CDU-Parteitag:Etwas verbiegen, viel entgegenkommen

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"Ursula 2024": Spitzenkandidatin und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch beim CDU-Parteitag in Berlin. (Foto: Lisi Niesner/REUTERS)

Als EU-Kommissionspräsidentin erwärmt Ursula von der Leyen die Herzen der Christdemokraten nicht immer. Aber Friedrich Merz und die Partei wissen, was sie an ihr als Spitzenkandidatin für die Europawahl haben - und sie weiß, was ihre CDU in Berlin gerne hören möchte.

Von Henrike Roßbach und Robert Roßmann, Berlin

Markus Söder musste sich am Vortag den Weg zur Parteitagsbühne noch von seinen Sicherheitsleuten bahnen lassen, vorbei an begeisterten CDU-Delegierten, die ihre Handys für Fotos in die Höhe reckten. Aus den Lautsprechern dröhnte "Good Feeling" von Flo Rida, das Publikum klatschte im Takt. Verglichen mit diesem Spektakel ist der Empfang der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch eher zurückhaltend. Aber immerhin, die Delegierten halten jetzt die "Ursula 2024"-Schilder hoch, die gerade noch verteilt worden sind. Und dann steht sie da oben auf der Bühne, die "mächtigste Frau der Welt", wie sie von der Moderatorin angekündigt worden ist, und sagt: "Lieber Friedrich Merz. Zunächst einmal möchte ihr dir ganz herzlich gratulieren zu einem fulminanten Parteitag."

Fast zwei Jahrzehnte lang stand Ursula von der Leyen in der CDU für viel von dem, was Merz an seiner Partei zweifeln ließ. Sie kämpfte für die Frauenquote, stimmte für die "Ehe für alle" und setzte das Elterngeld durch, als Merz mit alldem noch nicht so viel anfangen konnte. Und sie warf - als Verteidigungsministerin - der Bundeswehr pauschal ein "Haltungsproblem" und falsch verstandenen Korpsgeist vor, weil in einem Fall Hinweise auf die rechtsextreme Gesinnung eines Offiziers versandet waren. In der CDU, die sich als Partei der Bundeswehr betrachtet, kam das nicht gut an. Am Dienstag hat sich der Parteitag übrigens für eine Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen.

In vielem ist von der Leyen liberaler und grüner, als so mancher in der Union möchte

Von der Leyen hat sich immer mutig engagiert für ihre Ziele, so sehen es die einen. Die anderen sagen: Sie hat ihre Partei dabei oft überrumpelt und sich manchmal illoyal verhalten. In ihrer Zeit als stellvertretende CDU-Vorsitzende war sie jedenfalls draußen beliebter als bei vielen ihrer Parteifreunde. Ihre schlechten Wahlergebnisse auf CDU-Parteitagen haben das immer wieder belegt.

Jetzt aber ist sie Spitzenkandidatin der Union für die Europawahl. Auch, wenn sie als Kommissionspräsidentin nicht gerade täglich die Herzen der Christdemokraten erwärmt hat: Bleiben soll sie es trotzdem. Kein Unionspolitiker von Verstand würde den wichtigsten Posten in Europa ersatzlos aufgeben wollen, nur weil von der Leyen in vielen Fragen ein bisschen liberaler und ein bisschen grüner tickt, als es der Mehrheit in CDU und CSU recht ist.

Der Green Deal, eines der wichtigsten Projekte ihrer ersten Amtszeit? Wird von vielen Parteifreunden kritisch gesehen. Das Wirken der EU-Kommission insgesamt? Zu dirigistisch und detaillistisch. Dass sie trotzdem Spitzenkandidatin geworden ist, liegt am Pragmatismus, den die Union regelmäßig zeigt, wenn es um die Macht geht. Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Grünen das nächste deutsche EU-Kommissionsmitglied vorschlagen dürfen, "sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt". Merz hat das einmal so zusammengefasst: "Jetzt mal ganz kurz vor Ihrem geistigen Auge: Anton Hofreiter oder Ursula von der Leyen? Da ist meine Entscheidung klar."

Merz dürfte das gefallen: eine EU, die sich mehr ums Große kümmert als ums Kleine

Auf dem Parteitag jedoch wird deutlich, was sich schon in den vergangenen Monaten abgezeichnet hat: Nicht nur die Partei ist bereit, sich für von der Leyen etwas zu verbiegen. Auch die Kandidatin ist gewillt, ihrer Partei gewaltig entgegenzukommen.

"Wir müssen unseren Unternehmen weniger vorschreiben, mehr vertrauen", sagt sie, was im Publikum mit freundlichem Applaus bedacht wird. Die Wirtschaft, sie solle sich auf das konzentrieren dürfen, was sie am besten könne: wettbewerbsfähige Produkte, Innovationen. Das bedeute, so von der Leyen, "weniger Bürokratie" und "einfachere Verfahren". 25 Prozent "dieser elenden Berichtspflichten für die EU" wolle sie streichen, denn es komme schließlich auf die großen Dinge an.

Das dürfte Merz gefallen. Der hat auf dem Parteitag gerade gefordert, die EU solle sich weniger ums Kleine und mehr ums Große kümmern.

"Wir werden alles tun", damit sie Kommissionspräsidentin bleibt, verspricht CDU-Chef Merz. Lange tat er sich schwer mit Themen wie der Frauenquote, da war ihm von der Leyen weit voraus. (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP)

Ein paar regionale Schmeicheleien hat von der Leyen, die gewiefte Rednerin, natürlich auch mitgebracht, schließlich sitzen sie da unten im Saal sortiert nach Landesverbänden. Nordrhein-Westfalen? Habe als erstes Bundesland die Chancen der Wasserstoffwirtschaft erkannt. Magdeburg? Tolle Erfolgsgeschichte in Sachen Chipfabrik. Im Norden, in Schleswig-Holstein, da zeigten sie Europa, ach was: der Welt, wie man das mache mit der Windenergie. Und, der Söder ist schließlich auch da: Sehr klug hätten sie sich da in Garching an die Weltspitze gesetzt in Sachen Kernfusion. Bayern eben, "in Europa ganz vorne".

Die Kommissionspräsidentin verspricht der Ukraine Beistand, das bringt viel Beifall

Beim Kapitel Naturschutz fliegt von der Leyen später auch noch mal über die Sandsteinfelsen der Sächsischen Schweiz, durch den Schwarzwald und übers Wattenmeer. Aber den größten Zuspruch erntet sie trotzdem mit etwas anderem: mit ihrem Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine.

Wer handelt wie Wladimir Putin, sagt sie, "der will keinen Frieden". Und: "Wir können niemals den Mut und die Entschlossenheit der Menschen in der Ukraine aufwiegen - aber was wir können, das ist heute und in der Zukunft fest an der Seite der Ukraine stehen." Von der Leyen spricht Petro Poroschenko an, den Vorgänger des jetzigen ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, der zur CDU gekommen ist und jetzt auf die Bühne kommt. Das Publikum erhebt sich und klatscht lange.

Neben der äußeren Bedrohung Europas spricht die Kommissionspräsidentin auch die Gefahren aus dem Inneren an: durch die deutsche AfD und ihre europäischen Pendants. "Mit Kreml-Knechten, Demokratieverächtern und Extremisten ist kein Staat zu machen und auch keine Europäische Union", sagt von der Leyen. Und sie beklagt die jüngsten Angriffe auf Politiker. "Wir müssen all diejenigen vor Übergriffen schützen, die sich für unsere demokratische Gesellschaft und unser Land einsetzen - egal, welcher Partei sie angehören, egal ob privat, egal ob im Wahlkampf oder in Ausübung ihrer Ämter, egal ob bei Tag oder bei Nacht."

Auf der neuen CDU-Linie: die AfD inhaltlich stellen, die Folgen ihrer Ideen zeigen

Von der Leyen spricht aber auch über die Gefahr für die Wirtschaft. Wer "im europäischen Haus zündelt", sagt sie, der lege die Axt an den Binnenmarkt an, der den deutschen Wohlstand begründe. Kein Land profitiere mehr als Deutschland. "Und dann bringt die AfD einen Dexit ins Spiel." Zehn Prozent der Wirtschaftsleistung würde das laut von der Leyen kosten, ein Wohlstandsverlust von 400 bis 500 Milliarden Euro im Jahr und den Verlust von 2,2 Millionen Arbeitsplätzen.

Es ist die neue CDU-Linie, die sie damit vertritt: Die AfD nicht nur allgemein verurteilen, sondern inhaltlich stellen; aufzeigen, was deren politische Ideen bedeuten würden für Deutschland.

Merz wird sich später bei von der Leyen dafür bedanken, "so offen, wie ich es noch nie von dir gehört habe", gesagt zu haben, "was diese Leute von der AfD mit Europa vorhaben". Dass sich von der Leyen inzwischen vehement für den Abbau der Bürokratie einsetzt, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Sicherheit Europas in den Mittelpunkt gerückt hat - etwa durch eine Stärkung der Verteidigungsindustrie -, all das hat der CDU-Chef mit Freude vernommen.

Eine gute halbe Stunde spricht Ursula von der Leyen. Begeisterungsstürme erntet sie nicht, aber immerhin sehr freundlichen Beifall. "Ärmel hochkrempeln. Am 9. Juni ist Wahl, lang lebe Europa, liebe Freundinnen und Freunde", ruft sie am Ende ihrer Rede. Da stehen sie alle auf, klatschen und halten ihre "Ursula 2024"-Schildchen hoch. Und Merz kommt auf die Bühne und sagt, die CDU sei stolz darauf, dass von der Leyen Kommissionspräsidentin ist. "Wir werden alles tun, dass du es auch bleibst."

Mal sehen, ob das auch alle in der Partei gehört haben.

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Von Henrike Roßbach und Robert Roßmann; Fotos: Friedrich Bungert

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