Zu den Gesetzmäßigkeiten des Berliner Politikbetriebs gehört, dass die Frage, was getan wird, immer nur eine Hälfte der Geschichte ist. Ebenso wichtig, mindestens, ist die Frage, wer das sagt, wie er oder sie dabei guckt und, ganz entscheidend, wie die gucken, die währenddessen danebenstehen.
Wenn am kommenden Montag der Kanzler und die Bauministerin verkünden, wie sie die Krise am Wohnungsmarkt bekämpfen wollen, werden voraussichtlich einige Vertreter aus der Bau- und Immobilienwirtschaft vor dem Kanzleramt stehen und ziemlich grimmige Gesichter machen. Ein paar andere hingegen wird man dort gar nicht erst sehen. Der Eigentümerverband Haus & Grund und der Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW schlagen die Einladung des Kanzlers aus: Man kommt nicht, weil man das Unterfangen für aussichtslos und die Organisation für stillos hält, hieß es am Freitag. Im Mikrokosmos Berlin-Mitte ist das ein nahezu beispielloser Eklat.
Bundesweit fehlen mindestens 700 000 Wohnungen
Dass die Lage am deutschen Wohnungsmarkt dringender Maßnahmen bedarf, ist unter allen Beteiligten unbestritten. Das Ausmaß des Problems ist auch nicht mehr zu leugnen. Zu Beginn der Woche etwa vermeldete das Statistische Bundesamt einen Einbruch der Baugenehmigungen: Im Juli wurden 31,5 Prozent weniger Neubauprojekte bewilligt als im gleichen Monat des Vorjahres. Angesichts des Wohnraummangels - bundesweit fehlen mindestens 700 000 Wohnungen - ist das besonders ungünstig: Statt im Höchsttempo Häuser und Wohnungen hochzuziehen, wird die Bautätigkeit in Deutschland immer weniger. Ein Grund dafür sind die hohen Zinsen, die die Kosten nach oben treiben. Der zweite, so beklagt die Industrie, seien die immer komplexeren Vorgaben, die Bund, Länder und Kommunen für alle Bauprojekte machen, etwa in Hinblick auf Umweltschutz und Energieeffizienz.
In dieser Lage wollen Kanzler Olaf Scholz und Bauministerin Klara Geywitz (beide SPD) am Montag ein "Maßnahmenpaket" präsentieren. Das Problem: Die Verbände wurden dabei weder eingebunden noch über die Pläne aus dem Kanzleramt informiert. Man habe mehrfach angefragt, ob man Vorschläge einbringen oder wenigstens mitdiskutieren dürfe, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Das sei abgelehnt worden. Zudem habe man bis Freitagmorgen entgegen der Ankündigung nicht einmal eine Tagesordnung für den Gipfel erhalten. Ähnlich sei es bei den Sitzungen des sogenannten "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" gelaufen, das 2022 initiiert wurde. Auch da habe man nicht einmal Diskussionsthemen vorschlagen dürfen, so Gedaschko. Für reine Showveranstaltungen stehe man aber nicht zur Verfügung. Deshalb müssen Scholz und Geywitz ihre Pläne nun ohne die Verbände vorstellen, die zusammen etwa 95 Prozent der Wohnungsbestandsunternehmen in Deutschland repräsentieren.
Was genau am Montag präsentiert werden soll, ist unklar. Kolportiert wurde am Freitag etwa ein zeitlich befristetes Aussetzen des sogenannten EH-40-Standards, der besonders strenge Vorgaben zu Dämmung und Energieeffizienz vorschreibt. Zudem soll offenbar ein neues Förderprogramm mit zinsgünstigen Baukrediten für Familien auf den Weg gebracht werden. Zuletzt hatte die Bauministerin mit ihrem Förderprogramm "Wohneigentum für Familien" (WEF) eine üble Pleite erlitten: Zwischen dem Beginn des Programms Anfang Juni und Ende August wurden lediglich 212 Anträge von Familien genehmigt - die Förderrichtlinien sehen so niedrige Einkommensgrenzen bei gleichzeitig so hohen Energieeffizienzvorgaben vor, dass das Programm für kaum jemanden infrage kommt.
Die Stimmung in der Branche gegenüber der Regierung ist gereizt
Insgesamt ist die Stimmung in der Immobilienbranche gegenüber der Regierung gereizt. Andreas Mattner vom Zentralen Immobilienausschuss (ZIA) sagte, man werde zwar am Gipfel teilnehmen, um im Gespräch zu bleiben, die Rahmenbedingungen müssten aber grundlegend verbessert werden. Peter Hübner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sagte, wenn Wohnen nicht schnell wieder bezahlbar werde, würden "soziale Spannungen" weiter zunehmen.
Indes vermeldete das Statistische Bundesamt am Freitag einen massiven Einbruch der Immobilienpreise: Im Schnitt waren Häuser und Wohnungen im zweiten Quartal 9,9 Prozent billiger als im Vorjahreszeitraum. Weil die hohen Zinsen die Kredite massiv verteuerten und gleichzeitig die Inflation die Kaufkraft bremse, bedeute der Preisrückgang aber nicht, dass Eigenheime für mehr Menschen leistbar würden, sagen Experten. Die sinkenden Preise seien eine Reaktion auf die Verunsicherung im Markt, nicht zuletzt wegen der "Unsicherheit über zukünftige Investitionen in eine energetische Sanierung und neue Heiztechnik", heißt es etwa in einer früheren Analyse der DZ Bank.