Bundesregierung:Last-minute-Gerangel um den Bundeshaushalt

Lesezeit: 3 min

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, bei einer Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Am 5. Juli soll das Kabinett den Etat-Entwurf für 2024 verabschieden, doch noch immer ist Finanzminister Lindner nicht mit allen Ressorts einig. Das hat auch mit unterschiedlicher Realitätswahrnehmung zu tun.

Von Claus Hulverscheidt und Henrike Roßbach, Berlin

Vielleicht hat er sich das vom Kanzler abgeschaut, diese aufreizende Gelassenheit, wenn die Aufregung längst nicht mehr zu leugnen ist. Jedenfalls hat Christian Lindner in den vergangenen Wochen stets den Eindruck zu vermitteln versucht: Probleme mit der Haushaltsaufstellung? Welche Probleme? Wir haben alles im Griff. Dabei ist bislang so gut wie nichts nach Plan gelaufen. Und jetzt soll der Regierungsentwurf am 5. Juli im Kabinett verabschiedet werden, und noch immer ist sich der FDP-Finanzminister dem Vernehmen nach nicht mit allen Ressorts einig.

Immerhin: Aus Regierungskreisen hieß es am Montag, dass es inzwischen nur noch einen ungelösten Konflikt gebe, den Dauerbrenner Kindergrundsicherung. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will dafür zwölf Milliarden Euro jährlich in der Finanzplanung festschreiben lassen. Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen haben mehrfach deutlich gemacht, dass mit der Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag finanziell schon viel getan worden sei. Nach Lindners Lesart müsste zusätzliches Geld nur noch für die Zusammenlegung von familienpolitischen Leistungen fließen - und dafür, wenn wegen dieser Vereinfachung mehr Familien die Hilfen beantragen.

Der Hintergrund des Last-minute-Gerangels um den Haushalt: Weil Lindner sich mit seinen Ressortkollegen nicht auf Eckwerte für den Etat 2024 einigen konnte, ließ er diese Verfahrensschleife aus und legte selbst eine schuldenbremsenkonforme Höchstsumme fest, die jedes Ministerium bekommt. Damit aber waren einige Ressorts keineswegs einverstanden, weshalb Lindner Chef-Gespräche der besonderen Art anbot: in Anwesenheit des Kanzlers. Insbesondere die grün geführten Häuser aber ließen sich davon wenig beeindrucken. Noch am Freitag hieß es aus Regierungskreisen, dass nach wie vor mehrere Ressorts die Verteilung ihres Etats auf die einzelnen Haushaltstitel nicht geliefert hätten. Trotz Einsendeschluss am 12. Juni.

Zumindest der Konflikt mit Baerbock scheint beendet zu sein

Besonders lange hartnäckig gab sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Am Wochenende jedoch wurde dieser verbliebene Konflikt nach Angaben aus Regierungskreisen weitgehend abgeräumt. Das Problem ist nur: Die Grünen betrachten den Haushaltsstreit erst dann als beendet, wenn alle grünen Minister an Bord sind. Der Streit über die Kindergrundsicherung hält den Betrieb also weiterhin auf.

Derweil tickt die Uhr. Lindner und Scholz haben sich auf den 5. Juli als Kabinettstermin festgelegt, als letzte Ausfahrt vor der Sommerpause. Eine Verschiebung in den Herbst wäre nicht nur eine Niederlage für beide, auch die Haushälter des Bundestags wären wenig begeistert. Denkbar wäre deshalb, dass Paus am Ende tut, was Lindner beim Heizungsgesetz und Baerbock beim Haushalt 2023 getan haben: nur unter Vorbehalt zustimmen.

Dass sich das eigentlich straff organisierte Verfahren zur Haushaltsaufstellung zu einem derartigen Politzirkus entwickeln konnte, hat auch mit der völlig unterschiedlichen Wahrnehmung der politischen Realitäten innerhalb der Koalition zu tun. Während Lindner und die FDP nach drei Jahren Corona und dem energiepolitischen Ausnahmezustand des vergangenen Jahres zu einer "normalen" Budgetpolitik und damit zu ihren haushaltspolitischen Grundüberzeugungen zurückkehren wollen, herrscht vor allem bei den Grünen der Eindruck, dass die Krisenzeit mitnichten vorüber sei. Der politische Veränderungsdruck, so ihre Lesart, sei durch den Klimawandel und den russischen Überfall auf die Ukraine noch gestiegen. Und das müsse sich auch im Etat widerspiegeln.

Zeitweise lagen die Geldwünsche um satte 70 Milliarden Euro über der Planung

Dass Lindner dennoch auf Haushaltsdisziplin pochte, taten viele Grüne lange als das Gepolter eines Mannes ab, der die eigene Gefolgschaft bei Laune halten müsse. Am Ende, so der Gedanke, werde er gar nicht umhinkommen, die Schuldenbremse ein weiteres Mal auszusetzen. So erklären sich auch die exorbitanten Geldwünsche der Ministerien für 2024, die zeitweise um sagenhafte 70 Milliarden Euro über der Planung lagen. Jetzt kriegt nur der Verteidigungsminister etwas mehr Geld - allerdings nur rund 1,8 Milliarden, die er schon allein für die höheren Löhne seiner Soldaten brauchen wird. Die anderen Ressorts aber sind noch schlechter dran: Sie bekommen, so ist es zu hören, die zusätzlichen Mittel für den jüngsten Tarifabschluss im öffentlichen Dienst gar nicht erst in ihren Etats gutgeschrieben, sondern nur in dem vom Finanzministerium verantworteten Einzelplan 60. Dadurch wächst ihr Etat nicht, was das Ausgangsniveau für kommende Verhandlungen schmälert.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Erschwert wurde die Haushaltsaufstellung auch durch das ohnehin angekratzte Vertrauen innerhalb der Ampelkoalition: Weil die Verhandlungen parallel zum Streit über das Heizungsgesetz, die EU-Asylpolitik und eine Reihe weiterer Streitfragen geführt wurden, fiel es nicht wenigen Beteiligten auch beim Haushalt immer schwerer, über den eigenen Schatten zu springen und Kompromisslinien auszuloten.

Und dann ist da noch der Finanzminister selbst, der nicht unerheblich zu den Problemen beigetragen hat. Lindner mag ein Polit- und PR-Profi sein, ein erfahrener und gewiefter Haushaltsverhandler, der sich in den Niederungen der einzelnen Ministeriumspläne auskennt, ist er nicht. Trotzdem bestand er von Beginn an darauf, auch solche Verhandlungen teilweise selbst zu führen, die normalerweise seine Spitzenbeamten übernehmen würden. Dadurch aber werden Sachfragen schnell politischer als nötig. Hinzu kommt: Statt seine Kollegen von den Sparnotwendigkeiten zu überzeugen, setzte Lindner wohl allzu häufig darauf, dass sein politisches Gewicht als Minister und FDP-Chef als Argument schon reichen werde. Diese Rechnung aber ging nicht auf. "Lindner hat die Aufgabe unterschätzt", sagt ein Spitzenbeamter aus einem SPD-geführten Haus, der den Haushaltsstreit seit Monaten beobachtet.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKoalitionsstreit
:Die Woche der Wahrheit

Das Ampelbündnis muss in den kommenden Tagen Lösungen finden: für den Heizungs-, den Haushalts- und den Asylstreit. Sonst droht SPD, Grünen und FDP eine chaotische Sommerpause.

Von Daniel Brössler und Claus Hulverscheidt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: