Koalitionsausschuss:Das sind die wichtigsten Beschlüsse der Ampel

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Soll nur das Bahnnetz schneller ausgebaut werden - oder auch einige Autobahnen? Grüne und FDP schlossen dazu einen Kompromiss. (Foto: Kai Horstmann/imago images)

Hunderte Kilometer neue Autobahnen, ein abgeschwächtes Klimagesetz, Milliarden für die Bahn und weniger harte Vorgaben beim Heizungsaustausch: Worauf sich SPD, FDP und Grüne geeinigt haben - und worauf nicht.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Das Papier, das den Fortschritt nun wirklich ins Land tragen soll, hat 16 Seiten, einen vielsagenden Titel und die prominentesten Politautoren, die das Land derzeit zu bieten hat. Der Koalitionsausschuss aus Kanzler Olaf Scholz (SPD) und den Spitzen der Parteien hat sich nach rund 30 Verhandlungsstunden auf ein "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung" geeinigt. Doch kann das Paket die Probleme der Mobilität auf Straße und Schiene wirklich beheben und den Streit über Gasheizungen beenden? Das sind die wichtigsten Beschlüsse.

Klimaschutzgesetz

Die Ampelkoalition hat sich in ihrer Marathonsitzung darauf geeinigt, das Klimaschutzgesetz deutlich zu entschärfen. Man schaue nicht mehr jährlich auf die Ziele und blicke nicht mehr zurück, sondern nach vorne bis etwa zum Jahr 2030, sagte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner am Abend. Damit komme man zu einem "effektiveren Klimaschutz". Die Grünen hatten dieses Aufweichen zuvor lange abgelehnt. Grünen-Chefin Ricarda Lang räumte am Dienstagabend ein, dass man hier unterschiedliche Positionen gehabt habe.

Die Bundesregierung wird zwar weiterhin ihre jährlichen Berichte zur Emissionsentwicklung vorlegen. Doch verfehlt ein Sektor seine Ziele, werden die Folgen weniger scharf geahndet. Sektoren sollen sich anders als bisher gegenseitig helfen können. Zudem verschafft sich die Regierung mehr Zeit zum Erreichen der Ziele. Sie muss künftig erst aktiv werden, wenn ein Sektor seine Ziele laut Prognose zweimal verfehlt. Die Regierung muss dann nicht bis zum nächsten Jahresbericht gegensteuern, sondern den Sektor so auf Kurs bringen, dass er seine Ziele zumindest bis 2030 erreicht. Bei Klimaschützern dürfte diese Lösung für Proteste sorgen. Helfen dürfte die Reform vor allem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der mit seinem Sektor die gesetzlichen Ziele zuletzt krachend verfehlt hat.

Austausch von Heizungen

Die Ampelkoalition will den Einbau klimafreundlicherer Heizungen nach heftigem Streit angehen. Das Gebäudeenergiegesetz solle entsprechend reformiert werden, kündigte Grünen-Chefin Lang an. Es solle etwa für den Austausch von Heizungen einen sozialen Ausgleich geben. "Man kann sagen: Niemand wird im Stich gelassen." Auch SPD-Chef Lars Klingbeil betonte die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit in diesem Punkt.

Das Kabinett will den entsprechenden Gesetzentwurf den Angaben zufolge im April beschließen. FDP-Chef Christian Lindner sagte, die Vorschläge sollten nun "finalisiert" werden. Geld solle aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Es solle der Grundsatz der "Technologiefreiheit" gelten, Gasheizungen künftig also auch weiter mit grünem und blauem Wasserstoff oder Biomasse genutzt werden können. Für bestehende fossil betriebene Heizungen werde es keine Austauschpflicht geben, nur für neu eingebaute Heizungen. "Und wir werden bei bestimmten Alters- und Einkommensgruppen automatisch auch darauf achten, dass die Vorgaben nicht belastend oder bindend sind." Das Beschlusspapier enthält dazu keine Angaben.

Bereits vor einem Jahr hatte die Koalition sich eigentlich darauf geeinigt, dass vom 1. Januar 2024 an möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Über einen ersten Gesetzentwurf dazu aus dem Wirtschafts- und dem Bauministerium, der Ende Februar bekannt wurde, gab es heftige Diskussionen.

Neue Autobahnen

Seit Monaten will die Koalition auch Infrastrukturprojekte in Deutschland beschleunigen. Doch sie war uneins darüber, ob nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen oder ob auch bestimmte Autobahn-Teilstücke. Die Grünen lehnten einen schnelleren Ausbau von Autobahnen, und damit weniger strenge Umweltschutzprüfungen, bisher kategorisch ab. In dem Beschlusspapier ist nun ein Kompromiss verankert. Neben der Beschleunigung von Bahn- und Brückenbauten sollen auch 144 Autobahn- und Bundesstraßenprojekte Vorrang bekommen. Dort gebe es "Stauschwerpunkte und Engstellen, die den Verkehrsfluss stark beeinträchtigen", heißt es in dem Papier. Die Bundesregierung werde daher "für eine eng begrenzte Zahl" von Projekten ein "überragendes öffentliches Interesse festschreiben".

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Insgesamt geht es um einige Hundert Kilometer Autobahnen, die so priorisiert gebaut werden könnten. Dem Verkehrsministerium schwebte eigentlich eine deutlich längere Liste vor. Die meisten dieser Vorrangprojekte liegen im Großraum Rhein-Ruhr, im Raum München und in der Rhein-Main-Region. Sicher ist allerdings nicht, dass die Projekte auch so umgesetzt werden. Denn dem Koalitionsbeschluss zufolge müssen die jeweiligen Bundesländer zustimmen.

Die Grünen hoben am Dienstag hervor, dass künftig entlang neuer Autobahnen zwingend Solaranlagen entstehen sollen. Es werde kein Kilometer Autobahn in Deutschland gebaut, ohne dass Freiflächen zur Stromproduktion genutzt würden, kündigte Grünen-Chefin Lang an.

Deutsche Bahn

Erst Mitte des Monats erreichte den Bundestag ein 33-seitiger Sonderbericht des Bundesrechnungshofs, der an Deutlichkeit nicht zu überbieten war. Die Prüfer zeichnen ein regelrecht desolates Bild von der Lage der Deutschen Bahn. "Die DB AG entwickelt sich zu einem Fass ohne Boden", heißt es im Fazit des Papiers. Intern wird der Sanierungsbedarf für das veraltete Schienennetz inzwischen auf 89 Milliarden Euro taxiert. SPD, Grüne und FDP machen in dem Beschlusspapier klar, dass die Bahn sehr schnell sehr viel mehr Geld braucht: 45 Milliarden Euro allein bis 2027 seien "zur Deckung des Investitionsbedarfs" nötig, heißt es. Eine klare Finanzzusage geben die Koalitionäre der Bahn zwar nicht. Sie kündigen aber eine Reform der Lkw-Maut an, die mehr Einnahmen bringen und beim Bahn-Ausbau helfen soll.

Lkw-Maut

Die Ampelkoalition hatte sich bereits im vergangenen Jahr in groben Zügen darauf verständigt, die Lkw-Maut zu erhöhen. Den Plänen zufolge soll eine Mautreform zum 1. Januar 2024 kommen. Dazu gehörten die Ausdehnung der Lkw-Maut auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen und eine stärkere Abhängigkeit vom CO₂-Ausstoß. Bislang gilt die Lkw-Maut ab 7,5 Tonnen. Nun sieht der Beschluss den CO₂-Aufschlag ab dem kommenden Jahr vor - und zwar einen deutlichen. Laut Beschlusspapier soll der Aufschlag bei 200 Euro pro Tonne CO₂ liegen. Die Einnahmen, die bislang vor allem dem Straßenverkehr zugutekamen, sollen stärker in andere Verkehrsträger wie die Schiene fließen können.

Nahverkehr und Elektroautos

Für Bahn-Vielfahrer soll das künftige 49-Euro-Ticket ohne Aufpreis in die Bahncard 100 integriert werden, so dass diese in allen Städten auch für den Nahverkehr genutzt werden kann. Weitere Punkte sind eine bessere Vernetzung von Verkehrsträgern etwa für Gütertransporte auf Schiene und Straße. Kurzfristige Anreize sollen Produktion und Nutzung klimaneutraler künstlicher Kraftstoffe auf Strombasis (E-Fuels) anschieben. Zugleich soll das Ladenetz für E-Autos weiter ausgebaut werden. So sollen Tankstellen verpflichtet werden, binnen fünf Jahren mindestens einen Schnellladepunkt anzubieten.

Ausgleich für Eingriffe in die Natur

Wer in die Natur eingreift, muss bisher schon Ersatz leisten, meistens durch Maßnahmen in der näheren Umgebung. Als Ausgleich sollen künftig auch einfach Zahlungen möglich sein, die dann in den "vernetzten Naturschutz" fließen sollen. Ein "Flächenbedarfsgesetz" soll die Grundlage schaffen, einen "länderübergreifenden Biotopverbund als Vorrangfläche zu definieren", heißt es in dem Papier. Eine ähnliche Forderung hatten unlängst auch die Spitzen deutscher Umweltverbände unterbreitet. Die Änderung kann helfen, tatsächlich mehr für den Naturschutz zu tun - aber auch in eine Art Ablasshandel münden. Das Bundesumweltministerium hatte bisher auf die Ideen zurückhaltend reagiert. Jetzt soll es den Plan umsetzen.

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