Trainer im Kinder- und Jugendfußball:Der große Spagat

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Das Team des Autors (grüne Trikots) beim Trainingslager im Stubaital nach einem Trainingsspiel gegen das örtliche Team. (Foto: privat)

Im Sommer 2022 beschloss unser Autor, für ein Jahr das Fußballteam seines Sohns zu trainieren - ohne zu ahnen, worauf er sich einlässt. Eine Geschichte über Moves von Messi, Vokabeln in der Kabine und die oft überwältigende Wucht des Ehrenamts.

Von Peter Linden

Das Abenteuer beginnt schleichend am Ende vieler Corona-Monate, in denen ich meinen Sohn mit Fußballtennis auf der Spielstraße neben seiner Grundschule und beim Torwandschießen auf ein Garagentor bei Laune gehalten hatte. Ausgerechnet jetzt hat es den Trainer seiner Mannschaft selbst erwischt - ob ich einspringen könne und das Hallentraining übernehmen? Ein kleiner Münchner Stadtteilverein, der mit Mühe alle Altersklassen besetzen kann, hat keine Trainer in der Hinterhand.

Mir fehlen die Argumente, mich zu widersetzen. Ich war Lehrer, war als junger Mann aktiv im Taekwondo und im Volleyball. Ich war acht Jahre lang Sportredakteur dieser Zeitung und habe mir in Gesprächen mit Trainern wie Werner Lorant oder später Reiner Maurer etwas Wissen über Taktik im Fußball zugelegt. Mein Sohn spielt in dieser U11. Ich habe bei vielen Trainingseinheiten zugesehen, also offensichtlich Zeit.

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Aus einem Training werden mehrere, zwei Punktspiele im Frühsommer 2022 folgen. Aus null Punkten in der Tabelle der Gruppe "Hund" werden vier, immerhin. Beim Sommerfest des Vereins im Juli fragt der Vorstand, ob ich mir vorstellen könne, die Mannschaft für ein ganzes Jahr zu übernehmen. Ich bekomme sogar einen Co-Trainer: Nico, auszubildender Lokführer.

Auftakt mit dem Minikader

Unmittelbar vor den Sommerferien stehen Nico und ich erstmals mit den neun Jungs auf dem Platz, die auch in der neuen Saison noch in der U11 spielen werden. Mehr gibt der Minikader nicht her. Danach sitzen wir gemeinsam mit den Eltern im Biergarten der Sportgaststätte "Zum Freistoß". Ich erzähle, was ich plane. Und was ich fordere: Ordnung in der Kabine, alle Klamotten an die Haken. Respekt und keinerlei Beleidigungen. Null Toleranz gegenüber rassistischen oder homophoben Äußerungen, auch wenn Elfjährige sie nur aufschnappen in der Welt der Erwachsenen.

Dann zeige ich den Ausdruck der Tabelle und drehe sie um. Wenigstens einmal, sage ich zu den Jungs, möchte ich sie so sehen: mit uns an der Spitze. Später erfahre ich von meiner Frau, dass ein Elternpaar pikiert darauf reagiert. Leistung im Kinderfußball steht verständlicherweise nicht bei allen oben auf der Agenda. Selbst dann nicht, wenn die Kinder offensichtlich darunter leiden, dass sie beinahe jedes Spiel verlieren.

Im September, zu Schuljahresbeginn, geht es richtig los. Vor jedem Training setzen wir uns fortan auf eine Bank und erzählen kurz, was uns an dem Tag gefreut hat und was geärgert. Ich bekomme mit, wie wichtig es den Kindern ist, einander mitzuteilen, wie es in der Schule läuft. Verweise und schlechte Noten sind fast immer ein Thema. Im ersten Training nach Punktspielen wird von nun an jeder Junge einen anderen für eine spezielle, gelungene Aktion loben. Danach übernimmt für drei bis fünf Minuten immer ein anderer das Kommando und führt eine Übung vor, die er sich irgendwo im Netz ausgesucht hat. Coole Moves von Messi, so etwas.

Gäste aus dem Spitzensport

Gut, wenn man als Novize ohne Trainerschein Bekannte wie Reiner Maurer hat. Der ehemalige Bundesligaprofi und 1860-Trainer leitet als Ehrengast die Einheit unmittelbar vor dem Start der Herbstrunde. Er zeigt mir und den Jungs defensive Tricks, übt Stellungsspiel - stoisch, konsequent, geduldig, fordernd. Kein Mucks, kein Aufbegehren gegen einzelne Übungen. Und ein 5:3 am Sonntag danach. Keiner der Jungs hatte zuvor ein Liga-Auftaktspiel gewonnen. Ungläubiges Staunen und Strahlen in den Gesichtern. Auch bei mir.

Ein paar Wochen später beehrt uns Ralf Matusche, Leiter des Olympiastützpunkts Judo in Großhadern. Die Jungs dürfen raufen und rangeln, schieben und drücken und erhalten so spielerisch mehr Stabilität für den Zweikampf. Ralf Matusche versteht es, aus den Übungen ein Gruppenerlebnis zu machen, bei dem alle als Gewinner hervorgehen. Erstaunlich, wie selten im Sport vereinsübergreifend oder interdisziplinär trainiert wird. Oft fehlt es an Gelegenheiten, öfter wohl an Fantasie.

Jugendliche zu trainieren, ist im deutschen Sport fast immer ein Ehrenamt - professionell läuft es trotzdem oft ab. (Foto: Joaquim Ferreira/HMB/Imago)

Vom Trainer zum Manager

Doch mit dem Herbst zieht auch bei uns grauer Alltag ein: Training bei Regen, Absagen wegen Krankheiten, Schulaufgaben oder Nachsitzens. Mehr und mehr wird der Trainer zum Manager, der wöchentliche Aufwand liegt längst nicht mehr bei zehn, sondern bei 20 Stunden. Die Whatsapp-Gruppe mit Eltern und Co-Trainer wandelt sich zur Krisenplattform. Natürlich verlieren wir auch Spiele, was manchmal zu Streitereien unter den Kindern führt.

Einerseits ist der Fußball in höchstem Maße inklusiv: Meine Jungs haben deutsche, griechische, türkische, bosnische, vietnamesische, tibetische, marokkanische, italienische Wurzeln, später, im Frühjahr, wird noch ein kleiner Ägypter zu uns stoßen. Die Temperamente reichen von aufbrausend und beratungsresistent über selbstzweifelnd bis hin zu verträumt; die Ziele von Champions League bis einfach nur Austoben. Andererseits bedeutet das für Trainer im Jugendbereich einen andauernden, multiplen Spagat. Zwischen Fordern und gutem Zureden. Zwischen Anstacheln und Beruhigen, Kritisieren und Trösten.

Andere Spagat-Übungen bleiben mir dagegen erspart: Disziplinarische Maßnahmen wie Trainingsausschluss als letzter Ausweg verbieten sich bei einem Neuner-Kader, wenn sieben gegen sieben gespielt wird. Ebenso wenig muss ich jemals abwägen zwischen sportlichem Erfolg und dem berechtigten Interesse auch der Schwächeren, regelmäßig dabei zu sein. Die Jungs wissen das. Doch nie habe ich das Gefühl, dass sie es ausnutzen.

In den Herbsttagen wird mir auch deutlich, wie sehr die Strukturen von Vereinen und Verbänden die Trainerarbeit behindern können. Die Spielgenehmigung für den tibetischen Jungen aus China kommt erst nach wochenlanger bürokratischer Kleinarbeit. Und als sich im Oktober drei meiner Leistungsträger erkältet haben, wir also nicht einmal mehr in Mannschaftsstärke antreten können, gibt mir der Verein mit sanftem Druck zu verstehen, dass man die bei einer Verlegung fällige Geldstrafe an den Bayerischen Fußball-Verband unbedingt vermeiden möchte. Ich bin wütend, schreie ins Telefon, biete an, die 50 Euro aus eigener Tasche zu bezahlen, kapituliere. Wir verlieren haushoch in Neuried, obwohl der Kollege zugestimmt hat, nur mit jeweils sechs Spielern anzutreten.

Eine einzige Kollegin

Überhaupt sind die meisten Kollegen sehr freundlich. Manche haben sogar Interesse an einem kurzen fachlich-pädagogischen Austausch. Besonders die Trainerin in Laim beeindruckt mich: Ihre Art, mit den Kindern umzugehen, ist voller Empathie. Gegentore nimmt sie nicht persönlich, den gegnerischen Trainer sieht sie als Partner. Ich frage mich, weshalb sie die einzige Trainerin ist, die ich während des ganzen Jahres sehe. Denn unter den vielen Männern gibt es auch sichtlich Überforderte, solche, die während eines Spiels brüllen und zetern und ihre Spieler mit vernichtender Kritik belegen. Gelegentlich werden sie dann assistiert von aggressiven Eltern, die selbst vor mir und meiner Mannschaft nicht Halt machen.

Die Kinder leiden unter Beschimpfungen. Mehr noch leiden sie unter Niederlagen. Das wirkt sich zunehmend auch auf mich aus, viel stärker, als ich das erwartet hätte. Ich hadere mit meinen Coaching-Fehlern, beginne von Spielzügen zu träumen, sitze vor jedem Training am Schreibtisch und suche in Fachbüchern und Onlineforen passende Übungsformen. Ich kann nachvollziehen, weshalb die so gut bezahlten Profitrainer Auszeiten brauchen oder gar mit Burnout zu kämpfen haben.

Mehrmals bin ich drauf und dran, hinzuwerfen. Ich frage mich, wie es gelingen kann, mehr Spaß ins Spiel zu bringen, und muss feststellen, dass Punktspiele und Tabellen dem grundsätzlich entgegenstehen. Dass ein unauflöslicher Widerspruch besteht zwischen einem Spiel, das beständig Sieger und Verlierer kreiert, und einem unbeschwerten Vergnügen an der Sache selbst.

Tränen nach dem Finale

Im November gewinnen wir noch zweimal und beenden erstmals eine Saison im Mittelfeld der Zehnerliga. Im Dezember gewinnen wir das Hallenturnier in Zorneding. Wir werden Zweiter beim Hallenturnier in Laim - doch anstatt sich zu freuen, weinen die meisten meiner Jungs nach dem Finale. Einer mag nicht einmal seine Medaille entgegennehmen. Da ist er wieder, dieser Widerspruch. Erfolge, so scheint es, machen nicht zufriedener, sondern unzufriedener. Jeder Sieg kann nur mit einem noch höheren Sieg getoppt werden. Jeder Aufstieg mit einem weiteren Aufstieg.

Kurz vor den Weihnachtsferien nehmen die Probleme in den Schulen weiter zu. Die Baustellen heißen Deutsch, Mathe und Englisch. Ein Fußballtrainer ist ein Fußballtrainer, aber die Englischnoten lassen mir keine Ruhe. Ich teile Fußball-Vokabellisten aus, 40 Begriffe von attacker bis wall pass. Eine Woche später halte ich das komplette Hallentraining in Englisch ab. An diesem Tag liegt ein Hauch von Premier League über der Schwanthaler Höhe.

Lernen von Unterhaching, Bayern, 1860

Außerdem greife ich zwischen Herbst- und Frühjahrssaison noch einmal in meine Kontaktkiste. Die Jungs dürfen eine komplette Trainingseinheit mit den Gleichaltrigen der SpVgg Unterhaching absolvieren und erleben, wie diszipliniert und intensiv ein Fußballtraining abläuft, sobald ein Verein mit einer Profikarriere locken kann. Sie bekommen eine Führung über den Campus des FC Bayern München und erfahren, was das berühmte "Mia san mia" wirklich bedeutet: nämlich Fehler bei sich selbst zu suchen und nicht bei Schiedsrichtern, Gegnern, Platzverhältnissen oder gar Mitspielern.

Erstaunlich, wie freundlich die großen Vereine reagieren, wenn man mit Anfragen auf sie zukommt, obwohl sie längst nicht alle positiv beantworten können. Mitte März besucht uns der TSV 1860 München sogar zu einem Testspiel. Da unsere Bezirkssportanlage umgebaut wird, lässt uns der Nachbarverein HLC Rot-Weiß ausnahmsweise auf seinen Hockey-Kunstrasen. Alles, was ich von meinem eigenen Vorstand dazu höre, ist, dass die Aktion Eifersucht und Begehrlichkeiten bei den anderen Mannschaften im Verein auslösen könnte. Ich bekomme zu spüren, dass Eigeninitiative nicht wirklich gefragt ist. Vor allem dann, wenn der Vorstand rund um die Uhr mit viel größeren Themen wie der bevorstehenden Fusion mit dem Nachbarklub zu kämpfen hat.

Auch das Spiel wird zur Lektion: Wir verlieren 1:11 und lernen, wie viel wir noch zu lernen haben. Aber auch, wie schnell wir lernen können: Die zweite Halbzeit endet nur 0:3.

Trainingslager und Meisterschaft

Kurz nach Beginn der neuen Runde im März bitte ich Kinder und Eltern zum Trainingslager im Stubaital. Mit Ausnahme einer Familie können sich alle das Wochenende freinehmen. Wir trainieren und essen zusammen, wir wandern, jagen durch die Wasserrutschen im "Stubay", feuern die einheimische Männermannschaft beim Punktspiel an. Zum Abschluss spielen wir gegen die Gleichaltrigen - exakt auf dem Rasen, auf dem Spanien einst den WM-Sieg vorbereitet hat.

Auch bei uns wirkt die Höhenluft Wunder. Im 500 Meter tiefer gelegenen München gewinnen wir danach sieben Mal am Stück und stehen nach dem neunten und letzten Spiel auf Platz eins. Doch da ist noch ein Spiel, drei Tage später, das des Dritten gegen den Zweiten. Es dauert bis zur allerletzten Minute der Saison, ehe die U11 des TSV Großhadern durch ein 2:1 gegen die TSG 1888 Pasing mein Team zum Meister der Gruppe macht.

Die Feier zwei Wochen später mit Limonade und Musik am Trainingsplatz ist ein kleiner Abschied: Der Verein hat sich tatsächlich mit dem Nachbarn zusammengeschlossen und trägt nun einen neuen Namen. Die Kinder spielen mit neuen, engagierten Trainern und neuen Teamkollegen fortan in der D-Jugend, neun gegen neun, Abseits, Rückpassregel.

Und ich werde wieder zusehen. Nach 20 Punktspielen, zwei Hallenturnieren, drei Freundschaftsspielen, 80 Trainingseinheiten, 1000 Kilometern mit Kindern und Bällen im Kofferraum und beinahe ebenso vielen Stunden auf dem Platz, vor dem Bildschirm oder am Handy. Und mit noch mehr Respekt vor der ungeheuren Leistung all der ehrenamtlichen Trainer und Betreuer im Kinder- und Jugendsport.

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