Gaskrise:Habeck stellt Priorität von Privathaushalten bei Gasversorgung infrage

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Die deutsche Regierung versuche, sich auf das Schlimmste vorzubereiten, sagt Wirtschaftsminister Habeck. (Foto: IMAGO/photothek)

Die entsprechende Regelung sei für kurzfristige Störungen vorgesehen, nicht für monatelange Unterbrechungen, sagt der Wirtschaftsminister. Die Industrie könne nicht automatisch nachgereiht sein, darüber müsse man "nachdenken".

Von Cathrin Kahlweit, Roland Preuß und Hans-Peter Siebenhaar, Wien

Deutschland und Österreich wollen in der Energieversorgung verstärkt zusammenarbeiten. Ein entsprechendes Abkommen, das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Besuch in Wien mit der österreichischen Umweltministerin Leonore Gewessler unterzeichnete, legt fest, dass auch im Fall eines drastischen Mangels an Gas die jeweiligen Durchleitungsrechte gesichert bleiben. Die Bundesländer Tirol und Vorarlberg, die über das deutsche Netz beliefert werden, sollen in jedem Fall weiter versorgt werden. Und der Gasspeicher in Haidach bei Salzburg, der bisher ausschließlich an das deutsche Netz angeschlossen ist, soll gemeinsam befüllt, genutzt und schnellstmöglich auch an das österreichische Netz angeschlossen werden.

Eine vor allem für deutsche Verbraucher interessante Erwägung hatte der Wirtschaftsminister auch mitzuteilen. Habeck deutete an, dass die Priorisierung der Versorgung von Privatverbrauchern im Falle eines dramatischen Energiemangels überdacht werden müsse. Die entsprechende Regelung sei für kurzfristige Störungen vorgesehen, ergebe aber bei monatelangen Unterbrechungen der Gasversorgung keinen Sinn. Die Industrie könne nicht automatisch nachgereiht sein, darüber müsse man "nachdenken".

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Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage, die entsprechende Verordnung definiere Kunden, die Vorrang hätten. Kindergärten, Krankenhäuser oder auch private Verbraucher seien geschützt und würden "auch im Fall einer Gasmangellage weiter versorgt". Es geht nicht darum, dass diese Kunden nicht mehr beliefert würden, sondern wie diese einen Beitrag leisten könnten zur Einsparung von Gas.

Habeck und Gewessler, die beide den Grünen in ihrem Land angehören, gingen zur geplanten Kooperation beim Gaseinkauf ebenso wenig ins Detail wie bei der noch im Planungsstadium befindlichen gemeinsamen Nutzung von Gasspeichern und einer möglichen Beteiligung Österreichs an den in Deutschland geplanten LNG-Terminals. Bei der Bewertung der Krise, ihrer Entstehung und Bewältigung wurden sie aber schnell grundsätzlich.

Es sei absehbar gewesen, so Habeck auf einer Pressekonferenz in Wien, dass die "einseitige Abhängigkeit von einem zwielichtigen Staatenlenker nicht richtig sein" könne. In der aktuellen Krise werde besonders klar, dass Menschen und die Demokratie einen Unterschied machen könnten und die europäische Zusammenarbeit in der Energieversorgung dabei der Schlüssel sei. "Wir dürfen uns nicht erpressen lassen." Gewessler kritisierte, dass Österreich das erste Land gewesen sei, das "Putin nach dem Einmarsch auf die Krim wieder hofiert hat".

Österreichische Gasspeicher sind nur zu 48 Prozent gefüllt

Österreich ist noch stärker als Deutschland auf russische Gaslieferungen angewiesen, bislang hat es mehr als 80 Prozent aus Russland bezogen. Seit Montag fließt wegen der angekündigten Wartungsarbeiten kein Gas mehr durch die Ostseepipeline Nord Stream 1. Das versetzt auch die schwarz-grüne Regierung in Wien in höchste Alarmbereitschaft. Denn ob Gazprom danach wieder in vollem Umfang Gas in Richtung Westen pumpen wird, ist offen. Bereits von Mitte Juni an hatte Gazprom nur noch die Hälfte des bestellten Gases geliefert. Wirtschaftsminister Robert Habeck sprach am Sonntag im Deutschlandfunk von einem "Albtraum-Szenario". Die deutsche Regierung versuche, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.

Gemeinsames Thema Gas: Der Bundeswirtschaftsminister und seine österreichische Kollegin Leonore Gewessler bei einer Kraftwerksbesichtigung in Wien. (Foto: Christian Bruna/EPA)

Für Österreich spielt Nord Stream 1 aber nicht die gleiche Rolle wie für Deutschland. Denn das Land wird vorwiegend über die Pipeline, die durch die Ukraine führt, mit russischem Gas beliefert. Die schwarz-grüne Regierung hat wegen ausbleibender Lieferungen bereits erste Konsequenzen gezogen. Mitte Mai beschloss sie, dass Gasspeicher wieder zurückgegeben werden müssen, wenn der Betreiber sie nicht nutzt.

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Die in Wien ansässige Energie-Regulierungsbehörde E-Control kann die von Gazprom nicht genutzten Speicherkapazitäten nun an einen Wettbewerber vergeben. Gazprom hatte es zuletzt versäumt, den zweitgrößten Gasspeicher Westeuropas in Haidach zu füllen. Der Füllstand des dortigen Gazprom-Speichers GSA beträgt nach Angaben der Interessenvereinigung der Speicherunternehmen AGSI seit Langem 0,0 Prozent.

Das Risiko, dass Österreich und Deutschland komplett von Gazprom boykottiert werden könnten, ist groß. Bereits im April wurden die russischen Gaslieferungen nach Bulgarien und Polen eingestellt. Ende Mai stoppte Gazprom dann die Gaslieferungen nach Finnland und in die Niederlande. Auch nach Österreich fließt immer weniger russisches Gas. Nach Angaben des teilstaatlichen Öl- und Gaskonzerns OMV vom Dienstag wird schon jetzt um 70 Prozent weniger geliefert als bestellt.

Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich aber trotz der stark gesunkenen Liefermengen noch keine Gas-Alarmstufe ausgelöst - was politisch stark umstritten ist. Gewessler will offenbar die wegen der gefährdeten Versorgungssicherheit wachsende Verunsicherung nicht weiter steigern. Während die deutschen Gasspeicher laut AGSI bereits zu 64 Prozent gefüllt sind, verzeichnet Österreich nur 48 Prozent der maximalen Füllmenge in seinen Speichern. Allerdings hat sich Deutschland per Gesetz dazu verpflichtet, dass bis zum 1. November die Gasspeicher zu 90 Prozent gefüllt sein müssen. Österreich hingegen begnügt sich mit 80 Prozent. Die Wiener Regierung hat Großverbraucher aufgefordert, auf fossile Energieträger, insbesondere Erdöl, umzusteigen. Private Haushalte im nächsten Winter nach Kräften Energie sparen. Bis 2027 will Österreich im Idealfall komplett unabhängig vom russischen Gas werden.

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