Korruption im Gesundheitswesen:Eine Einladung zum Betrug?

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(Foto: Fotos: imago, Collage: SZ)

In den Gesundheitssektor fließt viel Geld. Das zieht Kriminelle an. Sonderermittler sind ihnen auf der Spur - können aber nur einen Bruchteil aufdecken. Die Länder fordern, nach Gesetzeslücken zu suchen. Der Bund blockt bisher ab.

Von Klaus Ott, München

Die ZKG, eine Sondereinheit bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg produziert Anklagen wie am Fließband. In der Regel geht es um mutmaßliche Betrügereien im Wert von mehreren Hunderttausend Euro oder gar in Millionenhöhe. Mal bei einem Pflegedienst aus Kitzingen, mal bei einer Corona-Teststation im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, mal bei einer Apotheke im Allgäu.

ZKG steht für: Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen. Die im September 2020 gegründete Zentralstelle hat bis Mitte 2023 bereits 825 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Diese Zahl aus einem einzigen Bundesland zeigt: Dunkle Geschäfte sind Alltag im Gesundheitswesen. Das liegt vor allem, aber nicht nur daran, dass Staat, Krankenkassen und andere so viel Geld für Arztbesuche, Apotheken, Operationen, Kuren, Reha oder Pflege ausgeben.

Insgesamt etwa eine halbe Billion Euro im Jahr kostet das Gesundheitswesen in Deutschland. Da ist viel zu holen für Betrüger. Und denen wird es oft leicht gemacht, weil viele Abrechnungen schwer zu kontrollieren sind oder nur oberflächlich geprüft werden. Das hat sich in der Corona-Zeit bei privaten Teststationen gezeigt, die sich Untersuchungen bezahlen ließen, die gar nicht stattgefunden hatten. Allein hier sollen Kriminelle mehr als eine Milliarde Euro abgezockt haben.

500 Milliarden Euro Gesundheitsausgaben - mehr Geld als im Bundeshaushalt steht

Eine halbe Billion Euro Gesundheitsausgaben pro Jahr, das sind 500 Milliarden Euro. Und damit mehr, als die Bundesregierung in einem Jahr insgesamt ausgibt, für alles: Soziales, Bundeswehr, Bahn, Straßen und so weiter. Angesichts dieser Dimension sollte die Regierung eigentlich daran interessiert sein, die dunklen Seiten im Gesundheitswesen gründlich auszuleuchten. Doch weit gefehlt.

Vor knapp einem Jahr, im November 2022, haben die Gesundheitsministerien der 16 Bundesländer eine sogenannte Dunkelfeldstudie angeregt. Die Bundesregierung, so die Idee, solle untersuchen lassen, in welchem Umfang sich beispielweise betrügerische Ärzte oder Pflegedienste bereicherten. Und was kriminelle Machenschaften begünstige. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagt, das "Dunkelfeld" sei groß, "wir kennen das wahre Ausmaß nicht". Eisenreich verweist auf mögliche Mängel im Gesundheitssystem und Gesetzeslücken im Sozial- und Abrechnungsrecht, die es Betrügern leicht machten. Diese Mängel müssten "aufgedeckt und beseitigt werden".

Doch eine solch systematische Suche nach Fehlern im System, mit dem Ziel, diese abzustellen, gibt es nicht. Obwohl auch Krankenkassen befürchten, dass Jahr für Jahr viele Milliarden Euro in dunkle Kanäle fließen. Die Bundesländer hatten deshalb Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gebeten, die Forderung nach einer Dunkelfeldstudie bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorzutragen. Dieser Bitte ist Buschmann nach Angaben seines Ministeriums auch nachgekommen.

Lauterbach selbst sieht sich als Mahner und Reformer. "Leider ist das Gesundheitssystem chronisch krank", hat der Minister kürzlich im Bundestag erklärt. Der SPD-Politiker will, angefangen bei den Krankenhäusern, vieles ändern im Gesundheitswesen. Den Kampf gegen Betrug und Korruption mit einer Dunkelfeldstudie systematisch voranzutreiben, will er aber offenbar nicht. Das Bundesgesundheitsministerium teilt jedenfalls auf Anfrage mit, man habe keine Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben. "Entsprechende Zahlen werden aber regelmäßig von den gesetzlichen Krankenkassen herausgebracht."

Was die Bundesländer haben wollen, gibt es also schon längst? Auf den Internetseiten des Kassenverbands GKV, der 96 gesetzlich verankerte Kranken- und Pflegekassen unter seinem Dach hat, heißt es: Internationalen Studien zufolge könnten fünf bis zehn Prozent der Gesundheitsausgaben durch Betrug und Korruption verloren gehen. "Das wäre in der Bundesrepublik Deutschland ein zweistelliger Milliardenbetrag." Und noch etwas schreibt der Kassen-Verband: Die Bundesregierung sollte beim Versuch, das abzustellen, vorangehen. Und womit? Mit einer Dunkelfeldstudie.

Ermittler Findl spricht von der "Spitze eines Eisbergs"

Solange es die nicht gibt, bleibt die Aufgabe, öffentliches Geld vor Kriminellen zu retten, den Bundesländern überlassen. Da tut sich inzwischen eine ganze Menge, nicht nur in Bayern. Hier geht Oberstaatsanwalt Richard Findl als Leiter der Nürnberger Spezialtruppe mit dem Kürzel ZKG zusammen mit einem großen Team Hinweisen nach; auch anonymen Tipps. Zu dem Team gehören Fachkräfte, die sich auskennen mit Abrechnungen im Gesundheitswesen und somit rasch durchschauen, wenn etwas nicht stimmt. Findl hat schon vor Jahren gewarnt, was ermittelt werde, sei nur die "Spitze eines Eisbergs". Das komplizierte Gesundheitssystem lade geradezu ein zum Betrug.

Mecklenburg-Vorpommern hat schon Anfang 2020 und somit noch früher als Bayern eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft geschaffen. Hessen hat auch eine; Sachsen-Anhalt überlegt, eine solche einzurichten. Ähnliche Spezialeinheiten gibt es in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Teilweise bestehen dort Sonderdezernate bei Staatsanwaltschaften, die sich gezielt auch um das Gesundheitswesen kümmern. Solche Spezialeinheiten brauche es überall, sagt Dirk Peglow, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Nur so ließen sich Betrügereien im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben sich übrigens bereits im November 2010, vor knapp dreizehn Jahren also, mit "illegalen Abrechnungspraktiken im Gesundheitswesen befasst". Das Fazit lautete, was durch Betrug oder Fehlverhalten verloren gehe, sei "nicht exakt bezifferbar". Es sei aber deutlich, "dass der volkswirtschaftliche Schaden immens ist".

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