Brexit:Starker Mann - und nun?

Brexit: Bisher hat Boris Johnson den Kontakt mit Repräsentanten der EU eher gemieden, weil er damit seine harte Linie gefährdet sah.

Bisher hat Boris Johnson den Kontakt mit Repräsentanten der EU eher gemieden, weil er damit seine harte Linie gefährdet sah.

(Foto: AFP)
  • Boris Johnson wird sich am Montag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker treffen.
  • Bislang hatte der Premier das vermieden. Mittlerweile aber ist seine Position geschwächt.
  • Der jüngste Siegeszug der Abgeordneten hat zudem zu einer vorsichtigen Euphorie bei all jenen geführt, die durch den populistischen Kurs von Johnson die Demokratie bedroht sahen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Es kommt Bewegung in die verfahrene Brexit-Debatte. Am Freitagmittag wurde bekannt, dass der britische Premier Boris Johnson den amtierenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker am Montag in Luxemburg treffen werde. Dem Vernehmen nach soll es dabei unter anderem um neue Vorschläge für das Grenzregime in Irland gehen, um die sogenannte "Northern Ireland only"-Lösung. Danach würde Nordirland sich im Wesentlichen weiter an die Regeln des EU-Binnenmarkts halten, eine Zollgrenze verliefe dann zwischen der irischen und der britischen Insel. EU-Insider sagten allerdings am Freitag, bis zu einer Einigung sei es noch ein "sehr, sehr weiter Weg".

Bisher hatte Johnson den Kontakt mit Repräsentanten der EU eher gemieden, weil er damit seine harte Linie gefährdet sah, nach der No-Deal nur durch ein Kompromissangebot von EU-Seite zu vermeiden wäre. Entweder die Notfalllösung für Nordirland, der Backstop, komme weg, hatte Johnson gesagt, oder Großbritannien trete zum 31. Oktober aus der EU aus.

Diese Linie allerdings kann Johnson im Lichte der Entwicklungen der vergangenen zwei Wochen nicht mehr verfolgen; seine Position ist dramatisch geschwächt. Erst hatte das Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, das Johnson zwingen würde, eine Verschiebung des Datums in Brüssel zu beantragen. Dann hatte das Parlament ihm die Neuwahlen verweigert, mit denen sich Johnson als überzeugter Kämpfer für den Brexit präsentieren wollte. Es folgte ein Gerichtsurteil aus Schottland, das die fünfwöchige Zwangspause des Parlaments für ungesetzlich erklärte. Am kommenden Dienstag entscheidet sich, ob auch der Oberste Gerichtshof in London diesem Urteil folgt. Dann müsste Johnson die Schließung des Parlaments aufheben.

Aus dieser Zwangslage kann der Premier auf zwei Arten herauskommen: Er verweigert die Beantragung eines Aufschubs in Brüssel. Damit würde er aber die Parlamentsbeschlüsse ignorieren und Recht brechen. Die Alternative: Downing Street bekommt einen Deal hin. Das wäre ein Coup, für den es weitgehende Kompromisse von britischer Seite bräuchte.

Offiziell hatte der Premier immer betont, er wolle einen Deal. EU-Chef-Unterhändler Michel Barnier hatte sich am Donnerstag aber skeptisch geäußert: Vorläufig sehe er "keinen Grund für die Wiederaufnahme der Gespräche", da die Briten keinen glaubwürdigen Vorschlag vorgelegt hätten. Auch in der neuen Debatte um eine Nordirland-Lösung wartet Brüssel ab. Fraglich ist, ob Johnson einen Kompromiss, der sowohl von der nordirischen DUP als auch von Hardlinern der Tory-Fraktion nach wie vor sehr kritisch gesehen wird, durch das Unterhaus bekäme.

Bercow drohte dem Premier

Sollte es keine Einigung in London selbst - und damit keinen Deal mit Brüssel - geben, müsste Johnson erklären, ob er die Vorgaben der britischen Abgeordneten umsetzen wird. Damit wäre eine neue Runde im Machtkampf Exekutive gegen Legislative eröffnet. Der Parlamentssprecher, John Bercow, hat dazu am Donnerstag einen Ordnungsruf abgegeben. Bercow ist über Großbritannien hinaus beliebt, doch in der Downing Street gefürchtet. Die Regierung mag die Rolle nicht, die der Speaker im Unterhaus zuletzt spielte: Er stärkte die Rechte der Abgeordneten und verteidigte ihren Anspruch, das Handeln der Regierung zu kontrollieren.

Am Donnerstag drohte Bercow dem Premierminister, er werde nicht zulassen, dass dieser das Recht breche. Im Zweifel werde er die "kreative Auslegung der parlamentarischen Spielregeln" fördern, mit denen das Unterhaus No Deal und Gesetzesbrüche stoppe. "Die einzige Brexit-Form, die wir haben werden, ist eine, die vom Parlament abgesegnet wurde."

Der jüngste Siegeszug der Abgeordneten hatte zu einer vorsichtigen Euphorie bei all jenen geführt, die durch den populistischen Kurs von Johnson die britische Demokratie bedroht sahen. Parlamente und Gerichte seien, so Verfassungsexperten, nach wie vor ein Bollwerk gegen Übergriffe zunehmend autokratisch agierender Regierungen. Vergleiche mit anderen Ländern wurden angestellt - mit dem Machtverlust des Lega-Chefs Matteo Salvini etwa, der sich einer neuen Allianz im römischen Parlament gegenübersieht. Oder auch mit dem Repräsentantenhaus in den USA, das Präsident Trump immer wieder in den Arm fällt.

Andererseits zeigen die Beispiele Ungarn und Polen, wie ein Demokratieabbau Parlamente und Gerichte lahmlegen und die Akzeptanz einer antidemokratischen Führung bei den Wählern stärken kann. Auch am britischen Beispiel könnte sich erweisen, dass die Macht des Unterhauses nicht von Dauer sein muss: Sollte Johnson mit einem populistischen Wahlkampf und dem Verweis auf eine "Blockadehaltung" der Abgeordneten die nächsten Wahlen gewinnen, könnte er einen harten Brexit erzwingen und die Macht des Parlaments erneut begrenzen.

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