Erst vor wenigen Tagen musste die SPD einen Wahlkampfspot löschen, in dem auf eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD in Thüringen verwiesen wurde: "Wird sich Boris Rhein von Rechtsextremen Stimmen besorgen?" Der Generalsekretär übernahm die Verantwortung, Faeser entschuldigte sich.

Dass die Balken so wenig gewachsen sind, dass SPD und Grüne an diesem Sonntagabend gemeinsam mit der AfD um die Plätze hinter der CDU kämpfen? Das sei ihnen nicht zu wünschen, sagt ein Christdemokrat.

Das Heizungsgesetz verfolgte die Grünen bis an die Wahlstände

Die Grünen kommen von 19,8 Prozent bei der vergangenen Landtagswahl, in den vergangenen Wochen hatten die Wahlkämpfer immer wieder geklagt, dass sie die Bundespolitik nicht loswürden, den Streit um das Gebäudeenergiegesetz. Doch so richtig das sein mag - als Erklärung allein reicht es nicht.

In den vergangenen Jahren hat der stellvertretende Ministerpräsident und Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir seine Partei so stark auf Wirtschaft getrimmt, dass die Basis immer wieder fragt, was denn mit Klimaschutz ist. Der Ausbau von Windkraftanlagen läuft schleppend, der Ausbau von Fahrradwegen auch. Im Ergebnis jedenfalls: zählbare Verluste, gerade bei den Wählerinnen und Wählern unter 30 Jahren.

Und dann ist da noch die FDP, die dritte Partei, die in Berlin mitregiert, und deren Balken an diesem Abend nicht wachsen will. Die Liberalen kommen von 7,5 Prozent bei der vergangenen Landtagswahl, in Umfragen hatten sie zuletzt immer wieder um die fünf Prozent herum gezittert, und jetzt, am späten Sonntagabend, sah es so aus, als würden sie doch aus dem Landtag fliegen.

Die AfD wächst - auch ohne Wahlkampf

Während von den Mitgliedern der CDU alle diese Ergebnisse beklatscht werden, wird es einmal etwas stiller. Das ist der Moment, als die Hochrechnungen der AfD eingeblendet werden. Am frühen Sonntagabend wäre sie zweitstärkste Kraft, würde ihr bisher bestes Ergebnis in Westdeutschland erzielen. Eine Partei, die sich darauf verlassen konnte, dass der Bundestrend sie zieht. Eine Partei, bei der nach dem als gemäßigt geltenden Spitzenkandidaten Robert Lambrou schon auf Listenplatz 2 ein Mann steht, der dem mittlerweile aufgelösten völkischen Flügel um Björn Höcke angehört hat.

Bei der CDU im Landtag ist derweil kaum jemand gegangen, stattdessen stehen die Fenster auf kipp. Einmal kurz durchlüften nach all dem Jubel. Vorne auf der Bühne erinnert Boris Rhein jetzt daran, dass die Partei das Land seit 1999 regiert, erst mit Roland Koch, der gekommen ist, dann mit Volker Bouffier, der auch gekommen ist, und wer seither Ministerpräsident ist, muss er nicht sagen. Die Mitglieder rufen: "Boris, Boris." Boris Rhein wiederum kündigt an, eine "Koalition aus der Mitte heraus" bilden zu wollen, und natürlich ist die Frage, was das bedeutet?

In Wiesbaden könnte die CDU weiter mit den Grünen regieren, ein Bündnis, das Rhein von seinem Vorgänger geerbt hat. Für die Fortführung würde sprechen, dass sich die Partner kennen, und dass es schon auch ein Signal nach Berlin wäre. Nach Hendrik Wüst und Daniel Günther wäre er der nächste jüngere Ministerpräsident, der (weiter) auf Schwarz-Grün setzt. Gegen die Fortführung spricht, dass Boris Rhein den Grünen inhaltlich nicht unbedingt nahe steht, oder, wie es ein CDU-Mitglied sagt: "Es gibt Parteien, denen steht er näher." Und damit zur SPD, die an diesem Abend ihr schlechtestes Ergebnis in Hessen erzielt hat.

Nach 25 Jahren in der Opposition würde die SPD Vieles machen

Auch mit der SPD würde es für eine Mehrheit reichen, viele Punkte würden sich leichter umsetzen lassen, etwa im Verkehr, in der Inneren Sicherheit. Hinzu kommt, dass die SPD nicht allzu hart verhandeln dürfte: Nach 25 Jahren in der Opposition wäre sie trotz ihres schlechten Ergebnisses zurück in der Regierung.

Auf der Bühne wird Boris Rhein derweil nicht konkreter, muss er auch nicht, er ist in der komfortablen Situation, mit beiden verhandeln zu können - und in der noch komfortableren Position, damit nicht an diesem Abend beginnen zu müssen.

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