Berliner Mauer:Lehren aus der Eiszeit

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt einen Blumenstrauß an der Gedenkstätte Berliner Mauer nieder. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus gedenkt Berlin der Opfer der SED-Diktatur. Nicht nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft dazu auf, die Erinnerung wachzuhalten - und sich für Demokratie und Freiheit einzusetzen.

Von Jan Heidtmann und Francesca Polistina, Berlin

Die ersten Vorbereitungen zum Bau der Mauer, die Berlin 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage lang trennen sollte, begannen mitten in der Nacht zum 13. August 1961. So ist es auch nur konsequent, dass die erste Gedenkveranstaltung recht früh an diesem Freitagmorgen beginnt. Acht Uhr, Hermannplatz, zwischen den Westberliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln. Busse donnern vorbei, ein paar verspätete Schulkinder hasten über den Platz.

Dieser Ort, obwohl fern dem Mauerstreifen, ist mit Bedacht gewählt, wie Berlins stellvertretender Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer erklärt. Die Folgen der harten Grenzziehung sollen "sichtbar, spürbar, erfahrbar" gemacht werden. Sie habe die Stadt, Familien, den Alltag zerrissen: "Diese Mauer war überall." Für Lederer, 47, geboren in Schwerin, ist der Hermannplatz ein besonderer Ort: "Hier bin ich nach dem Mauerfall das erste Mal aus der U-Bahn gestiegen."

Das "Leben mit der Mauer" ist dann auch das große Thema des Gedenkens der Stadt zum 60. Jahrestag des Baubeginns. An mehr als 300 Orten erinnern die Stiftung Berliner Mauer und die Kulturprojekte Berlin an den 13. August 1961. Den Auftakt macht ein gigantisches Plakat, das nun an einer Hauswand am Hermannplatz enthüllt wird. Es zeigt einen DDR-Grenzsoldaten auf der einen Seite des provisorischen Stacheldrahts, auf der anderen Seite steht ein kleiner Junge in kurzen Hosen - eines von zehn Motiven, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind. Über das gesamte Wochenende sind Veranstaltungen geplant, Zeitzeugenberichte, eine Tanzperformance, ein Open-Air-Filmfestival im Mauerpark.

Dass ausgerechnet Lederer das Gedenken beginnt, ist auch deshalb interessant, weil er zur Linken gehört. Also zu der Partei, die über zwei Ecken in der Nachfolge der SED steht, wiederum der Partei, die die Mauer errichten hat lassen. Wie die Linke heute und auch er selbst dazu stehen, daran lässt Lederer keinen Zweifel: "Die Mauer ist durch nichts zu rechtfertigen." Berlin sei eine "Zuflucht" für die unterschiedlichsten Menschen geworden: "Die Voraussetzung für diese Freiheit muss immer wieder geschaffen werden."

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Die zentralen Gedenkfeierlichkeiten der Bundesregierung finden dann direkt am Tatort, am früheren Mauerstreifen an der Bernauer Straße statt. Die Gedenkstätte ist weiträumig von der Polizei abgesperrt, Durchgang nur mit Sonderausweis. Ein paar Touristen und eine Postbotin ärgern sich, kurz werden Erinnerungen wach an die Invalidenstraße, nur wenige Hundert Meter entfernt, wo einer der innerstädtischen Grenzübergänge lag. Als drei Limousinen heranfahren und die Polizei sie nicht gleich passieren lässt, steigt ein Sicherheitsbeamter aus und ruft: "Das ist der Regierende Bürgermeister. Lasst den mal durch."

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Drinnen, vor der Kapelle der Versöhnung, wird die offizielle Zeremonie im Freien gefeiert. Die Sonne scheint an diesem Augusttag, klassische Musik wird gespielt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert in seiner Rede an die Menschen, sich für die Demokratie und die Freiheit einzusetzen. "Freiheit und Demokratie müssen erkämpft, dann aber auch geschützt, verteidigt und erhalten werden", so Steinmeier. Dafür brauche man entschiedenes Engagement und Leidenschaft, und das fange schon mit der Beteiligung an demokratischen Wahlen an, die das, wofür die Mauer stand, so lange so vielen verwehrte. "Denken Sie alle daran, wenn bald ein neuer Bundestag gewählt wird", sagt der Bundespräsident mit Blick auf die anstehende Wahl am 26. September.

Die Erinnerung an die Berliner Mauer, so Steinmeier, solle daher nicht beim Rückblick stehenbleiben. Ganz im Gegenteil: Diese Erinnerung sei "eine bleibende Herausforderung für uns - für heute und für morgen". Sie lehre uns, dass Demokratie und Freiheit nicht naturgegeben seien und die Geschichte von Menschen gemacht werde, zum Bösen wie zum Guten. "Wenn wir am 9. November den Fall der Mauer feiern, den Frühling mitten im kalten Herbst, dann müssen wir auch des 13. August gedenken, des Beginns einer Eiszeit mitten im Sommer", sagt Steinmeier.

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Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ruft dazu auf, die Erinnerung wachzuhalten - insbesondere für die Jugendlichen, die die Teilung Berlins und der Welt im Kalten Krieg nicht erlebt haben. "Die Erinnerung ist und bleibt eine Verpflichtung", betont Müller. Denn die Zeitzeugen und diejenigen, die sich an Teilung und SED-Diktatur erinnern, würden immer weniger. Umso wichtiger sei es also, ihnen und ihren Erzählungen zuzuhören.

Es sind nicht die einzigen Orte, an denen an diesem Freitag der Mauer und ihrer Opfer gedacht wird. In Potsdam treffen der Oberbürgermeister Mike Schubert und Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (beide SPD) zum Gedenken zusammen. An der Glienicker Brücke, auf der Ost und West immer wieder Spione austauschten, tritt CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet auf. Am späten Nachmittag dann beginnt die zentrale Gedenkfeier Brandenburgs am erhaltenen DDR-Grenzturm im nördlich an Berlin angrenzenden Hohen-Neuendorf. Kern der Veranstaltung in einem kleinen Waldstück sind 140 leere Stühle, jeder steht für einen der Mauertoten.

Die Bedeutung solcher Tage, nicht nur für die vielen anderen, deren Leben die Mauer dramatisch veränderte, wurde am Morgen noch einmal deutlich: Im Gedenkpark an der Bernauer Straße saß da die 10. Klasse einer Schule aus dem Westteil der Stadt zusammen. Warum denn die Mauer überhaupt gebaut worden sei, will der Lehrer wissen. "Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland verloren", antwortet ein Schüler, "dann war Deutschland geteilt." Der Lehrer seufzt kurz, lächelt und sagt: "Das ist alles gefährliches Halbwissen." Die Geschichtsstunde konnte beginnen.

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