Ehrenamt:Wenn das Engagement nachlässt

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Eine ehrenamtliche Küsterin reinigt eine Kirche in Sachsen-Anhalt. Helfer wie sie zu finden, fällt Kirchengemeinden zusehends schwerer. (Foto: Martin Wagner/Imago)

Die Kirchen, aber auch Sportvereine und andere Organisationen verzeichnen einen Rückgang von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Das hängt mit der Pandemie zusammen, aber auch mit den Ansprüchen und Zielen vieler Helfer.

Von Annette Zoch

Die großen Kirchen stecken in der Krise - das äußert sich nicht nur in stetig steigenden Austrittszahlen, im Priester- und Pfarrermangel. Es zeigt sich zunehmend auch bei den Ehrenamtlichen. In manchen Regionen haben Gemeinden Schwierigkeiten, Kandidaten für Pfarrgemeinderäte oder Kirchenvorstände zu finden. Es fehlt an Austrägern für Gemeindebriefe, an Mitarbeitern für Kindergottesdienste, an Gruppenleitern für Seniorenkreise.

Nach einer repräsentativen Erhebung zum kirchlichen Ehrenamt vom April ist die Gesamtzahl der Ehrenamtlichen allein in der bayerischen evangelischen Landeskirche in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 um neun Prozent zurückgegangen. Die Evangelische Kirche in Westfalen verzeichnet in ihrem Ehrenamtsbericht von 2023 ähnliche Zahlen.

Am meisten gelitten haben in der Pandemie die Sportvereine

Der Schwund der Helfer ist allerdings kein Problem, das Kirchen exklusiv haben. Über die genaue Anzahl der Ehrenamtlichen in Deutschland gibt es unterschiedliche Angaben. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse von 2022 ist die Zahl der Ehrenamtlichen hier von 2020 bis 2022 von 17,2 Millionen auf 15,7 Millionen Menschen gesunken, das bedeutet einen Rückgang um 8,2 Prozent. Der Deutsche Freiwilligensurvey ging im Jahr 2019 hingegen noch von 28,8 Millionen freiwillig engagierten Menschen aus, das sind 39,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland. Allerdings waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie in dieser Befragung noch nicht erfasst.

Frische Zahlen zur organisierten Zivilgesellschaft bietet die Umfrage des Think Tanks Ziviz (Zivilgesellschaft in Zahlen). Demnach haben Freiwilligen-Organisationen und Vereine zwar nicht im großen Stil Mitglieder verloren, stellen aber ein leichtes Nachlassen des Engagements fest. Jede fünfte Organisation, also 21 Prozent, verzeichnete demnach einen Rückgang ihrer Engagierten. Das heißt: Menschen, die in Vereinen oder Organisationen Mitglied sind, sind offensichtlich schwieriger als früher über die reine Mitgliedschaft hinaus für Vorstandsjobs, Ämter oder sonstige verantwortliche Tätigkeiten zu gewinnen.

Und: Das Engagement der Menschen entwickelt sich der Erhebung zufolge in einzelnen Segmenten der Zivilgesellschaft sehr unterschiedlich. "Sportvereine haben in der Pandemie mit am meisten gelitten", sagt Ziviz-Wissenschaftler Peter Schubert. Besser sieht es für Umweltverbände aus. Während 27 Prozent der Sportvereine angaben, dass das Engagement ihrer Mitglieder "stark" gesunken sei, liegt dieser Anteil bei Umwelt- und Naturschutz-Organisationen nur bei 15 Prozent, bei Bevölkerungs- und Katastrophenschutzorganisationen sind es nur 13 Prozent. Freiwillige Feuerwehren zum Beispiel melden inzwischen wieder stabile Nachwuchs-Zahlen.

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Gut eine halbe Million Mitglieder haben die Institution verlassen. Damit verstärkt sich der Trend der vergangenen Jahre. Als ein Grund gilt der Umgang mit Missbrauchsfällen.

Von Annette Zoch

"Ich weigere mich zu glauben, dass das ehrenamtliche Engagement tot ist."

Die repräsentative Zuversichts-Studie des Rheingold-Instituts attestierte den Deutschen in diesem Jahr eine "Flucht ins Private", resultierend aus einem "diffusen Grundgefühl der Bedrohung und Endzeitstimmung". In Zeiten sich überlagernder Krisen - Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klimakatastrophe - ließen die Menschen einen "Vorhang der Verdrängung" herunter, die unübersichtliche Welt solle draußen bleiben.

Das Ehrenamt sehen die Wissenschaftler dabei aber nicht bedroht: 60 Prozent der Befragten gaben an, Kraft daraus zu schöpfen, aktiver Teil einer sozialen Gemeinschaft zu sein. Und 43 Prozent der Befragten gaben an, im Ehrenamt oder in Vereinen tätig zu sein, um ihren Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten - und dort Selbstwirksamkeit zu erleben.

"Ich weigere mich zu glauben, dass das ehrenamtliche Engagement tot ist", sagt auch Hubertus Schönemann, Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt und selbst ehrenamtlich engagiert in der Bahnhofsmission. "Wir sind in einer riesengroßen Umbruchszeit, in einer großen gesellschaftlichen Polarisierung, und in diesem Kontext erleben wir auch das Ehrenamt." Es gebe sicher viele Menschen, die mit der Krise umgehen, indem sie die Augen verschließen und zuhause bleiben. "Aber es gibt immer noch Leute, die sich ansprechen lassen."

Eher ist es wohl so, dass sich die Gestaltung des Ehrenamtes verändert: Die Menschen sind mobiler, haben weniger Zeit, sind weniger verwurzelt an ihren Wohnorten als in vergangenen Jahrzehnten. "Im kirchlichen Raum erleben wir dasselbe Phänomen wie auch Sportvereine: Die Menschen engagieren sich eher projektorientiert und kürzer", sagt Schönemann. Die eigene Persönlichkeitsentwicklung werde als Motivation für ehrenamtliches Engagement zunehmend bedeutender. "Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Ehrenamtlichen auch ausgebildet und gut begleitet werden."

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Die Kirchen sollten mehr befristete, niedrigschwellige Angebote machen

Dass sich Menschen seltener langfristig und lieber projektbezogen engagieren wollen, sei schon länger festzustellen, sagt Hagen Fried vom Amt für Gemeindedienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung aber noch verstärkt. Es gebe deshalb noch zu wenige befristete, niedrigschwellige Angebote für ehrenamtliches Engagement, gerade in den Kirchen. Und: "Eine ganze Reihe von Menschen sagt bewusst, wir wollen uns nicht in innerkirchlichen Zirkeln bewegen, sondern aus einer religiösen Motivation heraus für die Gesellschaft engagieren."

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Diese Beobachtung teilt auch Hubertus Schönemann: In traditionellen Bereichen lasse das Engagement nach. "Wenn es sehr christlich-kirchlich wird, fühlen sich viele Menschen nicht mehr sehr angesprochen. Wenn es aber um darum geht, sich konkret zum Beispiel im eigenen Viertel zu engagieren, dann wird das gerne angenommen, auch von eher kirchenfernen Menschen."

2015 sei so eine entscheidende Zeit gewesen, aber auch die Zeit nach dem Überfall auf die Ukraine: Viele Kirchengemeinden, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagierten, wurden zu einem gesellschaftlichen "Kristallisationspunkt", so Schönemann. Freiwilliges Engagement und Ehrenamt könne mitten in der Krise eine große Chance sein, glaubt er: "Dies wird eine wichtige Frage für die Kirchen: Wie kann Christsein in diesem Land gelebt werden?"

Man könne sich als christliche Gemeinschaft einigeln, sagt Schönemann. "Ich kann die Krise aber auch als einen Impuls nehmen, mich zu verändern und auf eine neue Art und Weise in die Gesellschaft hineinzuwirken."

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