Das Politische Buch:Wie Judenhass entsteht

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Mehr als nur ein Lippenbekenntnis? Gerade in diesen Tagen hat man oft den Eindruck, das "Nie wieder" stehe ein wenig einsam in der Gegend herum. (Foto: Maja Hitij/dpa)

Markus Roth liefert fundierte Antworten auf 101 Fragen zum Antisemitismus. Ein wertvolles Aufklärungsbüchlein - nicht nur für die aktuelle Situation in Deutschland und im Nahen Osten.

Rezension von Werner Hornung

Ausnahmsweise eine persönliche Anmerkung vorweg: Nur wenige Jahre nach 1945 war der kriegsversehrte Vater des Rezensenten nüchtern engagiertes SPD- und Gewerkschaftsmitglied; war er allerdings wieder mal betrunken, so schimpfte er heftig auf das "verdammte Judenpack". Ähnlich ambivalentes Verhalten gab es während der gesamten Geschichte der Bundesrepublik. Und dieser schlummernde Judenhass ist hierzulande immer noch vorhanden - mal mehr, mal weniger. Für Markus Roth ist das in seinem Taschenbuch "Antisemitismus" gleichfalls eine der "101 wichtigsten Fragen", auf die er kompetent eingeht.

Markus Roth: Antisemitismus. Die 101 wichtigsten Fragen. Verlag C. H. Beck, München 2023. 155 Seiten, 14 Euro. E-Book: 9,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am renommierten Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt und hat bereits 2021 bei C. H. Beck ein vergleichbares Kompendium zum Holocaust vorgelegt. Auch diesmal ist es wieder ein abwechslungsreiches Frage- und Antwortspiel, ein intellektuelles Pingpong in sieben Kapiteln, die wie folgt unterteilt sind: Grundfragen, Antisemitismus heute, Stereotype, von den Anfängen bis zur Aufklärung, von der Emanzipation bis zum Holocaust, Bundesrepublik und DDR, Prävention heute. Bei all seinen Erklärungen holt er nicht zu weit aus, meist reichen ihm ein, zwei Seiten für die entsprechende Antwort.

Von Martin Luther bis Martin Walser

Roths Auskünfte sind leicht verständlich und anschaulich verfasst. Viele Artikel hat er mit biografischen Notizen samt den dazugehörigen Jahreszahlen durchsetzt. In den Texten zur jüdischen Bankiersfamilie Rothschild, zum christlichen Antisemiten Martin Luther, zum umstrittenen Schriftsteller Martin Walser oder zum inzwischen rechtsextremen Holocaust-Leugner Horst Mahler geschieht dies besonders ausführlich. Stets nimmt Markus Roth auch deutlich Stellung. So antwortet er etwa auf die 37. Frage - sie lautet: Ist "Free Palestine" die moderne Version von "Juda verrecke"? - unter anderem mit diesen Zeilen: "Vergleiche der israelischen Maßnahmen mit der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gegen die jüdische Bevölkerung sind auf derartigen Kundgebungen häufig anzutreffen. Dies sind in aller Regel eindeutig als antisemitisch zu wertende Äußerungen, die im klassischen Stil einer Täter-Opfer-Umkehr Israel vorwerfen, mit den Palästinensern das Gleiche zu machen wie die Nationalsozialisten mit den Juden."

Alle Antworten auf "Die 101 wichtigsten Fragen" zum Antisemitismus wird kaum jemand auf einmal lesen wollen. Bei der thematischen Auswahl hilft ein übersichtlich gestaltetes Inhaltsverzeichnis, sonst übliche Sach- und Personenregister fehlen jedoch. Mein Vater hätte das Taschenbuch eh nicht aufgeschlagen. Meinen Kindern und Enkelkindern freilich werde ich's dringend empfehlen.

Werner Hornung bespricht seit mehr als 50 Jahren Lexika, kartografische Werke und Sachbücher.

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