Podgorica/Sarajevo (dpa) - Außenministerin Annalena Baerbock drückt bei der EU-Erweiterung um Westbalkanländer wie Montenegro oder Bosnien-Herzegowina auch angesichts russischer und chinesischer Einflussversuche in der Region aufs Tempo. „Je schneller wir als Europäische Union stärker werden in diesen geopolitischen Zeiten, umso besser“, sagte die Grünen-Politikerin bei einem Treffen mit ihrem montenegrinischen Kollegen Filip Ivanovic in der Hauptstadt Podgorica. Zugleich betonte sie: „Die Erweiterung ist kein Selbstzweck, sondern sie dient der Stärkung unseres gemeinsamen Europas.“
„EU-Erweiterung auf Westbalkan geopolitische Notwendigkeit“
Baerbock betonte, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mache die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan zu einer „geopolitischen Notwendigkeit“. Wie in der Ukraine „ist auch hier auf dem westlichen Balkan das europäische Projekt ein Garant für Freiheit, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand“. Ivanovic nannte den Besuch Baerbocks in einer Zeit großer Reformen in seinem Land eine Bestätigung, dass die Europäische Union am Westbalkan interessiert sei. „Integration ist alternativlos, wenn wir eine stabile Region wollen. Es ist der Weg zu Stabilität und einer einfacheren Streitbeilegung“, ergänzte er.
Russischer und serbischer Einfluss auf Montenegro
In Montenegro gibt es seit Oktober 2023 eine neue Regierung unter Führung von Ministerpräsident Milojko Spajic, die sich Reformen auf die Fahnen geschrieben hat. Spajic regiert jedoch auch mit Unterstützung proserbischer und prorussischer Parteien. Ivanovic räumte ein, dass es Sorgen über einen negativen Einfluss Russlands gebe. Er betonte aber auch: „In Montenegro sind 80 Prozent der Bürger europäisch orientiert, das sagt genug darüber aus, wie und auf welche Weise Montenegro orientiert ist.“ Baerbock traf neben Spajic und Invanovic auch den montenegrinischen Präsidenten Jakov Milatovic.
Enorme Verschuldung bei Peking
Montenegro hat sich bei China enorm verschuldet. Hintergrund ist der Bau einer Autobahn, die die Chinesen bis 2030 von der Adria bis zur serbischen Grenze bauen wollen. Seit Baubeginn 2009 sind von den rund 167 geplanten Kilometern erst etwa 40 fertig. Zuletzt war von 2,7 Milliarden Euro Gesamtkosten die Rede - womöglich war auch Korruption im Spiel.
Baerbock räumte vor diesem Hintergrund ein, es sei ein Fehler gewesen, „dass Europa nicht da war, als es wichtige Infrastrukturinvestitionen“ in Montenegro brauchte. Dass das Land seine großen Infrastrukturprojekte etwa im Eisenbahn- oder Automobilbereich nun mit europäischer Unterstützung angehe, sei „nicht nur eine Stärkung eurer eigenen Infrastruktur, sondern eine Stärkung der europäischen Souveränität“.
Auch in Bosnien-Herzegowina EU-Erweiterung zentrales Thema
Montenegro und Bosnien-Herzegowina gehören zu den sogenannten Westbalkanländern, zu denen auch Albanien, Serbien, Nordmazedonien und das Kosovo gezählt werden. In Brüssel wird Montenegro als am weitesten im Beitrittsprozess gesehen. Mit einer EU-Erweiterung wird frühestens gegen Ende des Jahrzehnts gerechnet. Mit Montenegro führt die EU seit 2012 Beitrittsverhandlungen. Bosnien-Herzegowina hat den Status eines Beitrittskandidaten, ist aber bislang noch nicht in Verhandlungen.
In Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, traf Baerbock am Abend die Angehörigen des Staatspräsidiums des Landes. Es besteht aus jeweils einem Vertreter der bosniakischen, serbischen und kroatischen Volksgruppe: Denis Becirovic (bosniakisch), Zeljka Cvijanovic (serbisch) und Zeljko Komsic (kroatisch). Der Vorsitz rotiert alle acht Monate. Bei einem Gespräch mit dem Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, dem Deutschen Christian Schmidt, informierte sich die Bundesaußenministerin über die Lage im Land.
Gespaltenes Bosnien-Herzegowina
Bosnien-Herzegowina ist gespalten in die Entitäten namens Föderation Bosnien-Herzegowina (abgekürzt FBiH) und den ethnisch-serbischen Teil Republika Srpska (RS). Präsident der RS ist der serbische Nationalist Milorad Dodik, der eine Abspaltung anstrebt. Dodik steht in Sarajevo vor Gericht, weil er veranlasst hat, dass Entscheidungen von Schmidt nicht mehr im Amtsblatt der RS veröffentlicht werden. Kürzlich hat Dodik den belarussischen Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko und den russischen Präsidenten Wladimir Putin besucht. Putin hatte ihm den prestigeträchtigen russischen Newski-Orden verliehen.
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