Diesel-Gipfel:Die Luft brennt

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Im Streit über die Abgasprobleme älterer Diesel-Autos wollte die Koalition bei einem Spitzen-Treffen am Montagabend Klarheit schaffen. (Foto: Marijan Murat/dpa)
  • Die Spitzen der großen Koalition beraten am Abend über neue Maßnahmen gegen drohende Diesel-Fahrverbote in Großstädten.
  • Es geht auch darum, ob die Regierung der deutschen Autoindustrie Zugeständnisse abringen kann - im Kampf für bessere Luft in deutschen Städten.
  • Die Hersteller sprechen selbst am Montag noch von einem "Politkrimi".

Von Michael Bauchmüller, Mike Szymanski und Max Hägler, Berlin

Es ist alles andere als ein gewöhnliches Treffen der Regierungsspitzen. Es ist ein Neuanfang. Diesel und Zuwanderung stehen an, in Wahrheit geht es auch um anderes. Wenn sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD, die Fraktionsvorsitzenden und Finanzminister Olaf Scholz im Kanzleramt treffen, geht es um Vertrauen.

Der Diesel ist nicht das einzige große Thema an diesem Montag, bei dem bis in die Nacht verhandelt wird, bislang ohne Ergebnis. Auch in diese Runde der Regierenden ist das Gift des Misstrauens schon eingesickert. Da hegt etwa das Umweltministerium den Verdacht, das Verkehrsministerium wolle eine Einigung hinauszögern und verkomplizieren - um möglichst viel von den eigenen Punkten durchzusetzen. Ein gemeinsames Ziel, ein verbindender Geist? Weit weg. Koalitionsgipfel müssen nun beweisen, dass diese Regierung, nachdem Konflikte sie gleich zweimal in nur einem halben Jahr an den Rand des Bruchs geführt haben, es doch noch schafft, richtig zusammenzuarbeiten.

Zu regieren. Die Lage beim Diesel ist allerdings auch denkbar komplex. 65 deutsche Städte haben ein massives Problem mit überhöhten Stickstoffdioxidwerten in der Luft. Gerichte verlangen Fahrverbote. Die EU-Kommission hat Deutschland verklagt. Und das alles wegen der Abgase von Dieselautos, die zu allem Überfluss auf der Straße mehr von dem Gas ausstoßen, als es die Hersteller glauben machten.

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Die Autoindustrie steckt in einer veritablen Vertrauenskrise

Die Koalition muss also an diesem Abend nicht nur Vertrauen gewinnen, sie muss auch Fahrverbote verhindern, und zwar so, dass es weder Steuerzahler noch Autofahrer etwas kostet. Kein Wunder, dass kurz vor Beginn des Treffens noch alles in der Schwebe hängt. Denn letztlich geht es nun auch darum, ob die Regierung der deutschen Autoindustrie Zugeständnisse abringen kann - im Kampf für bessere Luft in deutschen Städten.

Nach Tricksereien und Abgasmanipulationen steckt auch die Autoindustrie in einer veritablen Vertrauenskrise. Und angesichts drohender Fahrverbote in zahlreichen großen Städten stehen viele Besitzer von Dieselautos vor der Frage, ob sie ihre Autos nicht bald wegen zu schlechter Abgaswerte stehen lassen müssen.

Die Hersteller selbst sprechen am Montag von einem "Politkrimi". Die deutschen Erzeuger sind zu Umtauschprämien bereit, würden also alte Dieselautos zurücknehmen und dafür beim Neuwagenkauf noch einmal drauflegen; das hilft auch beim Absatz. Nach Einzelgesprächen der Konzernchefs mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer stehen auch Prämien für "junge Gebrauchte" in Aussicht. Sie sollen auch Dieselkunden einen Umstieg ermöglichen, die sich keinen Neuwagen leisten können. Die Rede war von 1500 Euro bei BMW und 5000 Euro bei Volkswagen.

Allerdings besteht das Bundesumweltministerium auch auf eine Nachrüst-Variante - und sieht sich darin einig mit Kanzlerin Angela Merkel. Die Nachrüstung soll jenen nutzen, die unter einem Fahrverbot zu leiden hätten, sich aber ein neues Fahrzeug nicht mal eben so leisten können. Teile der Autoindustrie trugen das zuletzt zähneknirschend mit. Volkswagen zeigte sich besonders gesprächsbereit, zuletzt signalisierte auch Daimler, eine Nachrüstung zu tragen - allerdings nur zu 80 Prozent.

Auch jenseits der Koalition wird viel gepokert

Komplett wollen die Hersteller die Nachrüstung nicht tragen, weil sie eine Haftung scheuen, sollte der nachgerüstete Katalysator nicht funktionieren. Wieder so eine Frage des Vertrauens: Wer mag schon sein Fahrzeug mit einem Gerät nachrüsten, für dessen Auswirkungen auf das Auto keiner haften mag? Weshalb Hersteller von Nachrüst-Technik eilig erklärten, dass man natürlich die Haftung für die eigenen Produkte übernehme. Auch jenseits der Koalition wird viel gepokert an diesem Montag.

Nicht minder heikel ist die Frage, für welche Dieselfahrer eigentlich Abhilfe geschaffen würde. Für alle? Nur für jene, die in oder nahe den Städten mit der miesesten Luft wohnen? Im Gespräch war eine Grenze bei 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid je Kubikmeter. 14 Städte wären davon betroffen, darunter München, Stuttgart, Köln, Hamburg. Nicht aber Frankfurt am Main mit seinen 47 Mikrogramm. Das allerdings birgt das nächste Problem, denn seit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden hat Frankfurt derzeit den akutesten Klärungsbedarf: Das Fahrverbot droht schon 2019. Gewählt allerdings wird in Hessen in nicht einmal vier Wochen.

Dennoch waren Koalitionspolitiker am Montagabend fest entschlossen, das Dieseldilemma zu lösen. Offen war, ob die Koalitionspartner noch einen Durchbruch im Streit um ein Einwanderungsgesetz erzielen würden. Die Fronten sind weiterhin verhärtet. Die SPD würde es gerne abgelehnten Asylbewerbern ermöglichen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, wenn sie gut integriert sind und Arbeit haben. Die Union lehnt einen solchen "Spurwechsel" in ein neues Zuwanderungsrecht ab.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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