Parlament:Nachts im Bundestag

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Wird da drinnen etwa noch gearbeitet? Oft dauern Sitzungen bis weit in die Nacht hinein, auch wenn schon Besserung gelobt wurde. (Foto: Moritz Schlenk/Imago)

Eigentlich wollten die Abgeordneten nachts nicht mehr tagen. Doch über die Beamtenbesoldung sollen sie laut Tagesordnung um 2.30 Uhr beraten. Sie sind überraschend munter - und schnell.

Von Tobias Bug, Berlin

Nach Mitternacht scheinen die Abgeordneten im Plenarsaal immer noch nicht genug zu haben. In den Reihen sitzen etwa 80 Abgeordnete, manche hängen tief in ihren Stühlen, doch gähnen sieht man niemanden, auf den Tischen stehen keine Kaffeetassen. Mandatsträger, die zu müde waren oder anderweitig verabredet, sind schon weg.

Es ist Donnerstagnacht, die Digitalanzeige an der Wand hinter ihm zeigt 00.36 Uhr, es läuft die 16. Stunde des Sitzungstages. Wolfgang Kubicki muss einen Redner mahnen, zum Ende zu kommen. Dann eröffnet der Bundestagsvizepräsident den 28. und letzten Tagesordnungspunkt: beraten wird über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Staatsbedienstete besser zu entlohnen.

"Dieser Tagesordnungspunkt hätte heute wirklich einer anderen Einordnung bedurft, nämlich eines früheren Zeitpunkts", wird später Petra Nicolaisen aus der CDU/CSU-Fraktion am Pult sagen. Die Tagesordnungspunkte werden laut einer Bundestagssprecherin "rechnerisch" so verteilt, dass jeder mal zu Wort komme, also nicht die Ampel-Abgeordneten bei Tag und die Opposition bei Nacht.

Nach Zusammenbruch und Schwächeanfall wurde vereinbart: keine Nachtsitzungen mehr

Außergewöhnlich ist es nicht, dass das Parlament bis in den frühen Morgen tagt. Doch eigentlich hatte man Ende 2019 vereinbart, die ungeliebten Nachtsitzungen abzuschaffen, nachdem ein Abgeordneter während einer Rede zusammengebrochen war und eine Abgeordnete einen Schwächeanfall erlitten hatte. Die längste Sitzung endete in der damaligen Legislaturperiode erst um 2.30 Uhr.

Vier Jahre später scheint sich niemand mehr daran erinnern zu können, dass man eigentlich nicht mehr so spät tagen wollte. Die Anwesenden hören einander auch nach Mitternacht zu, machen Zwischenrufe, klatschen. Einige hängen am Handy oder reden mit Sitznachbarn, aber das tun sie ja auch, wenn die Sonne durch die Dachkuppel auf den Bundesadler scheint.

Feierabend ist in Sicht: Laut Tagesordnung hätten sie erst zwei Stunden später über die Beamtenbesoldung sprechen sollen: über den Plan der Bundesregierung, den Bundesbeamtinnen, Polizisten, Richterinnen und Soldaten von März kommenden Jahres an einen Sockelbetrag in Höhe von 200 Euro zu zahlen und die Besoldung um 5,3 Prozent zu erhöhen. Unterm Strich bedeutet das etwa 340 Euro mehr im Monat. Außerdem gibt es Inflationsprämien: Im Juni 2023 sind es 1240 Euro, von Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich jeweils 220 Euro.

Damit will die Koalition die Ergebnisse der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gesetzlich festhalten, was auf Zustimmung unter den nächtlichen Rednern stößt. Ingo Schäfer aus der SPD-Fraktion lobt seine Parteikollegin, Innenministerin Nancy Faeser, die für ihre Beamten gekämpft habe, und sagt: "Der öffentliche Dienst hat in der Pandemie und seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Großes geleistet." Die CDU-Abgeordnete Nicolaisen sieht in den Plänen eine Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes. Kritik gibt es von der AfD-Abgeordneten Gerrit Huy, die Rentner gegenüber Pensionären schlechter gestellt sieht.

Die 56 000 Bundespolizisten sollen höhere Pensionszahlungen bekommen. Demonstrationen, Migration, Grenzsicherung: In der "Zeitenwende" seien sie physisch und psychisch stark belastet, heißt es im Gesetzentwurf. Belastungen wirken im Pensionsalter nach, deswegen soll die sogenannte Polizeizulage von etwa 228 Euro monatlich nun ruhegehaltfähig werden, wodurch pensionierte Beamte im Alter mehr bekommen.

Zweieinhalb Stunden gespart, dank eines "sehr effizienten Redemanagements"

Eigentlich hatten sich noch fünf Abgeordnete äußern wollen, doch sie sind schon gegangen, haben ihre Beiträge zu Protokoll gegeben, wo sie zu lesen sein werden. Jene, die noch da sind, rund 80 von insgesamt 736 Mandatsträgern, müssen nicht mehr über die Besoldung abstimmen. Sie hätten es gekonnt: Laut Geschäftsordnung ist das Parlament zwar nur dann beschlussfähig, wenn es zur Hälfte anwesend ist, doch die Beschlussfähigkeit wird lediglich überprüft, wenn eine Fraktion, fünf Prozent der Anwesenden oder der Sitzungsvorstand das wollen.

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Um zehn vor eins ist Schluss, Bundestagsvize Kubicki beendet die Sitzung. "Ein sehr effizientes Redemanagement hat es vermocht, zweieinhalb Stunden zugunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages aufzuholen", sagt er, bedankt sich noch, doch seine Worte gehen im Applaus unter. Einige SPD-Abgeordnete schießen schnell ein Erinnerungs-Selfie, keine drei Minuten später sind alle Mandatsträger aus dem Saal verschwunden.

Durch die Reihen laufen jetzt Plenar-Assistenten, checken die Schubladen, räumen auf. Tagt das Plenum bis in die Nacht, müssen sie wach bleiben, auch die Stenografen, ITler und Sicherheitsleute. Und die Parlamentsärztin, die heute keinen übermüdeten Abgeordneten versorgen musste. Draußen vorm Reichstag steigen die Abgeordneten munter ins Taxi, auf ihre Räder und Roller.

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