Digitalisierung:Gegen die Zeitlupenwende

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Geht es um die geplanten KI-Regeln der EU, ist sich die Bundesregierung nicht ganz einig: Digitalminister Volker Wissing (l., FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (r., Grüne) beim Digital-Gipfel 2023 in Jena. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Auf dem Digitalgipfel diskutiert die Bundesregierung mit Wirtschaft und Gesellschaft über die Chancen künstlicher Intelligenz. Vizekanzler Habeck und Digitalminister Wissing sind sich erstaunlich einig - und haben eine Empfehlung.

Von Iris Mayer, Jena

Das Wort Zeitenwende ist in den vergangenen 20 Monaten oft bemüht worden, um Grundsätzliches zu beschreiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat damit Russlands Überfall auf die Ukraine charakterisiert, der Europas Außen- und Verteidigungspolitik in ein Davor und ein Danach teilte. Seitdem hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Zeitenwende in der Finanzpolitik ausgerufen, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine in der Energiepolitik. Es ist also nur konsequent, dass der Digitalgipfel der Bundesregierung im thüringischen Jena unter dem Motto "Digitale Transformation in der Zeitenwende" steht. Wobei man im Land der Funklöcher und Faxgeräte bisher den Eindruck haben konnte, die Digitalisierung sei hier eher eine Zeitlupenwende.

Seit die Ampelregierung vom Bundesverfassungsgericht vergangene Woche auch noch eine Zeitenwende in der Haushaltspolitik verordnet bekam, lässt sich das Motto des Digitalgipfels "Nachhaltig. Resilient. Zukunftsorientiert" noch einmal in ganz neuem Licht betrachten. Schließlich muss sich die Koalition nach dem 60-Milliarden-Euro-Schock nun sehr grundsätzlich über die Finanzierung ihrer Politik verständigen. Resilienz, definiert als die Fähigkeit, Krisen ohne dauerhaften Schaden zu meistern, kann da nicht schaden.

Nicht die Technik solle reguliert werden, sondern deren Anwendung

In Jena sind die Gipfelgastgeber, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck und Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), am Dienstag erkennbar um öffentliche Harmonie bemüht. Zum Auftakt dankt Habeck seinem Kabinettskollegen für die gute Zusammenarbeit und erntet den ersten Lacher des Tages für den Zusatz: "Das ist in diesen Zeiten ja schon mal eine Nachricht." Wissing versichert den Gästen seinerseits: "Bei uns sieht die Zusammenarbeit hinter der Kulisse genauso aus wie auf der Bühne."

Dort geht es dann vor allem um künstliche Intelligenz (KI), über deren enorme Bedeutung sich alle einig scheinen. Habeck wirbt für einen mutigen Umgang mit den neuen Möglichkeiten. Nicht die Technik solle reguliert werden, sondern deren Anwendung. Dazu brauche es eine Kultur, die Fehler zulasse: "Aus Fehlern zu lernen, ist allemal klüger als keine Entscheidungen zu treffen - aus der Angst Fehler zu machen." Europa dürfe künstliche Intelligenz keinesfalls zu stark regulieren. Sonst habe man zwar die besten Verkehrsvorschriften, aber keinen Verkehr mehr auf der Straße.

Wissing stößt ins gleiche Horn. KI verändere den Alltag so grundlegend, dass man auch den Mut haben müsse, nicht schon heute alle Fragen regulieren zu wollen. Sollte Europa das Signal senden, besonders scharf zu regulieren, würde die Technologie abwandern. Auch beim Auto habe man erst nachträglich reguliert, Verkehrsregeln und Sicherheitsvorschriften wie Airbag oder Gurte eingeführt. Bei der künstlichen Intelligenz müsse man es genauso machen, sagt Wissing. Habeck nickt.

Schneller, bürgerfreundlicher und billiger

Vertreter der Zivilgesellschaft mahnen dagegen in Jena strenge gesetzliche Rahmenbedingungen schon für die Basistechnologie an. Am Montag war bekannt geworden, dass sich Deutschland, Frankreich und Italien auf eine gemeinsame Position zu KI-Regulierung geeinigt haben. Die drei Staaten wollen mit einem Gesetz mögliche Sicherheitsrisiken und eine diskriminierende Wirkung von KI-Anwendungen abwenden, aber ohne die Basistechnologie an sich zu regulieren. "Dieser risikobasierte Ansatz ist notwendig und dient dazu, Innovation und Sicherheit gleichzeitig zu bewahren", heißt es in einem Positionspapier.

Auf nationaler Ebene gibt es im Hinblick auf Innovation durchaus Reserven. Im Koalitionsvertrag der selbst ernannten Fortschrittskoalition steht der Begriff Digitalisierung 63 Mal. In der Verwaltung vollzieht sich das nur schleppend. Bis Ende vergangenen Jahres wollte Deutschland bundesweit 575 Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert haben. Bis Mai dieses Jahres waren es allerdings gerade mal 126. Auch der Kanzler, höchstselbst nach Jena gekommen, muss eingestehen, dass man auf unterschiedlichen Feldern unterschiedlich gut dastehe. Bei der Digitalisierung der Verwaltung sei man aber dabei, die KI-Fragen sofort aufzugreifen. Sein Fazit: "Es geht voran."

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Auch wenn die Digitalisierung der Verwaltung lange dauert, soll sie für die Bürger immerhin günstiger werden. Wissing sagt in Jena, Digitalisierung und künstliche Intelligenz könnten die Verwaltung effizienter, schneller und bürgerfreundlicher machen. Dazu müsse man unnötige Schleifen abbauen. Wichtig sei es, diese Effizienzgewinne an die Bürger und Unternehmen weiterzugeben. "Überall dort, wo der Staat Gebühren erhebt - sei es für die Genehmigung von Bauanträgen, für die Ausstellung von Pässen oder den Eintrag im Handelsregister -, müssen wir mit der Einführung digitaler Verfahren die Gebühren senken." Wenig Verständnis habe er, wenn digitale Möglichkeiten des Bundes von Ländern und Kommunen nicht umgesetzt würden, etwa bei der digitalen Kfz-Anmeldung.

Was also bleibt von zwei Gipfeltagen, an denen 1000 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutieren? Fragt man Habeck, dann sagt er, das vielleicht Beste, was man mitnehmen könne aus Jena: "Mut zum Risiko".

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