Debatte über Entlastungen:Habeck geht auf Konfrontationskurs zu Lindner

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Finanzminister Lindner (links) und Wirtschaftsminister Habeck sprechen im Bundestag. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Der grüne Wirtschaftsminister will Geringverdiener voll von gestiegenen Energiekosten entlasten. Auch an seiner Forderung nach einer Übergewinnsteuer hält Habeck fest. Die sieht auch Kanzler Scholz skeptisch.

Von Michael Bauchmüller und Henrike Roßbach, Berlin

Freibadwetter, tropische Nächte - echte Kälte wirkt in diesen Tagen unendlich weit weg. Doch in der Bundesregierung laufen die Vorbereitungen für einen Winter, für den sich alle buchstäblich warm anziehen müssen. Schon jetzt ist klar: Es wird kühl werden im Land.

Was das konkret bedeutet, macht Vizekanzler Robert Habeck im Interview mit der Süddeutschen Zeitung deutlich. "Wir werden über das Energiesicherungsgesetz Verordnungen erlassen", kündigt der Grünen-Politiker an. Demnach soll in öffentlichen Liegenschaften nur noch auf 19 Grad geheizt werden, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen ausgenommen. Gebäude und Denkmäler sollen nicht mehr angestrahlt, Werbung nicht mehr beleuchtet werden. "Auch in der Arbeitswelt sind mehr Einsparungen nötig", sagt Habeck. Darüber spreche man mit Arbeitsministerium, Gewerkschaften und Arbeitgebern.

Es sind Vorbereitungen auf einen Winter, in dem das Gas noch spärlicher fließen könnte als bisher und die Preise dafür noch weiter steigen. "Wir - als Land, als Gesellschaft - werden das nur hinbekommen, wenn Menschen bereit sind, einen Beitrag zu leisten", sagt Habeck. "Wir sind aufeinander angewiesen." Vorgaben bis ins Wohnzimmer der Bürger hinein schließt er aus. Wichtiger sei in der Krise der Gemeinsinn. "Ein solcher Geist ist es doch, der eine Gesellschaft ausmacht", sagt Habeck. Und: "Wir können die Krise stemmen."

Inflationsausgleich
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Der Finanzminister will im kommenden Jahr zehn Milliarden Euro weniger einnehmen. Ziel sei es, den Effekt der kalten Progression auszugleichen. Grüne und SPD sehen seine Ideen kritisch.

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Schon am Montag wird genau das auf eine erste Probe gestellt werden. Dann nämlich wird die Höhe der Umlage öffentlich, mit der sich die Gaskunden an der Rettung angeschlagener Importfirmen beteiligen sollen. Entsprechende Nachforderungen sollen Stadtwerke und Versorger vom 1. Oktober an erheben dürfen, für viele Verbraucher wird das eine Zusatzbelastung von mehreren Hundert Euro im Jahr bedeuten. Spätestens dann, verlangt Habeck, müsse auch Klarheit über das nächste Entlastungspaket herrschen.

Doch genau hier droht hitziger Streit in der Regierung. Entlastungen wollen derzeit alle in der Koalition - noch aber verstehen darunter nicht alle dasselbe. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) etwa hat just in dieser Woche seinen Entwurf für einen Ausgleich der Kalten Progression in der Einkommensteuer vorgestellt. Er will verhindern, dass jemand selbst dann mehr Steuern zahlen muss, wenn eine Gehaltserhöhung gerade einmal die Inflation ausgleicht - er sich real also gar nicht mehr leisten kann. Lindners Vorschlag läuft darauf hinaus, dass der Staat auf inflationsbedingte Mehreinnahmen von rund zehn Milliarden Euro verzichten soll. Das Problem: In Euro und Cent haben Gutverdiener davon mehr als Menschen mit geringen Einkommen - obwohl die, wenn man es in Prozent ausdrückt, stärker entlastet werden.

Habeck lenkt im SZ-Gespräch nun das Augenmerk vor allem auf den ärmeren Teil der Bevölkerung - und geht damit auf direkten Konfrontationskurs zu Lindner. Die hohen Energiepreise müssten reiche und arme Haushalte gleichermaßen zahlen, sagt er. "Nur: Reiche können das verkraften. Wer wenig verdient, nicht." Deshalb sollten Menschen, die von Sozialtransfers leben oder Wohngeld beziehen, von gestiegenen Energiepreisen im Durchschnitt voll entlastet werden. Bei unteren und mittleren Einkommen solle dies anteilsmäßig geschehen. "Ich sehe nicht, wie wir in dieser Situation vertreten können, dass diejenigen, die weniger Unterstützung brauchen, absolut mehr entlastet werden."

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings hatte Lindner am Donnerstag fürs Erste den Rücken gestärkt. Als Finanzminister habe er selbst zweimal die Kalte Progression ausgeglichen, sagte Scholz, es könne "keine falsche Idee sein, so etwas ab und zu zu machen". Habeck lässt sich davon aber offenbar nicht beirren. Und tatsächlich hat Scholz im gleichen Atemzug ein "Gesamtpaket" in Aussicht gestellt - inklusive Hilfen für ärmere Haushalte. Mit Blick auf die Finanzierung, für die Lindner die Schatulle öffnen müsste, erklärte er lediglich: "Dann rechnen wir das zusammen und schauen, ob wir uns das leisten können. Mein Gefühl sagt, wir werden das können."

"'Nicht einfach' kann in diesen Zeiten keine Ausrede sein."

Damit zeichnet sich bereits der nächste Gesprächsbedarf innerhalb der Regierung ab. Habeck nämlich will die Zusatzeinnahmen, die der Staat durch die Inflation hat - etwa, weil mit höheren Energiepreisen auch höhere Mehrwertsteuereinnahmen an den Staat fließen -, zur Finanzierung der Hilfen einsetzen. Vor allem aber verweist er abermals auf die Übergewinnsteuer: Viele Energieunternehmen verzeichneten "völlig zufallsgetriebene Gewinne", so Habeck. "Diese sollten in solch einer Krise der Gesellschaft dienen."

Lindner jedoch lehnt derlei Steuern kategorisch ab - und Scholz hat sie am Donnerstag als zumindest "technisch sehr herausfordernd" bezeichnet. Habeck aber sagt: "'Nicht einfach' kann in diesen Zeiten keine Ausrede sein."

Die Koalition, so viel ist nach dieser Woche klar, dürfte auf den heißesten kalten Herbst zusteuern, den eine Bundesregierung je erlebt hat.

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