Es muss Außergewöhnliches, ja Dramatisches passiert sein, wenn die Bewohner von Los Angeles mal nicht über sich selbst, sondern über ein anderes Lebewesen reden - das Motto in dieser Stadt lautet gewöhnlich: "Jetzt habe ich so viel über mich geredet - nun sag' doch mal, wie du mich findest!" Wenn sie nun also über P-22 reden, dann deshalb, weil sie sich wirklich um dieses wunderbare Tier sorgen, denn: Es geht ihm nicht gut, dem Brad Pitt unter den Pumas. Verwirrt sei er, sagen Experten, wahrscheinlich sogar betrübt und in einem gesundheitlich schlechten Zustand. Nun ist er eingefangen worden, nachdem er in einen Garten eines Privathauses im Stadtteil Los Feliz eingedrungen war. Es bricht den Leuten das Herz, wenn sie davon erfahren. Selbst jenen, die eigentlich böse auf P-22 sein müssten.
"Es tut mir leid für ihn. Ich hoffe innig, dass ihm nichts passiert", sagt Rene Astorga am Telefon. Das ist insofern erstaunlich, als Astorga der Besitzer eines Chihuahuas ist, den P-22 vergangene Woche angegriffen hat. Auf einem Video ist zu sehen, wie Astorga den Puma verscheucht und seinen Hund rettet. Zwei Wochen davor hatte P-22 einen anderen Chihuahua getötet, der am Stausee "Hollywood Reservoir" an der Leine spazieren geführt worden war. Dessen Besitzer Daniel Jimenez sagte zum TV-Sender KTLA: "Wir wollen nicht, dass Bewohnern etwas passiert. Wir wollen aber auch nicht, dass P-22 etwas angetan wird."
Die Aussagen der Hundebesitzer sind der Beweis dafür, was für ein besonderes Tier dieser Puma ist. Schätzungen zufolge ist er zwölf Jahre alt; gewöhnlich leben Pumas in freier Wildbahn nur zehn Jahre. Sein Name setzt sich aus "P" für Puma und der Zahl "22" zusammen, weil er im Jahr 2010 der 22. von etwa 100 Berglöwen war, die in den Santa Monica Mountains entdeckt wurden. 2012 machte er sich aus den Bergen auf den Weg nach Süden, wanderte mehr als 80 Kilometer weit, überquerte dabei die viel befahrenen Highways 101 und 405 und landete schließlich im 21 Quadratkilometer großen Griffith Park in Hollywood. Dort wurde ihm ein Halsband umgelegt, das seine Bewegungen aufzeichnet.
Berühmtes Foto unter dem "Hollywood"-Schriftzug
2013 entstand ein Foto des Pumas, wie er unter dem erleuchteten Hollywood-Zeichen umherstreift - seitdem ist er ein Star: Der 22. Oktober wurde in Los Angeles zum "P-22 Day" ausgerufen, es gibt eine Ausstellung über ihn im Natural History Museum und allerhand Souvenirs wie einen P-22-Weihnachtspulli. Ab und zu tauchte der Puma mal in einem Garten auf, zum Beispiel im Januar bei der Schauspielerin Leilani Fideler. Grundsätzlich aber hielt er sich an das alte Los-Angeles-Grundprinzip: Man kümmert sich nur um sich selbst, andere sind einem relativ egal. Leben und leben lassen.
P-22 trägt den Spitznamen Brad Pitt, das klingt glamourös, ist aber eigentlich traurig. Denn er heißt nicht nur wegen seiner Schönheit so wie der Schauspieler, sondern auch, weil er kein Glück in der Liebe hat. Bereits im Februar hieß es, P-22 sei einsam und deshalb unglücklich. Sie haben seinetwegen und auch für andere Tiere damals den Grundstein für eine 87 Millionen Dollar teure Brücke über den Freeway 101 gelegt, die größte weltweit für Tiere. Sie wird mit Gras bewachsen sein, damit Opossums, Luchse und Eidechsen aus dem Liberty Canyon in den Griffith Park spazieren können - und, das war die Hoffnung, womöglich auch eine Partnerin für P-22.
Diese Partnerin scheint sich bislang noch nicht eingestellt zu haben. Es heißt, dass P-22 in den vergangenen Monaten immer unglücklicher geworden sei, die Behörde für Naturschutz und Artenvielfalt habe Veränderungen in seinem Verhalten festgestellt. "Wir erleben das zum ersten Mal, dass ein Berglöwe in diesem urbanen Umfeld überlebt", sagt Sprecher Tim Daly: "Wir bemerken aber, dass es mit zunehmendem Alter immer schwieriger für ihn wird, mit den Herausforderungen zurecht zu kommen, die es in diesem Lebensraum nun mal gibt. Es gibt Anzeichen dafür, dass er gestresst und unglücklich ist." Die Angriffe auf die Hunde haben die Experten aufhorchen lassen.
Nachdem P-22 nun in dem Garten in Los Feliz mit einem Pfeil betäubt und abtransportiert wurde, hatten Veterinäre die Gelegenheit, ihn genauer zu untersuchen. Die Ergebnisse verheißen nichts Gutes. Die Raubkatze habe "ernsthafte gesundheitliche Probleme", berichtet die Los Angeles Times. Er sei abgemagert und sein Fell ausgedünnt, außerdem habe er eine Verletzung am Auge, offenbar verursacht durch die Kollision mit einem Fahrzeug. Die Naturschutzbehörde hält es für unwahrscheinlich, dass P-22 je wieder in den Griffith Park zurückkehren kann. Man könne nicht ausschließen, dass der Puma eingeschläfert werden müsse.
Der Gedanke daran, dass das passieren könnte, macht die Menschen in Los Angeles traurig. Sie wünschen dem Brad Pitt der Pumas zwei Dinge: ein langes Leben und ein glückliches.