Philippinen:"Die Menschen verdursten auf den Inseln"

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Taifun "Rai" hat die Philippinen, wo er auch "Odette" genannt wird, hart getroffen: Mehr als 200 Menschen sind tot, Hunderttausende obdachlos. (Foto: AP)

Taifun "Rai" hat eine Schneise der Verwüstung auf den Philippinen hinterlassen und 500 000 Menschen obdachlos gemacht. Crizelle Anne Benitez, die für die Caritas auf Mindanao stationiert ist, erklärt, wie die Lage vor Ort ist.

Interview von David Pfeifer, Bangkok

Mindanao, vom Taifun Rai ( Odette) heftig verwüstet, ist die zweitgrößte Landfläche der Philippinen, die aus vielen Tausenden Inseln bestehen. Crizelle Anne Benitez, 35, die für "Caritas International" die Einsätze auf den Philippinen koordiniert, ist im Auto unterwegs, um die dringend benötigten Hilfsaktionen zum Laufen zu bekommen, vor allem für die vielen kleineren Inseln im Süden. Benitez hält kurz an einer Tankstelle, um am Telefon zu berichten, was die größten Herausforderungen für die kommenden Tage sein werden.

SZ: Frau Benitez, wie geht es Ihnen?

Crizelle Anne Benitez: Mir persönlich geht es gut, aber hier ist eine Katastrophe ungeahnter Dimension zu bewältigen. Die Situation in den Evakuierungsstationen ist unübersichtlich, es sind so viele Menschen obdachlos geworden. Bis vergangenen Sonntag hat die Regierung 488 463 "displaced persons" gezählt, aber das sind bestimmt nicht alle, denn viele Gegenden sind gar nicht erreichbar. Wir wissen nicht, wie groß die Probleme sind, weil das Internet und die Elektrizität auf vielen der kleinen Inseln zusammengebrochen sind. Die Leute können ihre Handys nicht mehr aufladen, wir haben also noch keine genauen Angaben, was wo gebraucht wird.

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Wie bereiten Sie sich vor?

Momentan leiten wir Gelder um, so gut es geht, damit wir schnell und unbürokratisch helfen können, auch wenn es natürlich nicht genug sein wird. Nach Cebu beispielsweise, das schwer getroffen wurde, können wir bereits Geld schicken, weil es dort noch funktionierende Märkte gibt. Auf die kleineren Inseln kommen wir nur mit Flugzeugen oder Booten, aber auch viele Häfen und Boote sind beschädigt worden. Aufgrund der Größe der betroffenen Fläche und der Heftigkeit des Taifuns können wir noch nicht absehen, was wohin muss. Und erst heute früh, am Montag, haben wir die Erlaubnis der Regierung bekommen, dass wir und andere Hilfsorganisationen in diesem Ausmaß aktiv werden dürfen.

Sie brauchen eine Erlaubnis, um zu helfen?

Ja, normal will die Regierung so etwas selber in die Hand nehmen und koordinieren. Und abgesehen vom Taifun haben wir ja noch eine Pandemie und mit ihr die Restriktionen, was den Zugang zu einzelnen Gebieten angeht. Es scheint zwar ein Widerspruch zu sein, dass man wegen einer Not die andere Not nicht lindern darf, aber die einzelnen Provinzen haben ihre Regeln und auch die muss man beachten, wenn man so einen Einsatz koordiniert.

Aber schlägt die größere Katastrophe hier nicht die bereits bestehende?

In einigen Gebieten nicht. Sie können da nicht einfach landen und die Reisebestimmungen ignorieren. Viele Menschen sind hier bereits an Covid-19 erkrankt und die Ansteckungen werden weiter nach oben gehen. Wir müssen sowohl die Betroffenen wie auch die Helfer schützen, sonst verstärken wir die Katastrophe noch. Doch nun sind viele Helfer und ihre Familien vor Ort selber betroffen, obwohl sie wussten, dass der Taifun kommen würde. Die Infrastruktur ist also komplett zusammengebrochen, sogar die für Hilfsleistungen. Die Katastrophenhelfer brauchen Unterstützung, und nun dürfen unsere Leute von außen mit eingreifen.

Was wird denn am dringendsten gebraucht?

Wir haben eine Prioritätenliste aufgemacht: Essen, Notunterkünfte, Trinkwasser, Treibstoff, Hygiene-Kits, Medizin und Schutzkleidung. Und das in sehr großen Mengen, denn es sind bestimmt viel mehr Menschen betroffen, als wir heute wissen.

Was ist für diese Menschen momentan die größte Gefahr?

Vor allem Wassermangel. Es sind schon Menschen auf einer der schwer erreichbaren Inseln verdurstet, in Surigao. Wir müssen trinkbares Wasser dorthin schaffen, und das muss schnell gehen.

Sie befürchten also eine rasche Verschlimmerung der humanitären Lage?

Sicher. Es waren fünf Inseln in Richtung Pazifik, die zuerst vom Taifun getroffen wurden, von denen wissen wir noch kaum etwas. Obwohl der Gouverneur noch aktiv ist und uns übermittelt, was er an Daten hat. Aber er erreicht auch nicht alle kleinen Orte. Nord-Mindanao wurde ebenfalls heftig getroffen. Dort haben wir die ersten Helfer hingesendet und arbeiten uns von da weiter. Wir arbeiten in dieser Gegend mit der "UN Ocha" zusammen, dem Büro der Vereinten Nationen, das die humanitären Hilfsaktionen leitet. Es unterstützen sich alle gegenseitig.

Wird das zu einem Rennen gegen die Zeit werden?

Ja, auch wenn wir es jetzt noch nicht genau überblicken können. Der Bedarf wird gigantisch sein, es muss schnell gehen. Und dann wird es sehr lange dauern.

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