Europäisches Parlament:Das Naturschutzgesetz der EU droht zu scheitern

Lesezeit: 2 min

Ein neues Naturschutzgesetz soll helfen, den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen. Dafür müsste landwirtschaftliche Nutzflächen schrumpfen. (Foto: Julian Stratenschulte/DPA)

Die Europäische Volkspartei will den grünen Deal von Kommissionspräsidentin von der Leyen unbedingt verhindern. Diesem Ziel ist sie gerade ein gutes Stück näher gekommen.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Der abschließende Applaus war verhalten im Sitzungssaal 2Q2 des Europäischen Parlaments in Brüssel, er beschränkte sich auf die Reihen der Christdemokraten und der Vertreter der Parteien weiter rechts. Eine gute halbe Stunde hatten die Abgeordneten im Umweltausschuss über die letzten Änderungsanträge zum Naturschutzgesetz abgestimmt und die meisten abgelehnt, als das entscheidende Ergebnis auf den Bildschirmen aufleuchtete. Bei der finalen Abstimmung über den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission stand es, wieder, 44:44. Nach den Regeln des Parlaments heißt das: keine stabile Mehrheit, also abgelehnt. Der Plan der Europäischen Volkspartei (EVP), das Gesetz zu verhindern, könnte aufgehen.

Mitte Juli wird nun das Parlament im Plenum über das Gesetz abstimmen, das darauf abzielt, Naturschutzgebiete zu vergrößern und den Zustand von Europas Ökosystemen zu verbessern. Der Umweltausschuss wird nach der Abstimmung am Dienstag empfehlen, es abzulehnen. Nur wenn doch noch eine Mehrheit der Abgeordneten für den Vorschlag der Kommission stimmte, käme es zu Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten. Ansonsten würde ein wesentlicher Pfeiler des grünen Deals verworfen, den EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) zum wichtigsten Projekt ihrer Amtszeit gemacht hat.

Auch unter Konservativen ist das Ergebnis kein Grund zum Jubeln

Die Abstimmung im Ausschuss folgt auf einen Strategieschwenk der EVP, die ein Moratorium für neue Umwelt- und Klimaschutzgesetze gefordert hat und deshalb neben dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur auch die Pestizidverordnung blockieren will. Gemeinsam mit der EVP stimmten einige Liberale, die Abgeordneten der rechtskonservativen EKR-Fraktion und der nationalistischen ID gegen das Gesetz.

"Ich bedauere, dass es so weit kommen musste", sagte die in den Reihen der EVP zuständige Abgeordnete Christine Schneider (CDU) in einem schriftlichen Statement. "Es ist kein Tag zum Jubeln, auch wenn wir uns als EVP-Fraktion für eine Zurückweisung eingesetzt haben." Sie und weitere EVP-Parlamentarier forderten die Kommission zum wiederholten Mal auf, einen neuen Vorschlag zu präsentieren. Das lehnte ein Kommissionssprecher am Dienstag wie schon zuvor ab. Denn dazu fehle nun, ein knappes Jahr vor der Europawahl, einfach die Zeit.

Der französische Liberale Pascal Canfin, Vorsitzender des Umweltausschusses, warf der EVP "Manipulation" vor. Ein Drittel der EVP-Abgeordneten, die geschlossen gegen das Gesetz gestimmt hatten, seien gar nicht Mitglieder im Ausschuss gewesen. Die Fraktion hatte sie einfach ersetzt - überwiegend mit deutschen CDU- und CSU-Abgeordneten aus dem Agrarausschuss. "Das kann im Plenum nicht passieren", sagte er.

Dem umstrittenen Gesetzestext hat die Kommission eine alarmierende Bestandaufnahme vorangestellt. 81 Prozent der Habitate in Europa seien in schlechtem Zustand, heißt es da, die Populationen eines Drittels aller Bienen- und Schmetterlingsarten gingen zurück, die Feuchtgebiete West-, Mittel- und Osteuropas seien seit 1970 um die Hälfte geschrumpft. Und das ist nur ein Ausschnitt. "Alle europäischen Ökosysteme (...) stehen unter zunehmendem Druck", schreibt die Behörde. Gründe dafür seien der Klimawandel, der übermäßige Einsatz von Düngemitteln und anderer Chemikalien und, ganz einfach, die zu intensive Landnutzung.

Die EVP wittert Gefahr für die europäische Ernährungssicherheit

Deshalb sollen Schutzgebiete wachsen und die für Agrar- und Forstwirtschaft genutzten Flächen tendenziell schrumpfen. Es sollen Moore wieder vernässt, Felder zu Wiesen und Forste zu geschützten Wäldern werden. Die Mitgliedstaaten sollen nationale "Wiederherstellungspläne" erstellen, mit denen die EU-Ziele erreicht werden können - beispielsweise die Eindämmung und Umkehr des Rückgangs der Artenvielfalt unter bestäubenden Insekten von 2030 an.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Das vorgeschlagene Gesetz sieht unter anderem vor, bis 2030 zehn Prozent der Agrarflächen in der EU mit "Landschaftselementen im Sinne des Naturschutzes" aufzuwerten.

Das ist einer der größten Aufreger: Es würde bedeuten, befürchten die Kritiker, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche um bis zu zehn Prozent schrumpfen müsste. Daraus leitet die EVP ab, die Ernährungssicherheit in Europa sei bedroht. Befürworter des Gesetzes, darunter große Nahrungsmittelkonzerne, widersprechen. Zuletzt hatten mehr als 3300 Wissenschaftler in einem offenen Brief erklärt, die Behauptung, das Gesetz werde den Landwirten schaden und die Ernährungssicherheit gefährden, sei nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gedeckt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Europäische Union
:Der Naturschutz versinkt in Polemik

Manfred Webers EVP versucht mit allen Mitteln, eines der wichtigsten Umwelt- und Klimagesetze zu versenken. Das Ergebnis: ein gespaltenes Europaparlament.

Von Josef Kelnberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: