EU-Ratspräsident Charles Michel zieht seine Kandidatur bei der anstehenden Wahl zum Europaparlament zurück. "Ich werde bei den Europawahlen nicht kandidieren. Ich werde mich mit aller Kraft und Entschlossenheit meinen derzeitigen Aufgaben widmen, bis diese zu Ende sind", teilte Michel am Freitagabend auf seiner Facebook-Seite mit.
Er wolle nicht, dass seine Kandidatur das europäische Projekt untergrabe oder in irgendeiner Weise missbraucht werde, um den Europäischen Rat zu spalten, schrieb er als Begründung.
Seit 2019 ist Michel Präsident des Gremiums der EU-Staats- und Regierungschefs. Anfang Januar hatte er überraschend angekündigt, bei der Wahl im Juni die Liste der liberalen belgischen Partei Mouvement Reformateur (MR) anführen zu wollen. Nach den Wahlen könnten die EU-Staats- und Regierungschefs dann über eine Nachfolge für den Posten des Ratspräsidenten beraten, so der Belgier damals. Eigentlich läuft Michels Amtszeit noch bis zum 30. November 2024.
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Die Ankündigung hatte in Brüssel für Aufsehen gesorgt - vor allem, weil Ungarn im Juli turnusmäßig den zwischen den Mitgliedsländern rotierenden Vorsitz im EU-Ministerrat übernimmt. Hätte es bis dahin keinen Nachfolger für Michel als Präsident des Europäischen Rates gegeben, hätte die Sitzungsleitung zunächst bei Ungarns Regierungschef Viktor Orbán gelegen. Orbán wiederum ist seit Jahren für seinen europakritischen und autoritären Kurs bekannt.
Kritiker hatten Michel vorgeworfen, seine Karriere zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt zu priorisieren. In einem Gespräch mit Euronews etwa erläuterte Alberto Alemanno, Jean-Monnet-Professor für EU-Recht an der HEC Paris, dass Michels Postenwechsel gar eine europäische "Verfassungskrise" auslösen könnte. Michel werde sein Mandat "im kritischsten Moment" niederlegen, sagte Alemanno. Das sei "wirklich terra incognita", Michel verfolge offenbar eher "sein eigenes Interesse" als die Interessen der gesamten Europäischen Union.
Aufgabe des EU-Ratspräsidenten ist es, die Zusammenarbeit und die Gipfeltreffen der EU-Länder zu koordinieren. Doch auch Michels Rückbesinnung auf dieses Amt lässt die Kritik nicht verstummen. Die designierte Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, nannte den Rückzug Michels einen "erneuten U-Turn", der für Verwirrung sorge. "Seine Rolle ist nicht die Selbstprofilierung, sondern die Vertretung der Mitgliedsstaaten und Koordinierung", schrieb sie auf der Plattform X (ehemals Twitter). "Es wird Zeit für einen neuen, würdigen EU-Ratspräsidenten."