EU:De Croos Chance

Lesezeit: 3 min

Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo Mitte Dezember in Brüssel. (Foto: Nicolas Maeterlinck/AFP)

Belgien übernimmt bis zur Europawahl die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union - der Regierungschef wird versuchen, sich als europäischer Staatsmann zu inszenieren.

Von Jan Diesteldorf und Josef Kelnberger, Brüssel

Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo, 48, hat gerade ein Buch geschrieben, es trägt den Titel: Warum das Beste erst noch kommt. Das ist, was seine politische Zukunft betrifft, eine sehr mutige Ansage. Die von De Croo geführte Sieben-Parteien-Koalition ist in Belgien ähnlich beliebt wie in Deutschland die Ampel. Seine liberale Partei namens Open VLD liegt in den Umfragen in der Region Flandern, und nur dort tritt sie bei Wahlen an, bei nur noch sieben Prozent - weit hinter der rechtsextremen Partei Vlaams Belang, die mit 25 Prozent das Klassement anführt.

Dennoch erhebt Alexander de Croo den Anspruch, die rechte Welle zu stoppen, die gerade durch Europa läuft und auch Belgien zu überspülen droht. Ob das gelingt, wird man am 9. Juni dieses Jahres wissen. An dem Tag finden sowohl die belgischen Parlamentswahlen als auch die Europawahlen statt.

Es kommt Alexander De Croo zupass, dass Belgien am 1. Januar turnusmäßig für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernommen hat, was bedeutet: Die belgische Regierung koordiniert und leitet die Zusammenarbeit der 27 Mitgliedsländer. De Croo wird versuchen, sich während des doppelten Wahlkampfs als europäischer Staatsmann in Szene zu setzen.

Angriff in Brüssel
:Wie der Terror Belgiens Regierung ins Wanken bringt

Ein Islamist hat vergangene Woche in Brüssel zwei schwedische Fußballfans erschossen. Nun wird dem Staat Versagen vorgeworfen. Womöglich hätte die Tat verhindert werden können - hätte die Justiz nicht eine Akte im Schrank vergessen.

Von Josef Kelnberger

"Europa, du bist auf dich allein gestellt!"

Unter spanischer Regie hat die EU kurz vor Weihnachten noch viel Kärrnerarbeit erledigt. Die Reform der europäischen Schuldenregeln ist ebenso vereinbart wie die Reform des europäischen Asylsystems. Umso mehr Raum bleibt nun fürs große Ganze. "Schützen, Stärken, Vorbeugen" hat De Croo als Motto seiner Ratspräsidentschaft vorgegeben. Es soll um die langen Linien einer EU gehen, die sich gegenüber Russland, China und den USA, aber auch gegenüber den Rechten in Europa behaupten muss. "Europa, du bist auf dich allein gestellt!", sagte De Croo in einem Interview mit der belgischen Zeitung Le Soir, in dem er sein Programm umriss.

Die Unterstützung der Ukraine ist Dreh- und Angelpunkt dieser Politik. Bei einem Sondergipfel Anfang Februar wollen die Staats- und Regierungschefs sich darüber verständigen, wie die 50 Milliarden Hilfsgelder für das von Russland angegriffene Land aufzubringen sind - ob gemeinsam mit Viktor Orbán oder ohne ihn. Den Weg zu Beitrittsgesprächen mit der Ukraine und Moldau haben die Staats- und Regierungschefs im Dezember geebnet. De Croo will nun die Debatten darüber voranbringen, wie eine EU funktionieren kann, die sich aus geopolitischen Gründen immer weiter Richtung Osten erweitert. Auch die Westbalkan-Länder und Georgien hoffen auf den Beitritt.

"Bevor wir größer werden, müssen wir besser werden", sagte De Croo bei der Vorstellung seines Programms. Dabei denkt er vor allem an die Abschaffung des Prinzips der Einstimmigkeit, um schnellere Entscheidungen zu ermöglichen. Um eigenständig zu werden, brauche die EU aber auch eigene Finanzquellen, eine eigene Steuer zum Beispiel, sagt De Croo.

Auch den Green Deal betrachtet De Croo vor allem unter der Perspektive europäischer Stärke und Unabhängigkeit. Wie der französische Regierungschef Emmanuel Macron hat er bereits einen Regulierungsstopp angeregt, um Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu überfordern. Große belgische Impulse sind also nicht zu erwarten, wenn die EU bis zur Europawahl um die letzten Umwelt- und Klimagesetze ringt, etwa um CO₂-Grenzwerte für Busse und Lkw. Auch wenn die neuen Klimaziele der EU bis 2040 beschlossen werden - eine wichtige Etappe auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität 2050 -, dürfte die Regierung De Croo das Wohl der Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen. Die Wirtschaft schaffe Wohlstand und soziale Sicherheit in Europa, sagt er, sie brauche Hilfe beim Übergang zur Klimaneutralität.

Macron sperrt sich gegen Mercosur-Abkommen

Von ganz wesentlicher geopolitischer Bedeutung für die Europäische Union ist das Handelsabkommen mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten, darunter Brasilien und Argentinien. Es soll in den nächsten Monaten nach jahrelangem Anlauf finalisiert werden. Die große Frage: Schafft es Europa noch, solche großen Handelsabkommen zu schließen, Staaten des globalen Südens enger an sich zu binden, neue Märkte zu erschließen und so Chinas globalen Ambitionen etwas entgegenzusetzen?

Anfang Dezember brachen beide Seiten die Verhandlungen kurz vor der Einigung ab. In Argentinien hatte die scheidende Regierung das Abkommen zur Angelegenheit des neuen Präsidenten Javier Milei erklärt, der sich aber bislang nicht positioniert hat. Dass die Aussichten nicht Erfolg versprechend sind, liegt allerdings auch an den Europäern.

Ausgerechnet Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sperrt sich, der ansonsten gern Europas Souveränität betont. Offiziell, so sagt er, weil es den Klima- und Artenschutz zu wenig beachte - obwohl die Europäer dazu ein Zusatzkapitel in das Abkommen verhandelt haben. Offensichtlich liegt Macrons Widerstand im Unmut der französischen Bauern begründet, die sich vor Konkurrenz durch günstiges Rindfleisch aus Lateinamerika fürchten. Macron gebe innenpolitischen Zwängen nach, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat. "Den französischen Landwirten kommt man so entgegen - zum Preis einer geopolitischen Schwächung der EU."

Ein heikler Punkt ist das Abkommen allerdings nicht nur für Macron, sondern auch für De Croo. Als Liberaler plädiert der Belgier für den Freihandel. Im komplizierten politischen Geflecht Belgiens müssen allerdings die drei Regionen neuen Handelsabkommen zustimmen. Und die in Wallonien regierenden Sozialisten sind erklärte Gegner des Freihandels. Sie könnten, genau wie die flämischen Rechten, das Mercosur-Abkommen auch im Parlamentswahlkampf gegen den liberalen Spitzenkandidaten De Croo verwenden. Vermutlich ist das ein Grund, warum "Mercosur", von der spanischen Ratspräsidentschaft zuletzt noch nach Kräften propagiert, im offiziellen Programm der belgischen Ratspräsidentschaft gar nicht vorkommt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungEuropäische Union
:Hier gibt es etwas zu feiern

In Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs nicht nur der Ukraine gezeigt, dass sie Wort halten. Und sie beweisen, dass sie Politik machen können, selbst mit einem Blockierer namens Orbán. Über die Beschlüsse und ihre wahre Bedeutung.

Kommentar von Hubert Wetzel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: