Das Politische Buch:Kuriositäten-Kabinett

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Zusammen, aber oft nicht gemeinsam: Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck am 30. August während der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. (Foto: Imago)

Die beiden meinungsstarken Publizisten Henryk M. Broder und Reinhard Mohr machen sich über die Ampel-Politik lustig. Doch die Argumentation hat einen Haken.

Rezension von Florian Keisinger

Aus dem Bundestagswahlkampf 1980 ist eine Rede des damaligen SPD-Spitzenkandidaten und Kanzlers Helmut Schmidt überliefert, in der dieser in rasanter Abfolge die verbalen Entgleisungen seines CSU-Herausforderer Franz-Josef Strauß aneinanderreiht. Um zu dem Fazit zu kommen, dass Strauß ganz offensichtlich die Kontrolle über sich selbst verloren habe und folglich auch keine Kontrolle über den Staat erlangen dürfe. Das ist ebenso simpel wie rhetorisch eindrucksvoll. Die Passage ist im Internet abrufbar; sie widerlegt zudem all jene, die meinen, wir erlebten derzeit eine nie dagewesene Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung.

Die Publizisten Henryk M. Broder und Reinhard Mohr verfahren in ihrem gemeinsamen Buch nach einem ähnlichen Schema. Allerdings reihen sie keine Zitate aneinander, sondern Anekdoten und Kuriositäten, die sie seit Beginn der Ampel-Koalition bestehend aus SPD, Grünen und FDP im Dezember 2021 zusammengetragen haben. Wer dem politischen Geschehen einigermaßen aufmerksam folgt, dürfte die allermeisten der angeführten Episoden bereits kennen. Gleichwohl ist es auch hier die schiere Summe, die den gewollten Eindruck nicht verfehlt; verknüpft mit den von humorvoll über bissig bis scheinbar verzweifelt reichenden und natürlich im höchsten Maße subjektiv vorgetragenen Einordnungen des Autoren-Duos.

Was Broder und Mohr gegen den Strich geht, sind die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Ampel sowie die Versuche, Probleme durch weltanschauliche Allgemeinplätze unter den Teppich zu kehren. Etwa wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck im Zuge einer Ukraine-Reise die Bedeutung der Atomkraft hervorhebt, um kurz darauf das Festhalten am deutschen Atomausstieg als alternativlos darzustellen. Oder wenn in wolkigen Floskeln behauptet wird, Klimawende und steigende Flüchtlingszahlen würden alsbald ein neues Wirtschaftswunder generieren.

Es fehle an "Panzern und Psychotherapeuten"

Ein grundlegendes Manko der Ampel-Regierung ist für Broder und Mohr, dass den Menschen trotz Ukrainekrieg, Inflation und Wirtschaftsabschwung suggeriert werde, alles könne bleiben wie bisher, und werde sogar noch besser, da Cannabis bald legal sei und die Wahl des Geschlechts flexibel. Tatsächlich jedoch werde durch derlei Nischenregelungen lediglich kaschiert, dass es in Deutschland mittlerweile an allem fehle, "vom Panzer bis zum Psychotherapeuten". Angesichts der selbst von den Beteiligten kaum in Abrede gestellten inneren Zerstrittenheit der Koalition in praktisch allen relevanten Politikfeldern, ist der Befund nicht gänzlich von der Hand zu weisen.

Henryk M. Broder, Reinhard Mohr: Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik. Europa Verlag, München 2023. 224 Seiten, 20 Euro. (Foto: Europa-Verlag)

Unklar bleibt, wann genau wir im "irren Germanistan" gelandet sind. Broder und Mohr nehmen ausdrücklich die Ampel-Regierung aufs Korn. Die 16 Merkel-Jahre hingegen beschreiben sie, in der Sache überraschend und deshalb wohl zuvorderst als stilistische Kontrastfolie zu verstehen, als eine "goldene Epoche" pragmatischer Staatsführung, wenn auch mit Tendenz zur politischen und medialen Nivellierung von Problemen. Allerdings weisen die von ihnen kritisierten Themen, von der desolaten Lage der Bundeswehr über die Klimapolitik bis zur Flüchtlings- und Außenpolitik, bei genauerem Hinsehen ein hohes Maß an Kontinuität auf. Sowohl die Einsparungen beim Militär, von der Abschaffung der Wehrpflicht ganz zu schweigen, als auch der Atomausstieg sowie wichtige Wegweisungen in der Flüchtlingspolitik fallen in Zeiten unionsgeführter Bundesregierungen.

Die 16 Merkel-Jahre gelten als "goldene Epoche"

Und auch personell gibt es etliche Anknüpfungspunkte. Wenn Broder und Mohr dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier attestieren, seine Reden erinnerten an "Gebrauchsanweisungen für den Thermomix", ist das zwar einerseits amüsant, unterschlägt jedoch andererseits, dass die politischen Fehleinschätzungen des Außenministers Steinmeier insbesondere in Hinblick auf Russland deutlich gravierendere Folgen hatten. Weswegen der Verdacht naheliegt, dass sich ihre Kritik im Grunde gar nicht so sehr gegen konkrete politische Maßnahmen richtet als vielmehr grundsätzlich gegen die Ampel-Regierung sowie eine als überzogen moralisierend wahrgenommene Tonalität ihrer vor allem grünen und sozialdemokratischen Vertreterinnen und Vertreter.

Broder und Mohr haben ein alles in allem unterhaltsames Buch geschrieben, mit dem sie zahlreiche linksliberale Phrasen der Ampel-Parteien und deren dazugehöriger gesellschaftlicher Milieus genüsslich zerlegen. Dass sie dabei des Öfteren selbst in Klischees und weltanschauliche Worthülsen verfallen, steht außer Frage. Auch die eingangs skizzierte Attacke Helmut Schmidts auf Franz-Josef Strauß hätte mit vertauschten Rollen wohl gleichermaßen funktioniert.

Florian Keisinger ist Historiker.

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