Operation "Yellowhammer":Spielt London die Folgen eines No-Deal-Brexit herunter?

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  • Die britische Regierung hat ein internes Dokument veröffentlicht, in dem die möglichen Folgen eines No-Deal-Brexit (intern "Operation Yellowhammer" genannt) beschrieben werden.
  • Das Parlament hatte die Offenlegung verlangt, bevor es in die Zwangspause geschickt worden war.
  • In dem Papier geht es um "Planungsannahmen für den schlimmsten Fall".
  • Ein inhaltlich identisches, kürzlich der Presse zugespieltes Dokument trug die Überschrift: "grundlegendes Szenario".

Auf Druck des Parlaments hat die britische Regierung am Mittwochabend eine Reihe interner Papiere für den Fall eines No-Deal-Brexits veröffentlicht. Die sogenannten "Yellowhammer"-Dokumente waren bereits vergangenen Monat an die Presse durchgesickert und enthalten Prognosen darüber, was bei einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens passieren dürfte. Für Aufsehen sorgt besonders, dass der Titel inzwischen offenkundig geändert wurde.

Der Sunday Times-Journalistin Rosamund Urwin waren inhaltlich identische Dokumente schon im August zugespielt worden. Damals stand "grundlegendes Szenario" darüber, nun "Planungsannahmen für den schlimmsten Fall". Die Änderung des Titels schien Vermutungen der Opposition zu bestätigen, dass die Regierung die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts herunterspielt. "Operation Yellowhammer" ist der Code-Name für die No-Deal-Planung der britischen Regierung.

Öffentliche Unruhen, Hamsterkäufe, Medikamentenknappheit

Das Papier ist nach Regierungsangaben auf den 2. August datiert und legt "sinnvolle Planungseinschätzungen für das schlimmstmögliche Szenario" im Falle eines No-Deal-Brexit dar. Danach wäre mit schweren Störungen im Reiseverkehr zwischen Großbritannien und der EU zu rechnen. Für in Europa lebende britische Bürger werde Ungewissheit herrschen. Die Bemühungen um die Wahrung einer offenen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland würden wahrscheinlich scheitern. Eine harte Trennung von der EU könne zudem massive Proteste und sogar Unruhen auslösen.

Sollte es tatsächlich zu einem solchen No-Deal-Brexit kommen, würde die Zahl der Lastwagen, die den Ärmelkanal mit Fracht passieren, binnen eines Tages um zwischen 40 und 60 Prozent zurückgehen, heißt es in dem Planungsdokument weiter. Die Störungen im Warenverkehr könnten demnach drei Monate dauern. Im schlimmsten Fall könnten dann frische Lebensmittel knapper und Preise teurer werden. Außerdem könnte es aufgrund langer Wartezeiten am Ärmelkanal zu Lieferengpässen bei Medikamenten kommen. In der Folge könnten Krankheiten bei Tieren ausbrechen, die auch die menschliche Gesundheit beeinträchtigen könnten. In Teilen des Landes könnte es auch zu Kraftstoffengpässen kommen.

Mit den Veröffentlichungen bleibt die Regierung weit hinter den Forderungen des Parlaments zurück. Die Abgeordneten hatten am Montag, kurz vor dem Beginn einer von Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments, sämtliche Dokumente der No-Deal-Planungen verlangt. Zudem forderten sie sämtliche Korrespondenz, inklusive E-Mails und Kurznachrichten wichtiger Regierungsmitarbeiter und Berater. Staatsminister Michael Gove wies die Forderung jedoch als "unangemessen und unverhältnismäßig" zurück. Die Regierung müsse die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter schützen.

Hintergrund der Forderung nach der Korrespondenz war die Vermutung, Johnson wolle das Parlament mit der Zwangspause schlicht kaltstellen, um einen No-Deal-Brexit durchziehen zu können. Der Premier droht offen damit, sein Land ohne Abkommen aus der EU zu führen, sollte sich Brüssel den von ihm gewünschten Änderungen am Austrittsabkommen verweigern. Dabei hat das Parlament inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das ihn zum Beantragen einer Verlängerung zwingt, sollte nicht rechtzeitig ein Deal mit der EU zustande kommen.

Zuvor hatte ein schottisches Gericht geurteilt, dass die sogenannte Prorogation des Parlaments nicht rechtmäßig sei. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass Johnson tatsächlich der Kontrolle durch das Parlament entgehen wollte. Das Gericht kündigte an, die Zwangspause - die eigentlich erst am 14. Oktober enden soll - für "null und nichtig" zu erklären. Die Regierung will dagegen Berufung einlegen beim obersten Gericht Großbritanniens, dem Supreme Court. Dieser wird kommenden Dienstag über die Angelegenheit verhandeln.

© SZ.de/dpa/bix/kit - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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