Demokratiefördergesetz:Opfern helfen, aber langfristig

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Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) besucht in Sachsen und Sachsen-Anhalt vom Bund geförderte Projekte, etwa das Zentrum für Familien und Alleinerziehende in Jena. (Foto: Thomas Imo/Imago)

Bisher kann der Bund zivilgesellschaftliche Initiativen etwa gegen Rechtsextremismus nur zeitlich befristet fördern. Familienministerin Lisa Paus will dies ändern. Wie das einem Projekt in Halle helfen könnte.

Von Johannes Korsche, Halle (Saale)

Plötzlich wird es still, als Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) eine weiße Blume vor der Eichentür ablegt, die am 9. Oktober 2019 in Halle 52 Menschen das Leben gerettet hat. Es ist die Tür, die den Attentäter vor fast drei Jahren am jüdischen Feiertag Jom Kippur dabei aufhielt, ins Innere der Synagoge zu gelangen. Noch heute sind die Einschusslöcher im Holz zu sehen - noch immer ist die Tür nicht geborsten. Inzwischen ist sie Teil eines Mahnmals, das an den Terroranschlag von Halle erinnert. Jana Lange und Kevin Schwarze überlebten diesen Oktobertag nicht. Viele der Dutzenden Menschen, die der Attentäter ebenfalls töten wollte oder die den Anschlag als Zeugen erlebten, leiden noch heute unter den Folgen des Anschlags, psychisch und physisch. Paus legt ihre Blume ab, geht ein paar Schritte zurück - und schweigt.

Paus besucht die Synagoge in Halle am Dienstagnachmittag während ihrer Sommertour, die sie eigentlich macht, um zu reden. Mit Vereinen und Initiativen, die das Bundesfamilienministerium fördert. Wie zum Beispiel die "Mobile Opferberatung" in Halle, die Menschen unterstützt, die etwa rassistische oder antisemitische Gewalt erlebt haben. Das Team berät unter anderem Betroffene des Anschlags auf die Synagoge, aber auch Opfer von Gewalttaten, die es in keine überregionale Zeitung geschafft haben. Doch die Beratungsstelle hat ein Problem: Sie hat zu wenig Geld.

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Doch weil man als Politikerin keine Reisen macht, ohne eine Botschaft dabei zu haben, hat auch Paus eine nach Halle mitgebracht: Noch in diesem Jahr will das Familienministerium gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium ein neues "Demokratiefördergesetz" vorlegen. Was sperrig klingt, bedeutet für die Mobile Opferberatung und ähnliche zivilgesellschaftliche Projekte gegen Extremismus nach Jahren der Unsicherheit die Aussicht auf eine langfristige finanzielle Absicherung.

Schon in der großen Koalition hatte es den Plan gegeben, diese Demokratieförderung auch gesetzlich festzuschreiben. Weil aber viele der potenziell zu fördernden Projekte vor allem gegen die Ausbreitung des Rechtsextremismus arbeiten, hatten Teile der Union eine linksextreme Unterwanderung befürchtet. Der Kabinettsentwurf scheiterte daraufhin 2021 im Bundestag.

Betroffene brauchen oft jahrelang Hilfe. Im Moment kaum zu leisten.

Doch der wurde ja inzwischen neu gewählt. Die Ampel startete einen neuen Anlauf, um mit einem Gesetz eine stabile und nachhaltige Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Projekten und Initiativen zu erreichen. Denn viele Vereine mussten in der Vergangenheit aufgeben oder ein bewährtes Konzept verändern - nicht etwa, weil es nicht erfolgreich gewesen wäre, sondern weil die Förderung ausgelaufen war.

Denn bis dato gibt es keine Gesetzesgrundlage dafür, dass aus Bundesmitteln zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Demokratieförderung und Extremismusprävention dauerhaft finanziert werden könnte. Über das Förderprogramm "Demokratie leben" unterstützt der Bund zwar derzeit etwa 600 Initiativen und Vereine - aber eben immer zeitlich befristet, als Modellprojekte. 165 Millionen Euro stehen laut Paus dafür in diesem Jahr zur Verfügung.

Auch die Mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt erhält Geld aus diesem Fördertopf, bis Ende 2024 steht die Finanzierung. Und dann? Seit der Gründung des Projekts vor 21 Jahren hangelt es sich von einer Befristung zur nächsten. Damit die mobile Opferberatung endlich langfristig planen kann, hofft Zissi Sauermann, Leiterin der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt, auf das neue Demokratiefördergesetz: "Wir reden seit Jahren darüber, es wird Zeit."

Gegründet wurde die Beratungsstelle, nachdem es 2000 einen Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf gegeben hatte. Damals forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen "Aufstand der Anständigen". Da, sagt Sauermann, sei erstmals die Frage aufgekommen: Wer unterstützt eigentlich die Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt? "Das ist ein Handlungsfeld, das wir seither komplett selbst aufgebaut und professionalisiert haben."

Sie bieten unter anderem an, Betroffene zu Polizei- und Gerichtsterminen zu begleiten, sie zu Sicherheitsfragen zu beraten - auch eine psychosoziale Aufarbeitung des Erlebten ist Teil der Arbeit. "Nach Angriffen bleibt oft ein Ohnmachtsgefühl bei den Betroffenen zurück, einen Selbstermächtigungsprozess anzustoßen, kann deswegen sehr wichtig sein." Betroffene brauchen professionelle Unterstützung oft über Jahre. Die derzeitige Förderung des Bundes mit den dauernden Befristungen sieht das eigentlich nicht vor.

Zwei Teilzeitkräfte pro Standort beraten Extremismusopfer

So spezialisierte Beratungsstellen für Extremismusopfer gibt es inzwischen in allen Bundesländern, in Sachsen-Anhalt mit Anlaufstellen in Halle, Magdeburg und Salzwedel. Jeweils zwei Teilzeitkräfte sind pro Standort bei der Beratung im Einsatz - zu wenig, sagt Sauermann. Schließlich habe sich zum Beispiel allein 2015 die gemeldete Anzahl rechtsextremer Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, das Personal aber nicht. "Das Ressourcenproblem ist eklatant", sagt Sauermann.

Eigentlich wäre es Teil ihres Konzepts, proaktiv auf Betroffene zuzugehen, doch das sei kaum noch möglich. Weil das Budget - und damit die Stellen - fehlten. Mit dem neuen Gesetz könnte sich das ändern.

Die Begleitung der Betroffenen ist zeitintensiv, auch weil ihr Team "individuell schaut, was die Betroffenen vor Ort brauchen", sagt Sauermann. Schließlich reihe sich Gewalt häufig ein in alltägliche Diskriminierungserfahrungen. Deswegen gehöre auch Prävention zu ihren Aufgaben. Und die dürfte ohnehin eines der effektivsten Mittel sein, damit es keine neuen Anlässe für Gedenkminuten und Mahnmale geben muss wie an der Synagoge in Halle.

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